»Ja, sie ist ziemlich oft drau?en in der Herstellung. Da spielt jetzt die Musik.« Ricky blickte mich kurz an. »Wei?t du, wegen der neuen Fertigungsprozesse.«

Das Produktionsgebaude von Xymos war in Rekordzeit aus dem Boden gestampft worden, wenn man bedachte, wie komplex es war. Dort wurden Molekule aus einzelnen Atomen zusammengesetzt, indem man die Molekulfragmente wie Legosteine zusammensteckte. Die Arbeit erfolgte vornehmlich in einem Vakuum, und es waren ungeheuer starke Magnetfelder erforderlich. Das Produktionsgebaude hatte deshalb riesige Pumpanlagen und gewaltige Kuhlaggregate, um die Magnete herunterzukuhlen. Doch nach dem, was Julia erzahlt hatte, war ein Gro?teil der Technologie absolut speziell auf dieses Gebaude zugeschnitten; etwas Vergleichbares war nie zuvor gebaut worden.

Ich sagte: »Erstaunlich, wie schnell sie das Gebaude hochgezogen haben.«

»Na ja, wir haben auch ordentlich Dampf gemacht. Molecu-lar Dynamics sitzt uns im Nacken. Die Produktion lauft, und wir haben Patentantrage ohne Ende. Aber unser Vorsprung vor MolDyne und NanoTech kann nicht sehr gro? sein. Ein paar Monate, vielleicht sechs, wenn wir Gluck haben.«

»Dann baut ihr im Werk also schon Molekule zusammen?«, fragte ich.

»Du hast es erfasst, Jack. Wir bauen, was das Zeug halt. Schon seit ein paar Wochen.«

»Ich wusste gar nicht, dass Julia sich fur den Kram interessiert.« Ich hatte Julia mit ihrer psychologischen Ausbildung immer als jemanden gesehen, der lieber mit Menschen zu tun hatte.

»Sie interessiert sich brennend fur die Technologie, das kann ich dir sagen. Au?erdem wird in der Herstellung auch jede Menge programmiert«, sagte er. »Du wei?t schon. Iterationszyklen, um die Produktionsverfahren zu verbessern.«

Ich nickte. »Was fur Programme?«, fragte ich.

»Parallelverarbeitung. Multi-Agenten-Netze. So gelingt uns die Koordination der einzelnen Einheiten, damit sie zusammenarbeiten.«

»Und das alles fur die Herstellung dieser medizinischen Kamera?«

»Ja.« Er stockte. »Unter anderem.« Er warf mir einen nervosen Blick zu, als konnte er gegen seine Geheimhaltungspflicht versto?en.

»Du musst mir nichts erzahlen«, sagte ich.

»Nein, nein«, sagte er rasch. »Herrje, wir kennen uns seit ewigen Zeiten, Jack.« Er schlug mir auf die Schulter. »Und deine Frau sitzt bei uns im Management. Ich meine, was soll's.« Aber er blickte weiterhin besorgt drein. Sein Gesicht strafte seine Worte Lugen. Und seine Augen waren mir ausgewichen, als er »deine Frau« sagte.

Das Gesprach neigte sich dem Ende zu, und ich spurte, dass ich vollig angespannt war, eine unangenehme Anspannung, wie, wenn man denkt, der andere wei? etwas und will es nicht sagen - weil es ihm peinlich ist, weil er nicht wei?, wie er es ausdrucken soll, weil er sich nicht einmischen will, weil es zu gefahrlich ist, es auch nur anzusprechen, weil er denkt, du musstest schon von allein auf den Trichter kommen. Erst recht, wenn es mit deiner Frau zu tun hat. Zum Beispiel, dass sie mit einem anderen schlaft. Er blickt dich an wie eine wandelnde Leiche, als ware es die Nacht der lebenden Toten, aber er sagt es dir nicht. Meiner Erfahrung nach erzahlt ein Mann niemals einem anderen Mann, was er uber dessen Frau wei?. Hingegen eine Frau erzahlt es einer anderen Frau, wenn sie wei?, dass deren Mann untreu ist.

Das ist einfach so.

Aber ich war derma?en angespannt, dass ich am liebsten .

»Gott, ich hab vollig die Zeit vergessen«, sagte Ricky und schenkte mir ein breites Lacheln. »Ich bin schon spat dran, Mary rei?t mir den Kopf ab, ich muss mich beeilen. Sie ist schon sauer, weil ich die nachsten paar Tage drau?en in der Fertigung bin. Ich bin also nicht zu Hause, ausgerechnet dann, wenn das Dienstmadchen nicht da ist . « Er zuckte die Achseln. »Aber du kennst das ja.«

»Und ob ich das kenne. Viel Gluck.«

»He, Mann. Pass auf dich auf.«

Wir gaben uns die Hand. Murmelten noch eine Verabschiedung. Ricky rollte seinen Wagen um die Ecke des Ganges und war verschwunden.

