rauhen See kreuzen mussen, bevor sie in heimatliche Gewasser kamen. Das war an sich nicht fatal; Flandry konnte durch die E?offnung seines Helms auch einheimische Nahrungsmittel zu sich nehmen. Der Geschmack allerdings war eine andere Sache.

Mehr als das beschaftigte seine Gedanken die Tatsache, da? man ihn abgeschossen hatte. Eine Art Unterseeboot, das auch fliegen konnte, hatte sich plotzlich aus dem Wasser gehoben, seinen Hilferuf mit Storgerauschen ubertont und die Maschine mit einer Lenkrakete getroffen. Wenigstens erklarte sich Flandry den Vorgang so; vielleicht war es auch ein Feuerstrahl gewesen, der seine Maschine zerstort und ihn zum Fallschirmabsprung gezwungen hatte.

Wie er so auf den schwankenden Schiffsplanken stand und uber die bewegte See hinausstarrte, kam Ferok an seine Seite, ein Mitglied der Besatzung und ein wackerer Mann, der sich beim Rettungsmanover hervorgetan hatte. „Wenn die vaz-Siravo gemerkt haben, da? du am Leben geblieben bist, werden sie vielleicht kommen und dich suchen.“

„Ja“, sagte Flandry, nach weiteren Worten suchend. Seine Kenntnisse der Sprache und der Gebrauche kursovikischer Einwohner waren so luckenhaft, wie sie nach einem dreimonatigen Schnellkursus sein mu?ten. Er spreizte die Beine gegen das Rollen und Stampfen des Schiffes, ein gro?er, schlaksiger Junge mit braunen Haaren, grauen Augen und einem langen, ebenma?igen Gesicht, das Starkads Sonne dunkel gebrannt hatte. Vor ihm tanzte und schimmerte ein endloser grunlicher Ozean mit Sonnengesprenkel und Schaumkronen auf den kurzen, steilen Wogen. Tiefziehende Wolkenbanke schoben sich uber den Himmel. Der kurze Tag neigte sich seinem Ende zu, und die Temperatur, in diesen mittleren nordlichen Breiten niemals hoch, sank. Flandry frostelte.

Ferok war ihm — wie konnte es anders sein — ganz und gar unahnlich. Der Landstarkadier, Getigerte, Toborko oder wie immer man ihn nennen wollte, war wie ein kurzleibiger und dazu extrem langbeiniger Mensch gebaut. Vierfingrige Hande, gro?e, klauenbewehrte Fu?e, ein Stummelschwanz und ein runder Kopf mit Segelohren, Schlitznase und gro?en, schraggestellten Augen machten aus der Nahe zunichte, was auf den ersten Blick an Menschenahnlichkeit denken lie?. Ein glattes, kurzhaariges Fell mit schwarzen und ockergelben Streifen und einem wei?en Kehlfleck bedeckte seinen Korper.

Ferok trug als einzige Bekleidung einen perlenbestickten Beutel. Auf seinem Rucken hing in lederner Scheide ein langes Krummschwert. Er war Bootsmann, was fur einen Mann von Kursoviki ein hoher Rang war. Au?erdem war er einer von Kapitan Dragoikas Liebhabern. Flandry mochte ihn.

Ferok hob ein Teleskop und suchte den Horizont ab. Das Teleskop war eine einheimische Erfindung; Kursoviki galt als Zentrum von Starkads am meisten fortgeschrittener Landkultur. „Noch nichts zu sehen“, meinte er. „Glaubst du, da? ein fremdes Flugboot angreifen wird?“

„Ich glaube nicht“, sagte Flandry. „Die Merseier greifen selten selbst in irgendwelche Aktionen ein, und wenn sie es tun, dann als Einzelpersonen und nicht als Vertreter ihres Volkes. So machen wir es auch. Keiner mochte den anderen provozieren.“

