»Amanda. Sie hat drauf rumgesabbert oder was wei? ich und ihn kaputtgemacht. Das ist gemein.«
»Hast du die Batterie uberpruft?«
Er bedachte mich mit einem mitleidigen Blick. »Ja klar, Dad. Ich sag dir doch, sie hat ihn kaputtgemacht! Das ist gemein.«
Ich bezweifelte, dass sein MP3-Player kaputt war. Das Ding war ein Festkorperbauelement, ohne bewegliche Teile. Und es war zu gro? fur Amandas kleine Hande. Ich warf die Bohnen in ein Sieb und hielt ihm die Hand hin. »Gib her.«
Wir gingen in die Garage, und ich holte meine Werkzeugkiste heraus. Eric beobachtete jede meiner Bewegungen. Ich hatte einen ganzen Satz von den kleinen Werkzeugen, die man fur Computer und elektronische Gerate braucht. Vier Kreuzschlitzschrauben, und die hintere Abdeckung fiel in meine Hand. Ich blickte jetzt auf die grune Schaltplatte. Sie war mit einer feinen, grauen Staubschicht bedeckt. Wie Fusseln aus einem Waschetrockner, und sie lag uber allen elektronischen Teilen. Ich hatte den Verdacht, dass Eric mit dem Gerat in der Hosentasche beim Baseball an die Home Base gerutscht war. Deshalb funktionierte es wahrscheinlich nicht. Aber ich uberprufte auch noch den Rand des Plastikgehauses, wo die Ruckwand eingepasst wurde, und entdeckte eine Gummidichtung. Das Ding war also luftdicht . wie es sein sollte.
Ich pustete den Staub weg, um besser sehen zu konnen. Ich hoffte, vielleicht einen losen Batterieanschluss zu finden oder einen Speicherchip, der sich vor Hitze gelost hatte, irgendetwas, was sich leicht reparieren lie?. Mit zusammengekniffenen Augen spahte ich auf die Chips, versuchte, die Beschriftung zu lesen. Die Schrift auf einem Chip war undeutlich, denn irgendwas hatte anscheinend .
Ich hielt inne.
»Was ist?«, sagte Eric, der mich beobachtete.
»Gib mir das Vergro?erungsglas.«
Eric gab mir die gro?e Lupe, und ich zog meine Halogenlampe tiefer, beugte mich uber den Chip und nahm ihn genau in Augenschein. Ich konnte die Schrift nicht lesen, weil die Oberflache des Chips zerfressen war. Der gesamte Chip war wie von Bachen durchzogen, ein Flussdelta en miniature. Jetzt war mir klar, wo der Staub herkam. Das waren die pulverisierten Uberreste des Chips.
»Kannst du das reparieren, Dad?«, fragte Eric. »Kannst du?«
Was konnte die Ursache gewesen sein? Das ubrige Motherboard schien in Ordnung. Der Steuerchip war intakt. Nur der Speicherchip war beschadigt. Ich war zwar kein HardwareSpezialist, aber ich hatte dennoch genug Ahnung, um kleinere Computerarbeiten durchfuhren zu konnen. Ich konnte Festplat-ten installieren, die Speicherkapazitat erweitern, solche Sachen eben. Ich hatte auch schon mit Speicherchips zu tun gehabt, aber so etwas war mir noch nie untergekommen. Ich fand nur eine Erklarung, der Chip musste fehlerhaft gewesen sein. Diese MP3-Player wurden vermutlich mit den billigsten Einzelteilen gebaut.
»Dad? Kriegst du ihn wieder hin?«
»Nein«, sagte ich. »Ich brauche einen neuen Chip. Ich besorg dir morgen einen.«
»Weil sie ihn voll gesabbert hat, nicht?«
»Nein. Ich glaube, der Chip ist fehlerhaft.«
»Dad. Er war ein ganzes Jahr in Ordnung. Sie hat ihn voll gesabbert. Das ist gemein!«
Wie aufs Stichwort fing das Baby an zu schreien. Ich lie? den MP3 auf der Werkbank liegen und ging zuruck ins Haus. Ich sah auf meine Uhr. Ich hatte gerade noch Zeit, Amanda die Windel zu wechseln und ihren Brei zum Abendessen anzuruhren, bevor der Braten aus dem Ofen musste.
Um neun Uhr schliefen die beiden Kleinsten bereits, und das Haus war still bis auf Nicoles Stimme, die sagte:
Ich hatte von Julia eine Nachricht auf der Mailbox, dass sie um acht zu Hause sein wurde, aber sie hatte es nicht geschafft. Ich wurde ihr nicht hinterhertelefonieren. Au?erdem war ich mude, zu mude, um die Energie aufzubringen, mir ihretwegen Sorgen zu machen. Ich hatte in den vergangenen Monaten jede Menge Tricks gelernt - die meisten hingen mit dem gro?zugigen Einsatz von Alufolie zusammen, damit ich nicht so viel sauber machen musste -, doch nachdem ich gekocht, den Tisch gedeckt, die Kinder gesattigt, Flugzeug gespielt, damit die Kleine ihren Brei a?, den Tisch abgeraumt, den Hochstuhl abgewischt, das Baby ins Bett gebracht und dann die Kuche sauber gemacht hatte, war ich trotzdem mude. Zumal das Baby den Brei immer wieder ausgespuckt und Eric die ganze Zeit gemakelt hatte, das sei gemein, er wollte Chicken Nuggets statt Braten.
Ich lie? mich aufs Bett fallen und schaltete den Fernseher ein.
Es kam nur Schnee, und dann wurde mir klar, dass der DVDPlayer noch an war und die Verbindung zum Fernsehempfanger unterbrach. Ich druckte die Fernbedienung, und die Disc im Gerat wurde abgespielt. Es war Julias Prasentation, von vor einigen Tagen.
Die Kamera bewegte sich durch die Blutbahn und ins Herz. Wieder sah ich, dass die Blutflussigkeit nahezu farblos war, mit hupfenden roten Blutkorperchen. Julia sprach jetzt. Sie hatte eine Audioeinspielung vom schlagenden Herzen. Die Versuchsperson auf dem Tisch lag reglos da, die Antenne dicht uber dem Korper.
»Wir verlassen jetzt die Herzkammer und sehen die Aorta vor uns ... Und jetzt fahren wir durch das arterielle Gefa?system .«
Sie wandte sich dem Monitor der Nanokamera zu.
»Die Bilder, die Sie sehen, sind sehr schnell, aber wir konnen die Kamera bis zu einer halben Stunde lang im Kreislauf belassen, und wir konnen von allem, was wir sehen wollen, extrem detaillierte Aufnahmen machen. Wir konnen die Kamera sogar anhalten, und zwar mithilfe eines starken Magnetfeldes. Wenn wir fertig sind, leiten wir das Blut einfach durch eine Kanulenschleife um, die von einem starken Magnetfeld umgeben ist, das die Partikel heraussaugt. Und anschlie?end schicken wir den Patienten nach Hause.«
Julia erschien wieder auf dem Bildschirm. »Die Xymos-Technologie ist ungefahrlich, zuverlassig und extrem einfach zu handhaben. Es ist kein speziell ausgebildetes Personal erforderlich; jede Krankenschwester oder MTA kann sie bedienen. Allein in den Vereinigten Staaten sterben jedes Jahr eine Million Menschen an Gefa?erkrankungen. Uber drei?ig Millionen leiden an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die kommerziellen Moglichkeiten dieser Bildtechnologie sind enorm. Weil sie schmerzlos, einfach und ungefahrlich ist, wird sie andere Techniken wie CAT Scans und die Angiografie ersetzen und zum Standardverfahren werden. Wir werden die Nanoka-meras, die Antennen und Monitorsysteme vermarkten. Die Kosten fur eine Untersuchung mit unserer Methode liegen bei nur zwanzig Dollar. Im Vergleich dazu belaufen sich bei gewissen Gentechnologien die Kosten pro Untersuchung gegenwartig auf zwei- bis dreitausend Dollar. Doch selbst bei lediglich zwanzig Dollar erwarten wir schon im ersten Jahr weltweite Einnahmen von bis zu vierhundert Millionen Dollar. Und sobald sich die Methode durchgesetzt hat, werden sich diese Zahlen verdreifachen. Es geht hier um eine Technologie, die eins Komma zwei Milliarden Dollar im Jahr abwirft. Wenn Sie jetzt noch Fragen haben ...«
Ich gahnte und schaltete den Fernseher aus. Es war beeindruckend, und ihre Argumente waren uberzeugend. Ich konnte gar nicht verstehen, warum Xymos Probleme hatte, die Finanzierung fur die nachste Runde sicherzustellen. Investoren mussten sich doch die Finger danach lecken.
Aber vielleicht gab es gar keine Probleme. Vielleicht schob Julia die Finanzierungskrise nur vor, um jeden Abend spat nach Hause kommen zu konnen. Aus ganz personlichen Grunden.
Ich machte das Licht aus. Als ich im Bett lag und im Dunkeln an die Decke starrte, schossen mir fluchtige Bilder durch den Kopf. Julias Oberschenkel, uber dem Bein eines anderen Mannes. Julias durchgedruckter Rucken. Julia, die schwer atmete, die Muskeln angespannt. Ihre Hand, die nach oben griff, um gegen das Kopfende des Bettes zu drucken. Ich konnte die Bilder einfach nicht verscheuchen.
Schlie?lich stand ich auf und sah nach den Kindern. Nicole war noch auf und schrieb E-Mails an ihre Freundinnen. Ich sagte ihr, es sei Zeit, das Licht auszumachen. Eric hatte seine Bettdecke weggetreten. Ich zog sie wieder hoch. Amanda war noch immer violett, aber sie schlief tief und fest, ihr Atem sanft und regelma?ig.
Ich ging wieder ins Bett. Ich zwang mich, an etwas anderes zu denken, um endlich einzuschlafen. Ich warf mich hin und her, drehte mich von einer Seite auf die andere, ruckte das Kopfkissen zurecht, stand auf, um ein Glas Milch zu trinken und Platzchen zu essen. Schlie?lich und endlich fiel ich in einen unruhigen Schlaf.
Und ich hatte einen sehr merkwurdigen Traum.
Irgendwann in der Nacht drehte ich mich um und sah Julia neben dem Bett stehen und sich ausziehen. Sie bewegte sich langsam, als ware sie mude oder ganz vertraumt, wahrend sie ihre Bluse aufknopfte. Sie stand von mir abgewandt, aber ich konnte ihr Gesicht im Spiegel sehen. Sie sah wunderschon aus, fast koniglich. Ihre