Manchmal kann man sich nicht mit schmerzhaften Dingen beschaftigen, man schafft es nicht, sich darauf zu konzentrieren. Der Verstand stiehlt sich einfach davon, nein, danke, wechseln wir das Thema. Das passierte mir jetzt. Ich konnte nicht uber Julia nachdenken, also dachte ich uber das nach, was Ricky mir vom Fertigungswerk erzahlt hatte. Und ich fand, dass es durchaus Hand und Fu? hatte, auch wenn es gegen alles sprach, was landlaufig uber Nanotechnologie bekannt war.

Unter Nanotechnologen hielt sich schon lange Zeit eine Fantasievorstellung, dass namlich, sobald irgendwer herausfand, wie sich auf atomarer Ebene produzieren lie?, eine wahre Revolution ins Rollen kommen wurde. Alle wurden es aufgrei-fen, und auf der ganzen Welt wurden Unmengen von wunderbaren Molekularkreationen vom Flie?band laufen. Binnen Tagen wurde diese fantastische neue Technologie das Leben der Menschen verandern. Es musste nur irgendwer herausfinden, wie es ging.

Aber selbstverstandlich wurde es niemals genau dazu kommen. Allein schon der Gedanke war absurd. Denn im Grunde genommen unterschied sich die molekulare Herstellung gar nicht so sehr von der Computerherstellung oder der Ventilherstellung, der Automobilherstellung oder der Herstellung von irgendetwas anderem. Alles brauchte seine Zeit, bis es richtig funktionierte. Ja, der Zusammenbau von Atomen zur Fertigung neuer Molekule war eigentlich dem Kompilieren eines Computerprogramms aus einzelnen Codezeilen sehr ahnlich. Und ein Computercode lie? sich nicht gleich beim ersten Mal kompilieren. Die Programmierer mussten standig irgendwelche Zeilen uberarbeiten. Und selbst wenn das Computerprogramm kompiliert war, lief es nie beim ersten Mal einwandfrei. Auch nicht beim zweiten Mal. Oder beim hundertsten Mal. Es mussten Fehler beseitigt werden, und das immer und immer wieder. Und dann noch einmal.

Ich hatte schon haufig gedacht, dass es bei der Herstellung von Molekulen genauso sein musste - es wurden immer und immer wieder Fehler zu beseitigen sein, bevor alles problemlos funktionierte. Und wenn Xymos wollte, dass »Schwarme« von Molekulen zusammenarbeiteten, dann wurden auch in der Art und Weise, wie diese Molekule miteinander kommunizierten, Fehler auftreten, die ausgemerzt werden mussten, so eingeschrankt die Kommunikation auch war. Denn sobald die Molekule gemeinsam agierten, hatte man ein primitives Netzwerk. Um das zu organisieren, musste man wahrscheinlich ein verteiltes Netz programmieren. So eins, wie ich es bei Media-Tronics entwickelt hatte.

Ich konnte mir also sehr gut vorstellen, dass sie parallel zur Herstellung noch flei?ig programmierten. Aber ich konnte mir nicht erklaren, was Julia da zu suchen hatte. Die Werksanlage lag weit von der Xymos-Zentrale entfernt, praktisch am Ende der Welt - in der Wuste von Nevada, nicht weit von Tonopah. Und Julia war nicht gern am Ende der Welt.

Ich sa? beim Kinderarzt im Wartezimmer, weil die nachste Impfung fur das Baby anstand. Au?er mir waren vier Mutter da, die ihre kranken Kinder auf dem Scho? hatten, wahrend die anderen Kinder auf dem Fu?boden spielten. Die Mutter unterhielten sich und ubersahen mich geflissentlich.

Ich gewohnte mich langsam daran. Ein Mann, der nicht arbeitete, ein Mann in einer Umgebung wie einer Kinderarztpraxis war etwas Ungewohnliches. Das konnte doch nur bedeuten, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Wahrscheinlich stimmte mit dem Mann irgendetwas nicht, schlie?lich war er arbeitslos, vielleicht war er wegen Alkohol oder Drogen entlassen worden, vielleicht war er ein fauler Hund. Was immer der Grund war, es war jedenfalls nicht normal, mitten am Tag einen Mann in einer Kinderarztpraxis anzutreffen. Also taten die Mutter so, als ware ich nicht vorhanden.

Hin und wieder warfen sie mir jedoch einen besorgten Blick zu, als konnte ich mich, wenn sie mir den Rucken zukehrten, von hinten ranschleichen und sie vergewaltigen. Sogar die Sprechstundenhilfe Gloria wirkte misstrauisch. Sie schaute das Baby auf meinem Arm, das nicht schrie und kaum schniefte, fluchtig an. »Was soll ihr denn fehlen?«

Ich sagte, wir seien wegen der Impfung da.

»War sie schon mal bei uns?«

Ja, sie sei seit ihrer Geburt hier.

»Sind Sie mit ihr verwandt?«

Ja, ich sei ihr Vater.

Schlie?lich wurden wir ins Sprechzimmer gefuhrt. Der Arzt schuttelte mir die Hand, war ausgesprochen freundlich, wollte nicht wissen, warum ich und nicht meine Frau oder die Haushalterin gekommen war. Er gab

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