Flandry drehte sich um und uberblickte das Deck. Die „Archer“ war fur starkadische Begriffe ein gro?es Schiff. Es mochte etwa funfhundert Tonnen haben, war breit gebaut, mit rundem Bug und hohem Heckaufbau. Der Kluverbaum war reich geschnitzt und zeigte im Sinne einer Galionsfigur die Darstellung eines Schutzgeistes. Mittschiffs erhob sich ein Deckhaus mit Werkstatten. Alles war bunt bemalt, und die drei Masten trugen gelbe, viereckige Segel. Im Moment befand sich fast die gesamte Mannschaft an Deck, drei?ig mannliche Matrosen und funf oder sechs weibliche Offiziere, und die Matrosen an den Schoten hatten alle Hande voll zu tun, wahrend das Schiff gegen den Wind kreuzte. Die „Archer“ hatte Holz und Gewurze vom Hafen Ujanka zu einem sudlichen Archipel gebracht und fuhr nun mit einer Ladung eingesalzener Fische zuruck.

„Wie seid ihr bewaffnet?“ fragte Flandry.

„Ein Deckgeschutz und funf von euren Gewehren“, sagte Ferok. „Au?erdem Schwerter, Spie?e, Messer und Enterhaken.“ Er zeigte Flandry ein Netz, das an beiden Bordwanden angeschlagen und unter dem Kiel durchgezogen war. „Wenn sich das stark bewegt, kann es bedeuten, da? ein Siravo unten ist und versucht, ein Loch in den Schiffsboden zu bohren. Dann mussen wir tauchen und ihn vertreiben. Du mit deiner Ausrustung konntest das gut machen, besser als wir.“

Flandry schaute besturzt drein. Sein Helm war wasserdicht und zum Tauchen geeignet, aber er verspurte wenig Lust, sich unter der Oberflache dieses sturmischen Ozeans mit einem Wesen zu messen, das dort zu Hause war.

Ferok wechselte das Thema. „Ist es wahr, da? eure Frauen den Mannern gehorchen?“

„Nun, manchmal.“ Der Zweite Offizier ging vorbei, und Flandrys Augen folgten ihr. Sie hatte Kurven und eine lohfarbene Mahne, die ihren ganzen Rucken bedeckte, und ihre Bruste waren voll und fest. Ihre Kleidung bestand aus goldenen Armreifen. Flandry wu?te, da? auf Kursoviki und den umliegenden Inseln das Matriarchat herrschte, und da? das weibliche Geschlecht bei dieser Rasse als das intelligentere und unternehmendere dominierte. „Aber wer sorgt dann in eurer Heimat fur Ordnung?“ wunderte sich Ferok. „Wie kommt es, da? ihr euch nicht gegenseitig umbringt?“

Flandry geriet in Verlegenheit. „Nun, auch das gibt es, verstehst du. Es ist schwer zu erklaren. La? mich erst sehen, ob ich eure Brauche richtig verstehe, damit ich dir unsere besser klarmachen kann. Zum Beispiel sind die Frauen bei euch in Schwesternschaften organisiert, denen alles Eigentum gehort und die durch ihre gewahlten Leiterinnen alle wichtigen Entscheidungen treffen. So kommt es, da? die Manner keinen Einflu? haben und ihre Streitigkeiten untereinander ohne Wirkung auf das Ganze bleiben. Habe ich recht?“

„So ungefahr. Aber du hattest es hoflicher sagen konnen.“

„Ich bitte um Verzeihung. Ich bin ein Fremder. Nun, was meine Heimat angeht…“

Ein Schrei kam aus dem Krahennest. Ferok warf einen Blick hinauf und sprang an die Steuerbordreling. Ein Teil der Mannschaft folgte seinem Beispiel. Die Manner schrien durcheinander; mehrere kletterten in die Wanten, um einen besseren Uberblick zu bekommen.

Dragoika kam aus der Kapitanskajute im Achterdeck gesturmt, einen vierzackigen Fischspeer in der einen und eine kleine bemalte Trommel in der anderen Hand. Sie raste auf die Back, am offenen Ruderhaus vorbei und beugte sich uber die Reling. Dann begann sie die Handtrommel zu bearbeiten. Offenbar war es das Zeichen fur Feindalarm, denn Ferok brullte Flandry ins Ohr: „Die vaz-Siravo!“ und sturzte zum Deckhaus. