Amanda zwei Spritzen. Sie brullte. Ich wiegte sie an meiner Schulter, trostete sie.

»Kann sein, dass sie eine kleine Schwellung bekommt, eine kleine lokale Rotung. Rufen Sie mich an, wenn die nach achtundvierzig Stunden nicht wieder verschwunden ist.«

Dann war ich wieder am Empfang und kramte meine Kreditkarte hervor, um die Rechnung zu bezahlen, wahrend das Baby noch immer weinte. Und in dem Augenblick rief Julia an.

»Hi. Was machst du gerade?« Sie hatte wohl das Babygeschrei gehort.

»Den Kinderarzt bezahlen.«

»Schlechter Zeitpunkt?«

»Eigentlich ja ...«

»Okay, hor zu, ich wollte dir blo? Bescheid geben, dass ich heute punktlich Feierabend mache - endlich mal! -, ich bin also zum Abendessen da. Soll ich auf dem Weg nach Hause was vom Italiener mitbringen?«

»Das ware toll«, sagte ich.

Erics Fu?balltraining dauerte langer als vorgesehen. Es wurde schon dunkel auf dem Platz. Der Trainer uberzog andauernd. Ich tigerte an der Seitenlinie auf und ab und uberlegte, ob ich mich beschweren sollte. Es war einfach schwer zu sagen, wann man sein Kind verhatschelte und wann man es rechtma?ig beschutzte. Nicole rief von ihrem Handy aus an und sagte, ihre Theaterprobe sei zu Ende und warum ich sie nicht abgeholt hatte? Wo ich denn steckte? Ich sagte, ich sei noch immer mit Eric auf dem Fu?ballplatz, und fragte, ob sie nicht mit jemandem mitfahren konne.

»Dad . «, sagte sie genervt, als hatte ich von ihr verlangt, nach Hause zu kriechen.

»He, ich kann hier noch nicht weg.«

Sehr sarkastisch: »Ja, klar.« »Nicht in dem Ton, junge Dame.«

Aber einige Minuten spater wurde das Training jah abgebrochen. Ein gruner Pick-up fuhr auf den Fu?ballplatz, und zwei Manner stiegen aus, die Masken und dicke Gummihandschuhe trugen, mit Spruhflaschen auf dem Rucken. Sie wollten Unkrautvernichtungsmittel spritzen, und der Platz durfte bis zum nachsten Tag nicht betreten werden.

Ich rief Nicole an und sagte, wir wurden sie abholen.

»Wann?«

»Wir sind schon unterwegs.«

»Vom Training des kleinen Ekelpakets?«

»Hor auf, Nic.«

»Wieso kommt er immer an erster Stelle?«

»Er kommt nicht immer an erster Stelle.«

»Tut er doch. Er ist ein kleines Ekelpaket.«

»Nicole .«

»Tschul-di-gung.«

»Bis gleich.« Ich unterbrach die Verbindung. Kinder sind heutzutage Fruhentwickler. Die Teenagerzeit fangt mit elf an.

Um halb sechs waren die Kinder zu Hause und plunderten den Kuhlschrank. Nicole a? ein gro?es Stuck Mozzarella. Ich sagte ihr, das musse reichen, sonst habe sie beim Abendessen keinen Hunger mehr. Dann deckte ich den Tisch weiter.

»Wann essen wir denn?«

»Bald. Mom bringt was mit.«

»O-Oh.« Sie verschwand kurz und kam dann wieder. »Sie sagt, es tut ihr Leid, dass sie nicht angerufen hat, aber sie kommt spater.«

»Was?« Ich goss gerade Wasser in die Glaser auf dem Tisch.

»Sie sagt, es tut ihr Leid, dass sie nicht angerufen hat, aber sie kommt spater. Ich hab eben mit ihr gesprochen.«

»Herrgott noch mal.« Mir platzte der Kragen. Ich bemuhte mich zwar, meinen Arger nie vor den Kindern zu zeigen, aber manchmal hatte ich mich nicht im Griff. Ich seufzte. »Okay.«

