Durchbruch im Bereich Kunstliches Leben bringen wird.«

»Das wird sie auch«, sagte ich nickend.

In den vergangenen paar Jahren hatte das Kunstliche Leben die Kunstliche Intelligenz als langfristiges Computerziel abgelost. Es sollten Programme geschrieben werden, die die Eigenschaften von Lebewesen aufwiesen - die Fahigkeit, sich zu adaptieren, zu kooperieren, zu lernen, sich Veranderungen anzupassen. Viele solcher Eigenschaften waren in der Robotik von gro?er Bedeutung, und sie wurden mittels Parallelverarbeitung bereits ansatzweise realisiert.

Durch Parallelverarbeitung konnte die Arbeit auf mehrere Prozessoren oder auf ein Netzwerk virtueller Agenten, die im Computer geschaffen wurden, verteilt werden. Um dies zu erreichen, gab es verschiedene Moglichkeiten. Man schuf eine gro?e Population von recht dummen Agenten, die gemeinsam ein Ziel verfolgten - genau wie eine Kolonie von Ameisen zielorientiert zusammenarbeitete. Mein eigenes Team hatte hierzu viel geforscht.

Eine weitere Methode bestand darin, ein so genanntes neuronales Netzwerk zu erzeugen, das die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns imitierte. Es hatte sich herausgestellt, dass selbst einfache neuronale Netze verbluffende Fahigkeiten aufwiesen. Sie konnten lernen. Sie konnten auf fruheren Erfahrungen aufbauen. Auch damit hatten wir uns beschaftigt.

Au?erdem - das war die dritte Technik - wurden virtuelle Gene im Computer erzeugt, wo sie sich dann in einer virtuellen Welt entwickeln konnten, bis irgendein Ziel erreicht war.

Und es gab noch etliche andere Verfahren. Insgesamt wichen alle enorm ab von der alteren Vorstellung von Kunstlicher Intelligenz, kurz KI. Fruher versuchten Programmierer fur jede Situation Regeln zu erstellen. So wollten sie beispielsweise Computern beibringen, dass ein Kunde in einem Geschaft bezahlen musste, bevor er ging. Doch wie sich herausstellte, war dieses auf simplem gesundem Menschenverstand basierende Wissen ungeheuer schwer zu programmieren. Der Computer machte standig Fehler. Neue Regeln wurden hinzugefugt, um diese Fehler auszumerzen. Dann noch mehr Fehler und noch mehr Regeln. Schlie?lich waren die Programme gigantisch, Millionen von Codezeilen lang, und sie versagten schon allein aufgrund ihrer Komplexitat. Sie waren zu gro?, um sie fehlerfrei hinzubekommen. Man konnte gar nicht mehr feststellen, wo die Probleme lagen.

Man gelangte also allmahlich zu der Einsicht, dass eine auf Regeln basierende Kunstliche Intelligenz nicht funktionieren wurde. Deshalb wurde sie von vielen bereits totgesagt. Die Achtzigerjahre gaben den Englischprofessoren Auftrieb, die uberzeugt waren, dass Computer es niemals mit menschlicher Intelligenz wurden aufnehmen konnen.

Doch verteilte Agentennetzwerke offneten vollig neue Turen. Und auch die Programmierphilosophie war neu. Bisher programmierte man »von oben nach unten«. Dem System als Ganzem wurden Verhaltensregeln vorgeschrieben.

Jetzt ging es »von unten nach oben«. Das Programm definierte die Reaktionsweise einzelner Agenten auf dem untersten Strukturlevel. Doch das Verhalten des gesamten Systems wurde nicht vorbestimmt. Es entwickelte sich aus der Summe von hunderten kleinen Interaktionen, die sich auf einer unteren Ebene vollzogen.

Weil das System nicht programmiert wurde, konnte es erstaunliche Resultate erzielen. Und zwar Resultate, die von den Programmierern nicht vorausgesagt werden konnten. Das war der Grund, warum sie »lebensahnlich« erscheinen konnten. Und das Gebiet war deshalb so hei?, weil .

»Jack.«

Annie klopfte mir auf die Hand. Ich blinzelte.

