neuen Marotten. Sie benutzte unseren Festnetzanschluss kaum noch; sie telefonierte mit ihrem Handy. Ich hatte sie einmal nach dem Grund dafur gefragt, und sie hatte geantwortet, es sei einfacher so, weil sie viele Ferngesprache fuhren musse, und die Firma ubernehme die Handykosten.

Ich verlangsamte meine Schritte und ging auf dem Teppich. Ich horte sie sagen: »Ja, verdammt, klar mach ich das, aber wir mussen jetzt vorsichtig sein .«

Sie blickte hoch und sah mich kommen. Sofort veranderte sich ihr Tonfall. »Okay, ah ... hor zu, Carol, ich denke, das konnen wir mit einem Anruf in Frankfurt klaren. Schick ein Fax hinterher und sag mir Bescheid, wie er reagiert hat, ja?« Und sie klappte das Handy zu. Ich kam in die Kuche.

»Jack, ich geh au?erst ungern aus dem Haus, bevor die Kinder auf sind, aber .«

»Du musst weg?«

»Leider ja. Ein dringendes Problem in der Firma.«

Ich sah auf meine Uhr. Es war Viertel vor sechs. »Okay.«

Sie sagte: »Tja, kannst du, ahm ... die Kinder ...«

»Klar. Ich kummere mich um alles.«

»Danke. Ich ruf dich an.«

Und weg war sie.

Ich war zu mude, um klar denken zu konnen. Die Kleine schlief noch, und wenn ich Gluck hatte, wurde sie das auch noch ein paar Stunden langer tun. Meine Haushalterin Maria kam um halb sieben ins Haus und stellte die Muslischusseln auf den Tisch. Die Kinder a?en, und ich fuhr sie zur Schule. Ich bemuhte mich nach Kraften, wach zu bleiben. Ich gahnte.

Eric sa? neben mir auf dem Beifahrersitz. Auch er gahnte.

»Noch nicht ganz ausgeschlafen?«

Er nickte. »Diese Manner haben mich wach gehalten«, sagte er.

»Was fur Manner?«

»Die Manner, die letzte Nacht im Haus waren.«

»Was fur Manner?«, sagte ich.

»Die mit den Staubsaugern«, erwiderte er. »Die haben alles abgesaugt. Und sie haben den Geist aufgesaugt.«

Nicole auf dem Rucksitz kicherte. »Den Geist ...«

Ich sagte: »Ich glaube, das hast du getraumt, mein Sohn.« Eric hatte in letzter Zeit oft lebhafte Albtraume, von denen er nachts wach wurde. Ich war mir ziemlich sicher, dass Nicole dafur verantwortlich war, weil sie ihn Horrorfilme mitgucken lie?, obwohl sie genau wusste, dass es ihn verstorte. Nicole war in dem Alter, wo sie am liebsten Filme sah, in denen maskierte Killer Teenager umbrachten, nachdem sie Sex gehabt hatten. Das bekannte Schema: Wer Sex hat, stirbt. Aber Eric war noch nicht alt genug fur so etwas. Ich hatte ihr schon oft verboten, ihn mitgucken zu lassen.

»Nein, Dad, das war kein Traum«, sagte Eric und gahnte wieder. »Die Manner waren wirklich da. Ein ganzer Haufen.«

»Ja, klar. Und was war mit dem Geist?«

»Der war eben ein Geist. Ganz silbern und schimmernd, blo? dass er kein Gesicht hatte.«

»Sicher.« Inzwischen hatten wir vor der Schule gehalten. Und Nicole sagte, ich musste sie um Viertel nach vier statt um Viertel vor vier abholen, weil sie nach dem Unterricht noch eine Theaterprobe hatten, und Eric erklarte, er wurde nicht zum Kinderarzt gehen, wenn er eine Spritze kriegen musste. Ich wiederholte das zeitlose Mantra aller Eltern: »Mal sehen.«

Die beiden kletterten aus dem Wagen und schleppten ihre Schultaschen hinter sich her. Sie hatten beide Rucksacke, die uber zwanzig Pfund wogen. Das ging einfach uber meinen Verstand. Als ich in ihrem Alter war, hatten die Kinder keine schweren Rucksacke. Wir hatten uberhaupt keine Rucksacke. Jetzt hatte anscheinend jedes Kind einen. Man sah kleine Zweitklassler, vornubergebeugt wie Sherpas, die sich unter dem Gewicht ihrer Taschen durch die Schulturen schleppten. Manche Kinder hatten Rucksacke mit Rollen und zogen sie wie Koffer am Flughafen. Das war mir unerklarlich. Die Welt wurde zunehmend digital, alles wurde kleiner und leichter. Aber die Kinder schleppten mehr Gewicht als je zuvor.

Auf einem Elternabend vor zwei Monaten hatte ich das einmal angesprochen. Und die Schulleiterin sagte: »Ja, das ist ein gro?es Problem. Wir sind da alle sehr besorgt.« Und wechselte dann das Thema.

