»Nein. Ich bin in der Programmentwicklung.«

»Und wo arbeiten Sie?«

»Im Valley.«

»Sie arbeiten nicht in einer Fabrik, zum Beispiel?«

»Nein. Ich arbeite in einem Buro.«

»Ich verstehe.« Pause. »Darf ich fragen, wo?«

»Ehrlich gesagt, zurzeit bin ich arbeitslos.«

»Verstehe. Aha. Wie lange schon?«

»Sechs Monate.«

»Verstehe.« Ein kurzes Zogern. »Tja, gut, das wollte ich nur abklaren.«

Ich sagte: »Wieso?« »Bitte?«

»Wieso haben Sie mir diese ganzen Fragen gestellt?«

»Oh. Die stehen auf dem Formular.«

»Was fur ein Formular?«, fragte ich. »Ich habe im Krankenhaus alle Formulare ausgefullt.«

»Das ist ein zusatzliches Formular«, sagte er. »Eine Anfrage vom Gesundheitsministerium.«

Ich sagte: »Wieso denn das?«

»Es ist noch ein Fall gemeldet worden«, sagte er, »ganz ahnlich wie bei Ihrer Tochter.«

»Wo?«

»Sacramento General Hospital.«

»Wann?«

»Vor funf Tagen. Aber die Situation ist vollig anders. Ein zweiundvierzigjahriger Botaniker hat drau?en in der Sierra Nevada geschlafen, ein Experte fur Wildblumen. Da muss es irgendeine seltene Blume geben. Jedenfalls wurde er in Sacra-mento ins Krankenhaus eingeliefert. Und er hatte den gleichen klinischen Verlauf wie Ihre Tochter - plotzlicher, unerwarteter Ausbruch, kein Fieber, schmerzhafte Hautrotung.«

»Und eine Kernspintomografie hat den Spuk beendet?«

»Ich wei? nicht, ob bei ihm eine gemacht wurde«, sagte er. »Aber wie es aussieht, hort dieses Syndrom - was immer es auch ist - von selbst auf. Ein sehr plotzlicher Ausbruch und ein sehr abruptes Ende.«

»Geht's ihm wieder gut? Dem Botaniker?«

»Er ist quietschfidel. Ein paar Tage Bluterguss, und das war's.«

»Schon«, sagte ich. »Das freut mich zu horen.«

»Das dachte ich mir«, entgegnete er. Dann sagte er, es konne sein, dass er spater noch ein paar Fragen habe, und ob er noch mal anrufen durfe? Ich erwiderte, er konne das tun, wann immer er wolle. Er bat mich, ihn zu kontaktieren, falls bei Amanda irgendeine Veranderung auftrat, und ich versprach es und legte auf.

Amanda hatte das Interesse am Krumelmonster verloren und stand jetzt wieder im Kinderbett, hielt sich mit einer Hand am Gitter fest und streckte die andere nach mir aus, packte mit ihren kleinen Fingern in die Luft.

Ich nahm sie auf den Arm - und sofort riss sie mir die Brille weg. Ich griff danach, und meine Tochter quietschte vor Vergnugen. »Amanda ...« Aber zu spat, sie warf die Brille auf den Boden.

Ich blinzelte.

Ohne Brille sehe ich schlecht. Die Brille hatte ein Drahtgestell und war deshalb nicht gut zu erkennen. Ich ging auf die Knie, das Baby auf dem Arm, und lie? meine freie Hand kreisformig uber den Boden gleiten, in der Hoffnung, Glas zu beruhren. Ohne Erfolg. Ich blinzelte angestrengt, bewegte mich langsam vorwarts, suchte wieder mit der Hand. Noch immer nichts. Dann sah ich unter dem Bett etwas glanzen. Ich setzte das Baby hin, kroch ein Stuck darunter, nahm die Brille und setzte sie auf. Dabei stie? ich mir den Kopf am Bettgestell an und senkte ihn dann wieder, so tief es ging.

Und plotzlich fiel mein Blick auf die Steckdose an der Wand unter dem Kinderbett. Es war ein kleines Plastikkastchen eingestopselt. Ich zog es heraus und sah es mir an. Es war ein funf Zentimeter gro?er Wurfel, anscheinend ein handelsublicher Uberspannungsschutz, hergestellt in Thailand. Die Eingangs- und Ausgangsspannung war in das Plastik eingepragt. An der Unterseite befand sich ein wei?es Etikett mit der Aufschrift »PROP. SSVT« und einem Strichcode. Ein ganz normaler Aufkleber, mit denen Hersteller ihre Produkte versehen.