»Jack, haben Sie uberhaupt ein Wort von dem gehort, was ich eben gesagt habe?«

»Tut mir Leid.«

»Sie widmen mir nicht Ihre volle Aufmerksamkeit«, sagte sie. Sie blies mir Zigarettenrauch ins Gesicht. »Ja, Sie haben Recht, Sie sind auf einem hei? umkampften Gebiet. Aber deshalb sollten Sie sich erst recht Sorgen wegen Ihres Ladenhuterdaseins machen. Sie sind schlie?lich kein Elektroingenieur, der sich auf CD-Laufwerke spezialisiert hat. Hei?e Gebiete verandern sich schnell. Sechs Monate konnen uber Erfolg oder Untergang einer Firma entscheiden.«

»Ich wei?.«

»Sie sind gefahrdet, Jack.«

»Ich verstehe.«

»Also. Sprechen Sie mit Ihrer Frau? Bitte?«

»Ja.«

»Okay«, sagte sie. »Aber tun Sie's auch wirklich. Denn sonst kann ich Ihnen nicht helfen.« Sie warf ihre brennende Zigarette in den Rest meines Cappuccinos. Die Glut zischte und erlosch. Annie klappte ihren Laptop zu, stand auf und ging.

Ich rief Julia an, erreichte sie aber nicht. Ich sprach ihr eine Nachricht auf die Mailbox. Ich wusste, dass es reine Zeitverschwendung war, das Thema Umzug uberhaupt anzusprechen. Sie wurde mit Sicherheit Nein sagen - vor allem dann, wenn sie einen Liebhaber hatte. Aber Annie hatte Recht, ich war in Schwierigkeiten. Ich musste etwas unternehmen. Ich musste sie fragen.

Ich sa? an meinem Schreibtisch, drehte das SSVT-Kastchen in der Hand und uberlegte, was ich tun sollte. Ich hatte noch anderthalb Stunden Zeit, bis ich die Kinder abholen musste. Ich wollte wirklich mit Julia sprechen. Ich beschloss, es uber die Zentrale ihrer Firma zu versuchen, vielleicht wusste man dort, wo sie war.

»Xymos Technologies.«

»Julia Forman bitte.«

»Ich verbinde.« Etwas klassische Musik, dann eine andere Stimme. »Buro Miss Forman.«

Ich erkannte Carol, ihre Assistentin. »Carol, ich bin's, Jack.«

»Oh, hallo, Mr. Forman. Wie geht's Ihnen?«

»Danke, gut.«

»Sie mochten bestimmt Julia sprechen?«

»Ja, genau.«

»Sie ist heute den ganzen Tag in Nevada, im Fertigungswerk. Soll ich versuchen, Sie zu verbinden?«

»Ja, bitte.«

»Einen Moment.«

Ich kam in die Warteschleife. Fur eine ganze Weile.

»Mr. Forman, sie ist die ganze nachste Stunde in einer Besprechung. Ich erwarte anschlie?end ihren Anruf. Soll sie Sie anrufen?«

»Ja, bitte.«

»Soll ich ihr irgendetwas ausrichten?«

»Nein«, erwiderte ich. »Sagen Sie ihr blo?, sie soll mich anrufen.«

»Okay, Mr. Forman.«

Ich legte auf, starrte ins Leere, drehte das SSVT-Kastchen in der Hand. Sie ist heute den ganzen Tag in Nevada. Julia hatte mir nichts davon gesagt, dass sie nach Nevada musste. Ich lie? das Gesprach mit Carol noch einmal Revue passieren. Hatte Carol verlegen geklungen? Deckte sie sie? Ich konnte es nicht genau sagen. Ich konnte gar nichts mehr genau sagen. Ich starrte zum Fenster hinaus, und auf einmal gingen die Sprinkler an, schossen kegelformige Schauer uber den ganzen Rasen. Aber es war genau in der Mittagshitze, der falsche Zeitpunkt zum Wassern. Der Rasensprenger durfte gar nicht anspringen. Er war doch erst neulich eingestellt worden.

Ich wurde sehr niedergeschlagen, wahrend ich die Wasser-schleier anstarrte. Es stimmte einfach nichts mehr. Ich hatte keinen Job, meine Frau war nie da, die Kinder waren Nervensagen, ich hatte standig das Gefuhl, ihnen nicht gerecht zu werden - und jetzt machten auch noch die verdammten Sprinkler, was sie wollten. Wenn sie jetzt wasserten, wurde der ganze verdammte Rasen durch die Sonne verbrennen.

Und dann fing das Baby an zu schreien.

Ich wartete auf Julias Anruf, der nicht kam. Ich schnitt furs Abendessen Hahnchenbrust in Streifen (das geht besonders gut, wenn sie kalt ist, fast gefroren), weil Chicken Nuggets ein weiteres Gericht war, woruber sie niemals meckerten. Ich setzte Reis auf. Ich sah mir die Mohren im Kuhlschrank an und beschloss, sie - obwohl schon etwas alt - zu nehmen.

Beim Mohrenhacken schnitt ich mir in den Finger. Es war keine tiefe Wunde, aber es blutete stark, und das Pflaster konnte die Blutung nicht stoppen. Es kam durch, und ich klebte etliche Male ein neues Pflaster auf. Es war

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