Gesichtszuge wirkten wie gemei?elt, starker als ich es in Erinnerung hatte, aber vielleicht lag es am Licht.

Ich hatte die Augen nur halb geoffnet. Sie sah nicht, dass ich wach war. Sie knopfte sich weiter die Bluse auf. Ihre Lippen bewegten sich, als wurde sie irgendetwas flustern oder beten. Ihre Augen wirkten leer, gedankenverloren.

Und wahrend ich sie betrachtete, wurden ihre Lippen auf einmal dunkelrot und dann schwarz. Aber sie schien es nicht zu bemerken. Die Schwarze floss von ihrem Mund uber die Wangen und die untere Gesichtshalfte und dann auf ihren Hals. Ich hielt den Atem an. Ich spurte eine gro?e Gefahr. Die Schwarze stromte nun als breites Tuch an ihrem Korper hinab, bis sie ganz bedeckt war, wie von einem Umhang. Nur die obere Halfte ihres Gesichts blieb frei. Ihre Miene war gelassen, ja, Julia wirkte entruckt, starrte einfach ins Leere, wahrend sich ihre dunklen Lippen leise bewegten. Bei ihrem Anblick drang mir eine Kalte tief in die Knochen. Dann, einen Moment spater, glitt das schwarze Tuch auf den Boden und verschwand.

Julia, wieder normal, zog sich die Bluse aus und ging ins Bad.

Ich wollte aufstehen und ihr folgen, aber ich konnte meinen Korper nicht bewegen. Eine schwere Mudigkeit hielt mich fest, lahmte mich formlich. Ich war so erschopft, dass ich kaum noch atmen konnte. Dieses bleierne Mudigkeitsgefuhl nahm rasch zu und uberwaltigte mein waches Bewusstsein. Es war wie eine nahende Ohnmacht, ich schloss die Augen und schlief ein.

4. Tag, 6.40 Uhr

Am nachsten Tag war mir der Traum noch in Erinnerung, lebhaft und beunruhigend. Er kam mir ausgesprochen real vor, uberhaupt nicht wie ein Traum.

Julia war schon auf. Ich stieg aus dem Bett und ging zu der Stelle, wo ich sie in der Nacht gesehen hatte. Ich blickte auf den Teppich, den Nachttisch, die zerwuhlten Laken und das Kopfkissen. Alles war normal, nichts anders als sonst. Nirgendwo dunkle Linien oder Spuren.

Ich ging ins Bad und sah mir die Kosmetika an, die auf ihrer Seite des Waschbeckens ordentlich aufgereiht standen. Alles, was ich sah, war ganz normal. So verstorend mein Traum auch gewesen war, er war und blieb ein Traum.

Doch eines stimmte tatsachlich: Julia war wirklich schoner denn je. Als ich in die Kuche kam, wo sie sich gerade Kaffee eingoss, sah ich, dass ihr Gesicht in der Tat wie gemei?elt wirkte, markanter. Julia hatte immer ein rundliches Gesicht gehabt. Jetzt war es schmal, klar konturiert. Sie sah aus wie ein Topmodel. Auch ihr Korper - als ich ihn mir genauer ansah -kam mir straffer vor, muskuloser. Sie hatte nicht abgenommen, sie sah einfach gut aus, straff, sportlich.

Ich sagte: »Du siehst toll aus.«

Sie lachte. »Das kann ich mir kaum vorstellen. Ich bin vollig erschossen.«

»Wann bist du denn nach Hause gekommen?«

»Gegen elf. Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt.«

»Nein. Aber ich hatte einen komischen Traum.«

»Ach ja?«

»Ja, und zwar ...«

»Mommy! Mommy!« Eric platzte in die Kuche. »Das ist gemein! Nicole lasst mich nicht ins Bad. Seit einer Stunde ist sie schon da drin. Das ist gemein!«

»Dann geh doch in unser Bad.«

»Aber ich brauch doch meine Socken, Mommy. Das ist gemein.«

Das Problem war bekannt. Eric hatte zwei Paar Lieblingssocken, die er so lange trug, bis sie vor Dreck standen. Aus irgendeinem Grund genugten die anderen Socken in seiner Schublade seinen Anspruchen nicht. Warum, konnte er mir bislang nicht erklaren. Aber das morgendliche Sockenanziehen war ein Riesenproblem.

»Eric«, sagte ich, »wir haben doch schon ofter daruber gesprochen, du sollst dir frische Socken anziehen.«

»Aber das sind meine guten!«

»Eric. Du hast haufenweise gute Socken.«

»Das ist gemein, Dad. Seit einer Stunde ist sie da drin, echt.«

»Eric, hol dir andere Socken.«

»Dad .«

Ich zeigte blo? in Richtung seines Zimmers.

»Manno.« Er ging und knurrte vor sich hin, wie gemein das doch war.

Ich wandte mich Julia zu, um unser Gesprach fortzusetzen. Sie blickte mich kuhl an. »Du merkst es nicht mal, was?«

»Was merke ich nicht?«

»Er hat mich angesprochen, und du hast die Situation einfach an dich gerissen. Du hast das Ganze einfach an dich gerissen.«

Augenblicklich wurde mir klar, dass sie Recht hatte. »Tut mir Leid«, sagte ich.

»Ich krieg die Kinder zurzeit nicht sehr oft zu sehen, Jack. Ich finde, ich sollte mit ihnen Sachen klaren konnen, ohne dass du dich einmischst.«

»Tut mir Leid. Ich muss mich jeden Tag mit so was rumschlagen, und da hab ich wahrscheinlich .«

»Das ist wirklich ein Problem, Jack.«

»Ich hab gesagt, dass es mir Leid tut.«

»Ich wei?, was du gesagt hast, aber ich glaube nicht, dass es dir Leid tut, weil sich an deinem Kontrollverhalten nichts andert.«

»Julia«, sagte ich. Jetzt versuchte ich, meine Wut zu kontrollieren. Ich holte Luft. »Du hast Recht. Es tut mir Leid, dass das passiert ist.«

»Du schlie?t mich aus«, sagte sie, »und du haltst mich von meinen Kindern fern .«

»Julia, verdammt noch mal. Du bist doch nie da!«

Frostiges Schweigen. Dann:

»Ich bin sehr wohl da«, sagte sie. »Behaupte ja nicht das Gegenteil.«

»Moment mal, Moment mal. Wann bist du denn da? Wann hast du es das letzte Mal geschafft, beim Abendessen dabei zu sein, Julia? Nicht gestern Abend, nicht vorgestern, nicht vorvorgestern. Die ganze Woche nicht, Julia. Du bist nicht da.«

Sie funkelte mich zornig an. »Ich wei? nicht, was du damit bezweckst, Jack. Ich wei? nicht, was fur ein Spiel du spielst.«

»Ich spiele gar kein Spiel. Ich hab dich was gefragt.«

»Ich bin eine gute Mutter, und ich versuche, einen stressigen Job, einen sehr stressigen Job und die Bedurfnisse meiner Familie unter einen Hut zu bringen. Und ich kriege von dir absolut keine Unterstutzung.«

»Was redest du denn da?«, sagte ich, mit noch lauterer Stimme. Das Ganze kam mir allmahlich vollig absurd vor.

»Du untergrabst meine Position, du sabotierst mich, du bringst die Kinder gegen mich auf«, sagte sie. »Ich durchschaue dich. Bilde dir nicht ein, dass ich nicht sehe, was du da machst. Du unterstutzt mich in keiner Weise. Nach all den Jahren, die wir verheiratet sind, ist es ganz schon mies, was du deiner Frau da antust, das muss ich schon sagen.«

Und sie rauschte aus der Kuche, die Fauste geballt. Sie war so wutend, dass sie nicht mal Nicole bemerkte, die an der Tur stand und alles mit angehort hatte. Und mich anstarrte, als ihre Mutter vorbeisturmte.

Wir waren auf dem Weg zur Schule. »Sie ist verruckt, Dad.« »Nein, ist sie nicht.«

»Du wei?t, dass sie verruckt ist. Du willst es nur nicht zugeben.«

»Nicole, sie ist deine Mutter«, sagte ich. »Deine Mutter ist nicht verruckt. Sie arbeitet in letzter Zeit nur sehr viel.« »Das hast du vorige Woche auch gesagt, nach dem Streit.« »Jawohl, weil es nun mal wahr ist.« »Fruher habt ihr euch nie gestritten.« »In letzter Zeit sind wir beide ganz schon angespannt.« Nicole schnaubte, verschrankte die Arme, starrte geradeaus. »Ich wei? nicht, warum du dir das von ihr gefallen lasst.«

»Und ich wei? nicht, warum du zugehort hast, die Sache geht dich gar nichts an.« »Dad, komm mir doch nicht mit so 'nem Schei?.« »Nicole .«

»T schul-di-gung. Aber du kannst ruhig vernunftig mit mir reden, statt sie die ganze Zeit in Schutz zu

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