Ich drehte den Wurfel in der Hand. Wo kam der her? Ich kummerte mich seit sechs Monaten allein um das Haus. Ich wusste, wo alles war. Und Amanda brauchte wei? Gott keinen

Uberspannungsschutz in ihrem Zimmer. Den benotigte man nur fur empfindliche elektronische Gerate, beispielsweise fur Computer.

Ich stand auf und blickte mich im Zimmer um, sah nach, ob sonst noch etwas anders war. Zu meiner Verbluffung merkte ich, dass alles anders war - aber nur ein kleines bisschen. Der Schirm von Amandas Nachtlicht war mit Pu-der-Bar-Figuren bedruckt.

Ich hatte ihn immer so gedreht, dass Tieger zum Bettchen meiner Tochter schaute, weil sie Tieger am liebsten mochte. Jetzt war I-Ah zum Bett hin gedreht. Die Unterlage auf der Wickelkommode hatte in einer Ecke einen Fleck; normalerweise war der Fleck unten links, jetzt war er oben rechts. Amandas Salben gegen einen wunden Po bewahrte ich stets auf der Ablage links auf, au?erhalb ihrer Reichweite. Jetzt waren sie so nahe, dass sie drankommen konnte. Und es war noch mehr verandert .

Die Haushalterin kam herein. »Maria«, sagte ich, »haben Sie hier im Zimmer sauber gemacht?«

»Nein, Mr. Forman.«

»Aber das Zimmer ist anders«, sagte ich.

Sie schaute sich um und zuckte die Achseln. »Nein, Mr. Forman. Gleich.«

»Nein, nein«, beteuerte ich. »Es ist anders. Schauen Sie.« Ich zeigte auf den Lampenschirm, die Wickelunterlage. »Anders.«

Sie zuckte wieder die Achseln. »Okay, Mr. Forman.« Ich sah die Verwunderung in ihrem Gesicht. Entweder sie verstand nicht, was ich wollte, oder sie hielt mich fur verruckt. Und vermutlich wirkte ich ja auch ein bisschen verruckt, ein erwachsener Mann, der sich wegen eines Pu-der-Bar-Lampenschirms aufregte.

Ich zeigte ihr den Wurfel in meiner Hand. »Haben Sie das schon mal gesehen?«

Sie schuttelte den Kopf. »Nein.«

»Das war unter dem Kinderbett.«

»Ich wei? nicht, Mr. Forman.« Sie nahm den Wurfel, sah ihn sich von allen Seiten an, drehte ihn in der Hand. Sie zuckte die Achseln und gab ihn mir wieder. Sie benahm sich zwanglos, aber ihre Augen waren wachsam. Allmahlich wurde mir die Sache peinlich.

»Schon gut, Maria«, sagte ich. »Vergessen Sie's.«

Sie buckte sich, um das Baby hochzunehmen. »Ich futtere sie jetzt.«

»Ja, in Ordnung.«

Ich verlie? das Zimmer, kam mir blod vor.

Nur zum Spa? suchte ich im Internet nach »SSVT«. Ich fand Links zum Sri-Siva-Vishnu-Tempel, zu Informationen uber ein Ausbildungslager der SS-Verfugungstruppe in Konitz, zu einem Versandhandel von Nazi- Insignien, zu Subsystems Sample Display Technology, South Shore Vocational-Technical School, Optical VariTemp Cryostat Systems, zu einem Fu?bodenhersteller namens Solid Surfacing Veneer Tiling, zu einer Band namens Slingshot-Venus, zur Swiss Shooting Federation - und von da an ging es nur noch weiter bergab.

Ich drehte mich vom Computer weg.

Ich blickte zum Fenster hinaus.

Maria hatte mir eine Einkaufsliste gegeben, in ihrer krakeligen Handschrift. Ich sollte die Einkaufe wirklich erledigt haben, ehe ich die Kinder abholte. Aber ich ruhrte mich nicht. Es gab Zeiten, wo das unnachgiebige Tempo des Lebens zu Hause mich einfach fertig machte und ich mich vollig erschopft und leer fuhlte. In solchen Zeiten musste ich einfach ein paar Stunden sitzen.

Ich wollte mich nicht ruhren. Nicht jetzt.

Ich fragte mich, ob Julia heute Abend anrufen und ob sie diesmal eine andere Entschuldigung haben wurde. Ich fragte mich, was ich machen wurde, falls sie eines Tages hereinkam und verkundete, dass sie einen anderen liebe. Was wurde ich machen, wenn ich bis dahin keinen Job hatte?

Wann wurde ich wieder einen Job haben? Ich drehte den kleinen Uberspannungsschutz-Wurfel trage in der Hand, wahrend ich meinen Gedanken nachhing.

Drau?en, direkt vor meinem Fenster, stand ein gro?er Korallenbaum mit dicken Blattern und grunem

Вы читаете Beute (Prey)
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×