gelegt hatte, horte ich, wie Julia aus der Dusche kam und eine Tur zuknallte. Immer wenn Julia Turen knallen lie?, war das fur mich das Zeichen, dass ich zu ihr kommen und sie besanftigen sollte. Aber heute Abend war mir nicht danach. Es argerte mich, dass sie das Baby aufgeweckt hatte, und ich argerte mich uber ihre Unzuverlassigkeit, erst sagte sie, sie werde zum Abendessen zu Hause sein, und dann gab sie nicht mal fruhzeitig Bescheid, dass es doch spater werden wurde. Ich hatte Angst, dass sie deshalb so unzuverlassig geworden war, weil sie durch eine neue Liebe abgelenkt wurde. Oder machte sie sich einfach nicht mehr viel aus ihrer Familie? Ich wusste nicht, was ich tun sollte, aber ich hatte jetzt keine Lust, mich mit ihr zu vertragen.

Ich lie? sie einfach weiter die Turen knallen. Sie schlug die Schiebetur ihres Wandschrankes so fest zu, dass das Holz krachte. Sie fluchte. Auch das war ein Zeichen: Ich sollte zu ihr gelaufen kommen.

Ich ging zuruck ins Wohnzimmer und setzte mich. Ich nahm das Buch, in dem ich las, und starrte auf die Seite. Ich versuchte, mich zu konzentrieren, aber es gelang mir naturlich nicht. Ich war wutend, und ich lauschte, wie sie im Schlafzimmer herumpolterte. Wenn sie so weitermachte, wurde sie Eric wecken, und dann wurde ich ein ernstes Wortchen mit ihr reden mussen. Ich hoffte, dass es nicht so weit kam.

Schlie?lich horte der Larm auf. Wahrscheinlich hatte sie sich ins Bett gelegt. Falls ja, wurde sie bald einschlafen. Julia konnte auch schlafen, wenn wir uns gestritten hatten. Ich konnte das noch nie; ich blieb also auf, lief wutend auf und ab und versuchte, mich zu beruhigen.

Als ich dann doch ins Bett ging, schlief Julia tief und fest. Ich schlupfte unter die Decke und rollte mich von ihr weg.

Es war ein Uhr morgens, als das Baby anfing zu schreien. Ich suchte nach dem Lichtschalter, stie? den Wecker um, wodurch das Radio anging, und Rock 'n' Roll plarrte los. Ich fluchte, tastete im Dunkeln herum, bis ich endlich die Nachttischlampe anhatte und das Radio ausmachen konnte.

Das Baby schrie noch immer.

»Was hat sie denn?«, fragte Julia schlafrig.

»Ich wei? nicht.« Ich stieg aus dem Bett, schuttelte den Kopf, versuchte, wach zu werden. Ich ging ins Kinderzimmer und schaltete das Licht an. Der Raum kam mir sehr hell vor, die Clowntapete knallgelb. Unwillkurlich dachte ich: Was hat sie gegen gelbe Tischsets, wo sie doch das ganze Kinderzimmer gelb gestrichen hat?

Die Kleine stand in ihrem Bettchen, hielt sich an den Staben fest, brullte mit weit offenem Mund und rang keuchend nach Luft. Tranen liefen ihr uber die Wangen. Ich breitete die Arme aus, und sie griff nach mir, und ich trostete sie. Ich dachte, sie musse einen Albtraum gehabt haben. Ich wiegte sie sanft, um sie zu beruhigen.

Sie schrie unvermindert weiter. Vielleicht tat ihr irgendetwas weh, vielleicht war was in der Windel. Ich untersuchte ihren Korper. Und da sah ich, dass sie am Bauch einen bosen Ausschlag hatte, der sich wie Striemen zum Rucken und bis hinauf zum Hals erstreckte.

Julia kam herein. »Kannst du nicht dafur sorgen, dass sie aufhort?«, sagte sie.

Ich sagte: »Irgendwas stimmt nicht mit ihr«, und ich zeigte Julia den Hautausschlag.

»Hat sie Fieber?«

Ich fuhlte Amanda den Kopf. Sie war verschwitzt und hei?, aber das konnte auch vom Weinen kommen. Am ubrigen Korper fuhlte sie sich kuhl an. »Ich wei? nicht. Ich glaube nicht.«

Jetzt sah ich den Ausschlag auch an ihren Oberschenkeln. War der vorhin schon da gewesen? Mir war fast, als wurde er sich vor meinen Augen ausbreiten. Wenn das uberhaupt noch moglich war, brullte das Baby jetzt noch lauter.

»Mein Gott«, sagte Julia. »Ich ruf den Arzt an.«

»Ja, mach das.« Inzwischen hatte ich Amanda auf den Ruk-ken gelegt - sie schrie noch mehr -, und ich sah mir ihren ganzen Korper genau an. Der Ausschlag breitete sich aus, kein Zweifel. Und sie hatte offenbar furchterliche Schmerzen und brullte sich die Lunge aus dem Leib.

»Mein armes Schatzchen, mein armes, armes Schatzchen ...«, sagte ich.

Die Rotung breitete sich eindeutig aus.

Julia kam zuruck und sagte, dass sie dem Arzt eine Nachricht hinterlassen habe. Ich sagte: »Ich warte nicht. Ich bring sie ins Krankenhaus.«

»Meinst du wirklich, das ist notwendig?«, fragte sie.

Ich antwortete nicht, ich ging einfach ins Schlafzimmer, um mir etwas anzuziehen.

Julia fragte: »Soll ich mitkommen?«

»Nein, bleib bei den Kindern«, sagte ich.

»Wirklich?«

»Ja.«

»Na schon«, sagte sie. Sie ging zuruck ins Schlafzimmer. Ich nahm meine Autoschlussel.

Das Baby schrie weiter.

»Ich wei?, es ist unangenehm«, sagte der Assistenzarzt. »Aber ich halte es nicht fur ungefahrlich, ihr ein Beruhigungsmittel zu geben.« Wir waren in einem durch einen Vorhang abgetrennten Raum in der Notaufnahme. Der Arzt beugte sich uber meine schreiende Tochter und schaute ihr mit einem Instrument in die Ohren. Inzwischen war Amanda am ganzen Korper krebsrot. Sie sah aus, als ware sie gekocht worden.

Ich hatte Angst. Ich hatte noch nie davon gehort, dass ein Baby leuchtend rot wurde und schrie wie am Spie?. Ich traute dem Arzt nicht, der mir viel zu jung erschien, um kompetent zu sein. Er konnte noch keine Erfahrung haben; er sah nicht einmal so aus, als musse er sich schon rasieren. Ich war furchtbar nervos, trat von einem Fu? auf den anderen. Allmahlich spurte ich, wie ich leicht wahnsinnig wurde, weil meine Tochter seit einer Stunde ununterbrochen brullte. Es zerrte an meinen Nerven. Der Arzt achtete gar nicht darauf. Ich fragte mich, wie er das anstellte.

»Fieber hat sie nicht«, sagte er und notierte etwas auf einem Krankenblatt, »aber bei Kindern in dem Alter hat das ohnehin nichts zu bedeuten. Unter einem Jahr kann es sein, dass sie gar kein Fieber kriegen, selbst bei einer schweren Infektion nicht.«

»Hat sie das?«, fragte ich. »Hat sie eine Infektion?«

»Ich wei? nicht. Ich tippe auf ein Virus, wegen des Hautausschlags. Aber wir mussten das vorlaufige Blutergebnis gleich -ah, schon.« Eine Krankenschwester gab ihm im Vorbeigehen einen Zettel. »Ahh ... hmmm ...« Er hielt inne. »Also ...«

»Also was?«, fragte ich und trat wieder von einem Bein aufs andere.

Er starrte kopfschuttelnd auf das Blatt. Er antwortete mir nicht.

»Also was?«

»Es ist keine Infektion«, sagte er. »Die Anzahl der wei?en Blutkorperchen ist normal, Proteinfraktion normal. Ihr Immunsystem ist absolut nicht mobilisiert.«

»Was bedeutet das?«

Er war sehr ruhig, stand da, runzelte die Stirn und dachte nach. Ich fragte mich, ob er vielleicht einfach nur dumm war. Heutzutage gingen die besten Leute nicht mehr in die Medizin, nicht bei unserem reglementierten Gesundheitswesen. Der junge Bursche gehorte vielleicht zum neuen Schlag einfaltiger Arzte.

»Wir mussen das diagnostische Netz erweitern«, sagte er. »Ich werde eine allgemeinmedizinische Untersuchung veranlassen, eine neurologische Untersuchung, wir ziehen einen Dermatologen hinzu und jemanden, der auf Infektionskrankheiten spezialisiert ist. Das bedeutet, eine Menge Leute werden mit Ihnen uber Ihre Tochter sprechen und immer wieder die gleichen Fragen stellen, aber .«

»Das macht nichts«, sagte ich. »Kein Problem. Aber ... was glauben Sie denn, was sie hat?«

»Ich wei? es nicht, Mr. Forman. Wenn es keine Infektion ist, suchen wir nach anderen Grunden fur die Hautreaktion. Sie waren mit ihr nicht im Ausland?«

»Nein.« Ich schuttelte den Kopf.

»Sie ist auch nicht kurzlich mit Metallen oder Toxinen in Beruhrung gekommen?«

»Auf welche Weise?«

»Mullhalden, Fabriken, Chemikalien .«

»Nein, nein.«

»Haben Sie irgendeine Vermutung, was die Reaktion ausgelost haben konnte?«

»Nein, nichts ... Moment, sie ist gestern geimpft worden.«

»Gegen was?«

»Ich wei? nicht, was man in ihrem Alter eben so kriegt .«

»Sie wissen nicht, was fur Impfungen?«, sagte er. Sein No-tizbuch war aufgeklappt, sein Stift schwebte

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