Auch das war mir unerklarlich. Wenn alle sehr besorgt waren, warum wurde dann nichts unternommen? Aber so ist der Mensch nun mal veranlagt. Keiner tut was, ehe es zu spat ist. Wir stellen an der Kreuzung eine Ampel erst auf, nachdem das Kind todlich verungluckt ist.

Ich fuhr wieder nach Hause, durch zah flie?enden Morgenverkehr. Ich dachte, dass ich vielleicht noch zwei Stunden Schlaf kriegen konnte. Das war das Einzige, was mir durch den Kopf ging.

Maria weckte mich gegen elf, indem sie mich heftig an der Schulter ruttelte. »Mr. Forman. Mr. Forman.« Ich war schlaftrunken. »Was ist denn?« »Das Baby.«

Ich war auf der Stelle wach. »Was ist mit ihr?« »Sie Baby sehen, Mr. Forman. Sie ganz ...« Sie machte eine Geste, rieb sich Schulter und Arm. »Sie ist ganz was?« »Sie Baby sehen, Mr. Forman.«

Ich torkelte aus dem Bett und ging ins Kinderzimmer. Amanda stand aufrecht in ihrem Bettchen, hielt sich am Gitter fest. Sie hupfte auf und ab und lachelte glucklich. Alles schien normal, au?er dass sie am ganzen Korper gleichma?ig violett war. Wie ein einziger Bluterguss.

»Ach du Schande«, sagte ich.

Mir graute vor einer weiteren Episode im Krankenhaus, mir graute vor noch mehr Wei?kitteln, die einem nichts sagen konnten, mir graute davor, schon wieder Angst haben zu mussen. Ich war von der vergangenen Nacht noch vollig geschafft. Bei dem Gedanken, dass meine Tochter ernsthaft krank sein konnte, krampfte sich mir der Magen zusammen. Ich ging zu ihr, und sie gluckste vor Freude und lachelte mich an. Sie streckte eine Hand nach mir aus, griff in die Luft, ihr Zeichen, dass ich sie hochnehmen sollte.

Also nahm ich sie hoch. Sie wirkte ganz fidel, fasste sogleich in meine Haare und versuchte, mir die Brille wegzuziehen, so wie sie es immer tat. Ich war erleichtert, obwohl ich ihre Haut jetzt besser sehen konnte. Es sah aus wie ein Bluterguss - es hatte die Farbe eines Blutergusses -, nur dass es den ganzen Korper bedeckte. Amanda sah aus, als ware sie in ein Farbbad getaucht worden. Die Gleichma?igkeit der Farbe war beangstigend.

Ich beschloss, doch den Arzt in der Notaufnahme anzurufen. Ich nestelte in meiner Tasche nach seiner Karte, wahrend Amanda an meiner Brille zog. Ich wahlte einhandig. Ich konnte so ziemlich alles einhandig. Ich hatte ihn gleich am Apparat; er klang uberrascht.

»Oh«, sagte er. »Gerade wollte ich Sie anrufen. Wie geht es Ihrer Tochter?«

»Na ja, sie wirkt ganz munter«, erwiderte ich und zog den Kopf zuruck, damit Amanda nicht an meine Brille kam. Sie kicherte; es war jetzt ein Spiel. »Ihr geht's gut«, sagte ich, »die Sache ist blo? ...«

»Hat sie vielleicht irgendwelche Blutergusse?«

»Ja«, sagte ich. »Allerdings. Deshalb rufe ich ja an.«

»Der Bluterguss ist am ganzen Korper? Gleichma?ig?«

»Ja«, sagte ich. »So gut wie. Wieso fragen Sie?«

»Tja«, sagte der Arzt, »ich habe jetzt die Laborergebnisse vorliegen, und es ist alles normal. Vollig normal. Ein gesundes Kind. Wir warten jetzt nur noch auf die Ergebnisse von der Kernspintomografie, aber das Gerat ist kaputt. Die sagen, es wird ein paar Tage dauern.«

Das standige Kopfwegziehen wurde mir zu viel; ich stellte Amanda wieder in ihr Bettchen und telefonierte weiter. Das gefiel ihr naturlich nicht, und sie verzog das Gesicht, gleich wurde sie losbrullen. Ich gab ihr schnell das Krumelmonster, und sie setzte sich und spielte damit. Ich wusste, das Krumelmonster wurde etwa funf Minuten reichen.

»Jedenfalls«, sagte der Arzt jetzt, »ich bin froh, dass es ihr gut geht.«

Ich sagte, ich sei auch froh.

Es entstand eine Pause. Der Arzt hustelte.

»Mr. Forman, auf dem Aufnahmeformular, das Sie im Krankenhaus ausgefullt haben, steht, dass Sie von Beruf SoftwareEntwickler sind.«

»Das stimmt.«

»Hei?t das, Sie haben mit der Herstellung zu tun?«

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