»Ich komm um vor Hunger, Dad.«

»Hol deinen Bruder und steigt ins Auto«, sagte ich. »Wir fahren zum Drive-in.«

Spater, als ich das Baby zum Bett trug, stie? ich mit dem Ellbogen gegen ein Foto auf dem Bucherregal im Wohnzimmer. Es fiel scheppernd zu Boden, ich hob es auf. Es war ein Foto von Julia und Eric in Sun Valley, als er vier war. Sie trugen beide Schneeanzuge; Julia brachte ihm Skifahren bei und lachelte strahlend. Daneben stand ein Foto von Julia und mir an unserem elften Hochzeitstag in Kona; ich trug ein schrilles Hawaii-Hemd, und sie hatte bunte Blutenkranze um den Hals, und wir kussten uns bei Sonnenuntergang. Es war eine wunderschone Reise, wir waren sogar ziemlich sicher, dass Amanda dort gezeugt wurde. Ich wei? noch, wie Julia eines Tages von der Arbeit nach Hause kam und sagte: »Schatz, erinnerst du dich noch, wie du gesagt hast, Mai Tais seien gefahrlich?« Ich sagte: »Ja ...« Und sie sagte: »Tja, ich will es mal so ausdrucken. Es ist ein Madchen!« Und ich war derma?en perplex, dass mir das Mineralwasser, das ich gerade trank, die Nase hochstieg, und wir mussten beide lachen.

Dann ein Foto von Julia, beim Platzchenbacken mit Nicole, die noch so klein war, dass sie auf der Kuchentheke sa? und mit den Beinen nicht an die Kante reichte. Sie war hochstens anderthalb. Nicole, die Stirn vor Konzentration in Falten gelegt, schwang einen gro?en Loffel mit Teig und richtete eine richtig schone Sauerei an, wahrend Julia sich das Lachen verkniff.

Und ein Foto von uns beim Wandern in Colorado; Julia hatte die sechsjahrige Nicole an der Hand, und ich trug Eric auf den Schultern, der Kragen meines Hemdes dunkel vor Schwei? -oder Schlimmerem, wenn ich den Tag recht in Erinnerung hatte. Eric musste um die zwei Jahre alt gewesen sein, er trug noch Windeln. Ich wei? noch gut, wie lustig er es immer fand, mir die Augen zuzuhalten, wahrend ich ihn trug.

Das Wanderfoto war im Rahmen verrutscht und stand schief. Ich tippte gegen den Rahmen, um es wieder gerade zu richten, aber es ruhrte sich nicht. Ich sah, dass etliche von den anderen Bildern verblichen waren oder dass die Beschichtung am Glas klebte. Niemand hatte sich je um die Bilder gekummert. Das Baby zog die Nase hoch und rieb sich mit den Fausten die Augen. Ich stellte die Fotos wieder aufs Regal. Es waren alte Bilder aus einer anderen, glucklicheren Zeit. Aus einem anderen Leben. Sie schienen nichts mit mir zu tun zu haben, nicht mehr. Alles war jetzt anders. Die Welt war jetzt anders.

Ich lie? den gedeckten Tisch, wie er war, ein stiller Vorwurf. Julia sah es, als sie gegen zehn nach Hause kam. »Tut mir Leid, Schatz.«

»Ich wei?, du hast viel um die Ohren«, sagte ich.

»Stimmt. Bitte verzeih mir, ja?«

»Ich verzeih dir«, sagte ich.

»Du bist der Beste.« Sie warf mir eine Kusshand zu, vom anderen Ende des Raumes. »Ich hupf mal eben unter die Dusche«, sagte sie. Und sie ging den Flur entlang. Ich sah ihr nach.

Auf dem Weg zum Bad warf sie einen Blick in Amandas Zimmer und huschte dann hinein. Gleich darauf horte ich sie beruhigende Laute von sich geben und das Baby glucksen. Ich stand von meinem Stuhl auf und ging ihr nach.

Im dunklen Kinderzimmer hielt sie Amanda hoch, rieb mit der Nase an ihrer.

Ich sagte: »Julia ... du hast sie wach gemacht.«

»Nein, hab ich nicht, sie war wach. Das warst du doch, mein kleines Kuschelhaschen? Du warst doch wach, nicht wahr, mein Knubbel-Bubbel?«

Das Baby rieb sich mit winzigen Fausten die Augen und gahnte. Ich war sicher, dass sie aufgeweckt worden war.

Julia drehte sich im Dunkeln zu mir um. »Ich schwor's dir. Wirklich. Ich hab sie nicht wach gemacht. Wieso siehst du mich so an?«

»Wie seh ich dich denn an?«

»Das wei?t du genau. Vorwurfsvoll.«

»Ich mach dir keinen Vorwurf.«

Das Baby fing an zu wimmern und dann an zu brullen. Julia fuhlte die Windel. »Ich glaube, sie hat sich nass gemacht«, sagte sie und reichte sie mir, wahrend sie aus dem Zimmer ging. »Sie sind gefragt, Mr. Perfect.«

Jetzt war dicke Luft zwischen uns. Nachdem ich dem Baby die Windel gewechselt und es wieder ins Bett

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