uber der Seite.

»Nein, Herrgott noch mal«, sagte ich gereizt, »ich wei? nicht, was fur Impfungen. Bei jedem Termin kriegt sie eine andere Spritze. Sie sind doch schlie?lich der Arzt ...«

»Schon gut, Mr. Forman«, sagte er beruhigend. »Ich wei?, es ist stressig. Sagen Sie mir einfach, wie der Arzt hei?t, ich rufe ihn dann an, was halten Sie davon?«

Ich nickte. Ich wischte mir mit der Hand uber die Stirn. Ich schwitzte. Ich buchstabierte fur ihn den Namen des Kinderarztes, und er schrieb mit. Ich versuchte, ruhig zu werden. Ich versuchte, klar zu denken.

Und die ganze Zeit uber brullte mein Baby immer weiter.

Eine halbe Stunde spater bekam sie Krampfe.

Sie fingen an, als sich gerade einer von den Spezialisten in Wei? uber sie beugte und sie untersuchte. Ihr kleiner Korper krummte und wand sich. Sie gab Wurgelaute von sich, als musste sie sich ubergeben. Ihre Beine schlugen krampfartig. Sie fing an zu keuchen. Ihre Augen drehten sich nach innen.

Ich wei? nicht mehr, was ich in dem Moment alles sagte oder tat, aber ein stammiger Krankenpfleger von der Gro?e eines Footballspielers kam herein, stie? mich an den Rand des Behandlungsraumes und hielt meine Arme fest. Ich blickte an seiner breiten Schulter vorbei, wahrend sechs Personen sich um meine Tochter herumdrangten; eine Krankenschwester mit einem Bart-Simpson-T-Shirt steckte ihr eine Nadel in die Stirn. Ich fing an zu schreien und versuchte, mich loszurei?en. Der Krankenpfleger rief: »Kopfen, kopfen, kopfen.« Schlie?lich begriff ich, dass er »Kopfvene« sagte. Er erklarte, das sei nur fur die Infusion, weil das Baby dehydriert sei. Deshalb habe sie die Krampfe bekommen. Ich horte die Worte Elektrolyte, Magnesium, Kalium.

Jedenfalls horten die Krampfe gleich danach auf. Aber Amanda brullte weiter.

Ich rief Julia an. Sie war wach. »Wie geht es ihr?«

»Unverandert.«

»Weint sie noch immer? Ist sie das?«

»Ja.« Sie konnte Amanda im Hintergrund horen.

»Mein Gott.« Sie stohnte. »Was sagen die Arzte?«

»Sie wissen noch nicht, was sie hat.«

»Ach, die arme Kleine.«

»Sie ist schon von rund funfzig Arzten untersucht worden.«

»Kann ich irgendwas tun?«

»Ich glaube nicht.«

»Okay. Sag mir Bescheid.«

»Okay.«

»Ich schlafe nicht.«

»Okay.«

Kurz vor Tagesanbruch verkundeten die versammelten Experten, dass sie entweder einen Darmverschluss oder einen Gehirntumor habe und dass zur Klarung eine Kernspintomografie durchgefuhrt werden solle. Der Himmel erhellte sich blassgrau, als Amanda in den Untersuchungsraum gebracht wurde, in dessen Mitte das gro?e, wei?e Gerat stand. Die Krankenschwester sagte, es wurde meine Tochter beruhigen, wenn ich bei der Vorbereitung dabei ware, und sie zog die Nadel aus der Kopfvene, weil keine Metallgegenstande mit in das Gerat durften. Blut spritzte hervor und lief uber Amandas Stirn ins Auge. Die Krankenschwester wischte es ab.

Jetzt wurde Amanda auf ein wei?es Brett geschnallt, das in die Tiefen des Gerats rollte. Meine Tochter starrte in Panik nach oben auf die Apparatur, noch immer schreiend. Ich ging in den Nebenraum, der ein Fenster hatte, in Richtung des Tomografen.

Der Techniker war ein Auslander mit dunkler Hautfarbe. »Wie alt ist sie? Ist es uberhaupt eine Sie?«

»Ja, eine Sie. Neun Monate.«

»Hat aber schon kraftige Lungen.«

»Ja.«

»Los geht's.« Er hantierte mit seinen Knopfen und Schiebern, wobei er meine Tochter kaum eines Blickes wurdigte.

Amanda verschwand vollstandig in dem Gerat. Ihr Schluchzen horte sich blechern uber den Lautsprecher an. Der Techniker betatigte einen Schalter, und die Pumpe begann zu rattern; es war ziemlich laut. Trotzdem horte ich meine Tochter weiter schreien.

Und dann horte sie plotzlich auf.

