»Hort sich gut an«, sagte ich.

Wir fuhren weiter. Jetzt waren wir direkt gegenuber von Bobby. Sein Scheinwerfer warf ein schwaches Licht auf den Boden um uns herum, fast wie Mondlicht. Ich winkte ihm zu, herunterzukommen. Er wendete sein Gefahrt und fuhr in westliche Richtung los. Ohne das Licht seines Scheinwerfers war der Boden plotzlich dunkler, geheimnisvoller.

Und dann sahen wir Rosie.

Rosie Castro lag auf dem Rucken, den Kopf so geneigt, dass es aussah, als wurde sie nach hinten schauen, mich direkt anschauen, die Augen aufgerissen, einen Arm mir entgegengestreckt, die blasse Hand geoffnet. Sie hatte einen flehenden -oder panischen - Ausdruck im Gesicht. Die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt, und ihr Korper ruckte steif, wahrend er sich uber niedrige Straucher und Kakteen bewegte.

Sie wurde weggeschleift - aber es war kein Tier zu sehen, das sie zog.

»Mach besser das Licht aus«, sagte Mae.

»Aber ich seh nicht, was sie von der Stelle bewegt ... unter ihr ist so was wie ein Schatten ...«

»Das ist kein Schatten«, sagte Mae. »Das sind sie.«

»Sie schleifen sie weg?«

Sie nickte. »Mach das Licht aus.«

Ich schaltete den Scheinwerfer aus. Wir standen im Dunkeln. Ich sagte: »Ich dachte, die Schwarme hatten nicht langer als drei Stunden Energie.«

»Das hat Ricky gesagt.«

»Dann hat er wieder gelogen?«

»Oder sie haben diese Beschrankung inzwischen uberwunden.«

Die Vorstellung war beunruhigend. Wenn die Schwarme mittlerweile die Nacht hindurch Energie halten konnten, dann waren sie vielleicht aktiv, wenn wir ihr Versteck aufspurten. Ich hatte fest damit gerechnet, dass sie dann in sich zusammengefallen waren, die Partikel auf dem Boden verstreut. Ich hatte sozusagen vor, sie im Schlaf zu toten. Jetzt war damit zu rechnen, dass sie gar nicht schliefen.

Wir standen in der kuhlen Nachtluft und dachten nach. Schlie?lich sagte Mae: »Sind diese Schwarme nicht nach dem Vorbild von Insektenverhalten programmiert worden?«

»Eigentlich nicht«, sagte ich. »Vorlage fur die Programmierung war das Rauber-Beute-Muster. Aber weil der Schwarm eine Population von interagierenden Partikeln ist, wird er sich bis zu einem gewissen Grad wie jede Population interagieren-der Partikel verhalten, zum Beispiel wie Insekten. Warum?«

»Insekten konnen Plane ausfuhren, die mehr Zeit in Anspruch nehmen, als uberhaupt eine einzige Generation lebt. Zum Beispiel Nester bauen, fur den Bau sind haufig viele Generationen erforderlich. Das ist doch so, oder?«

»Ich glaube schon .«

»Dann ware doch denkbar, dass ein Schwarm den Leichnam eine Zeit lang tragt, und ein anderer macht dann weiter. Vielleicht waren bisher drei oder vier Schwarme beteiligt. Auf diese Weise muss keiner von ihnen nachts drei Stunden arbeiten.«

Diese Vorstellung gefiel mir nicht viel besser. »Das wurde bedeuten, dass die Schwarme zusammenarbeiten«, sagte ich. »Es wurde bedeuten, dass sie koordiniert sind.«

»Das sind sie doch inzwischen ganz offensichtlich.«

»Aber das ist nicht moglich«, antwortete ich ihr. »Sie verfugen namlich nicht uber die Fahigkeit, sich Signale zu geben.«

»Vor einigen Generationen war das noch nicht moglich«, sagte Mae. »Inzwischen schon. Denk an die V- Formation, als sie auf dich losgegangen sind. Sie waren koordiniert.«

Das stimmte. Ich hatte es in dem Augenblick blo? nicht begriffen. Und wie ich jetzt so in der nachtlichen Wuste stand, fragte ich mich, was ich vielleicht noch alles nicht begriffen hatte. Ich spahte angestrengt in die Dunkelheit und versuchte, etwas zu erkennen.

»Wo bringen sie sie hin?«, sagte ich.

Mae offnete den Rei?verschluss meines Rucksacks und nahm eine Nachtsichtbrille heraus. »Versuch's damit.«

Ich wollte ihr umgekehrt helfen, doch sie hatte schon geschickt ihren Rucksack abgenommen, offnete ihn und holte ihre eigene Nachtsichtbrille hervor. Ihre Handgriffe waren flink, sicher.

Ich setzte mir die Brille auf, stellte den Riemen ein und klappte die Glaser nach unten uber die Augen. Es war das neue Gen-4-Modell, und es zeigte Bilder in gedampften Farben. Fast sofort sah ich Rosie in der Wuste. Ihr Korper verschwand gerade hinter Gestrupp, wahrend sie sich immer weiter entfernte.

»Also, wo bringen sie sie hin?«, sagte ich wieder. Noch wahrend ich sprach, schwenkte ich die Brille hoher und sah sofort, wo sie sie hinbrachten.

Aus einiger Entfernung erweckte es den Anschein eines natur-lichen Gebildes - ein dunkler Erdhugel, knapp funf Meter breit und etwa zwei Meter hoch. Die Erosion hatte tiefe, vertikale Spalten in den Hugel geschnitten, sodass er ein wenig an ein riesiges, hochkant stehendes Zahnrad erinnerte. Er wirkte so naturlich, dass er leicht zu ubersehen war.

Aber er war nicht naturlich. Und sein gemei?eltes Au?eres war nicht auf Erosion zuruckzufuhren. Im Gegenteil, was ich da vor mir hatte, war ein kunstliches Gebilde, ahnlich den Nestern, die von afrikanischen Termiten oder anderen Insekten gebaut werden.

Mae hatte das zweite Nachtsichtgerat auf und beobachtete eine Weile schweigend, dann sagte sie: »Willst du mir jetzt erzahlen, das da ist das Ergebnis von selbst organisiertem Verhalten? Das Verhalten, dieses Ding da zu bauen, ist von ganz allein entstanden?«

»Ja«, sagte ich. »Genau das ist passiert.«

»Kaum zu glauben.«

»Ich wei?.«

Mae war eine gute Biologin, aber sie war Primatenforscherin. Sie befasste sich mit kleinen Populationen hochintelligenter Tiere, die Dominanzhierarchien und Gruppenfuhrer hatten. Ihrem Verstandnis nach war komplexes Verhalten das Ergebnis von komplexer Intelligenz. Und sie konnte sich nur schwer vorstellen, wozu selbst organisiertes Verhalten innerhalb einer sehr gro?en Population von dummen Tieren fahig war.

Das war ubrigens ein tief sitzendes menschliches Vorurteil: Menschen gingen davon aus, dass eine Gesellschaft eine zentrale Fuhrung brauchte. Staaten hatten Regierungen. Unternehmen hatten ein Management. Schulen hatten Direktoren. Armeen hatten Generale. Menschen glaubten gemeinhin, dass eine Gesellschaft ohne zentrale Fuhrung im Chaos versinken wurde und nichts Vernunftiges zu Stande brachte.

Davon ausgehend, war es nur schwer zu begreifen, dass extrem dumme Wesen mit einem Gehirn kleiner als ein Nadel-kopf Bauprojekte verwirklichen konnten, die komplizierter waren als alles, was der Mensch je geschaffen hatte. Aber so war es.

Afrikanische Termiten waren da ein klassisches Beispiel. Diese Insekten bauten regelrechte Wohnburgen von drei?ig Metern Durchmesser mit Turmen, die sechs Meter hoch in die Luft ragten. Um diese Leistung richtig zu wurdigen, musste man sich nur vorstellen, dass diese Bauten, wenn Termiten so gro? wie Menschen waren, Wolkenkratzer von einer Meile Hohe und funf Meilen Durchmesser waren. Und wie ein Wolkenkratzer hatte der Termitenhugel eine ausgeklugelte Innenarchitektur, die fur frische Luft sorgte, uberschussiges CO2 und Hitze abfuhrte und so fort. Im Innern des Baus befanden sich Garten, wo die Nahrung wuchs, Gemacher fur das konigliche Paar und Platz fur sage und schreibe zwei Millionen Termiten. Kein Hugel war genau wie der andere; jeder wurde entsprechend den Bedingungen und Vorteilen der jeweiligen Umgebung gebaut.

Und das alles gelang ohne Architekt, ohne Vorarbeiter, ohne zentrale Autoritat. Es war auch kein Konstruktionsplan in den Termitengenen einprogrammiert. Die gigantischen Schopfungen waren stattdessen das Ergebnis von verhaltnisma?ig einfachen Regeln der Termiten im Umgang miteinander. (Regeln wie: »Wenn du riechst, dass eine Termite hier war, leg ein Sandkugelchen an die Stelle.«) Und dennoch war das Ergebnis unbestreitbar komplexer als jedes menschliche Werk.

Was wir jetzt vor Augen hatten, war das neue Werk eines neuen Geschopfes, und wieder war der Entstehungsprozess schwer vorstellbar. Wie konnte ein Schwarm uberhaupt einen Hugel errichten? Doch allmahlich wurde mir klar, dass es hier drau?en in der Wuste mu?ig war, diese Frage zu stellen. Die Schwarme veranderten sich schnell, fast von Minute zu Minute. Der naturliche menschliche Impuls, es begreifen zu wollen, war Zeitverschwendung. Hatte man es endlich begriffen, war schon wieder alles anders.

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