Sie war vollig still.

»Gott«, sagte ich. Ich sah den Techniker und die Krankenschwester an. Ihre Gesichter zeigten Entsetzen. Wir alle dachten das Gleiche, etwas Schreckliches war passiert. Mein Herz hammerte. Der Techniker stellte hastig die Pumpen ab, und wir eilten zuruck in den Raum.

Meine Tochter lag da, noch immer angeschnallt, schwer atmend, aber offensichtlich wohlauf. Sie blinzelte langsam, als ware sie benommen. Schon jetzt war ihre Haut deutlich heller geworden, rosa, hatte stellenweise wieder ihre normale Farbe. Die Rotung wurde praktisch vor unseren Augen schwacher. »Mich laust der Affe«, sagte der Techniker.

Zuruck in der Notaufnahme wollten die Arzte Amanda nicht nach Hause lassen. Sie waren noch immer der Meinung, dass sie einen Tumor oder eine gefahrliche Darmgeschichte habe, und bestanden darauf, sie zur Beobachtung dazubehalten. Doch der Hautausschlag lie? zusehends nach. Im Laufe der nachsten Stunde verblasste die rosa Farbung und verschwand schlie?lich ganz.

Niemand konnte sich erklaren, was passiert war, und die Arzte waren besorgt. Amanda hatte wieder die Infusion in der Kopfvene, diesmal auf der anderen Seite der Stirn. Aber als ich ihr das Flaschchen gab, saugte sie es gierig leer. Sie starrte, wie immer, wenn ich sie futterte, mit ihrem hypnotischen Blick zu mir hoch. Es schien ihr tatsachlich wieder gut zu gehen. Sie schlief in meinen Armen ein.

Ich sa? noch eine Stunde herum, dann fing ich an zu klagen, dass ich zu meinen Kindern musste, um sie zur Schule zu bringen. Und kurz darauf konstatierten die Arzte einen weiteren Triumph der modernen Medizin und schickten mich mit meiner Tochter nach Hause. Amanda schlief auf dem ganzen Weg tief und fest und wurde auch nicht wach, als ich sie aus dem Kindersitz im Auto hob. Der Morgen dammerte, als ich sie die Auffahrt hoch- und ins Haus trug.

3. Tag, 6.07 Uhr

Im Haus war es vollkommen still. Die Kinder schliefen noch. Als ich hereinkam, stand Julia im Esszimmer und blickte zum Fenster hinaus in den Garten. Der Rasensprenger war an, zischte und klickte. Julia hatte eine Tasse Kaffee in der Hand und starrte reglos nach drau?en.

Ich sagte: »Wir sind wieder da.«

Sie drehte sich um. »Alles wieder in Ordnung mit ihr?«

Ich hielt ihr das Baby hin. »Sieht so aus.«

»Gott sei Dank«, sagte sie, »ich hab mir solche Sorgen gemacht, Jack.« Aber sie ging nicht auf Amanda zu und beruhrte sie nicht. »Solche Sorgen.«

Ihre Stimme klang fremd, distanziert. Julia horte sich eigentlich nicht besorgt an, sondern formlich, wie jemand, der die Rituale einer anderen Kultur befolgte, sie aber im Grunde nicht verstand. Sie nahm einen Schluck Kaffee.

»Ich hab die ganze Nacht kein Auge zugetan«, sagte sie. »Ich hab mir solche Sorgen gemacht. Ich hab mich schrecklich gefuhlt. Gott.« Ihre Augen huschten zu meinem Gesicht, dann wieder weg. Sie hatte offensichtlich ein schlechtes Gewissen.

»Willst du sie mal nehmen?«

»Ich, ah ...« Julia schuttelte den Kopf und nickte der Kaffeetasse in ihrer Hand zu. »Nicht jetzt«, sagte sie. »Ich muss nach den Sprinklern sehen. Die ertranken mir noch die Rosen.« Und sie ging in den Garten.

Ich sah, wie sie in den Garten trat und auf die Sprinkler schaute. Sie blickte kurz zu mir heruber und kontrollierte dann ubertrieben deutlich die Zeitschaltuhr in dem Kasten an der Wand. Sie klappte den Deckel hoch und blickte hinein. Ich verstand das nicht. Erst vergangene Woche hatten die Gartner die Bewasserungszeit neu eingestellt. Vielleicht hatten sie es nicht richtig gemacht.

Amanda schniefte in meinen Armen. Ich ging mit ihr ins Kinderzimmer, wechselte ihr die Windel und legte sie ins Bett.

Als ich zuruckkam, sah ich Julia in der Kuche, wo sie mit ihrem Handy telefonierte. Auch das war eine ihrer

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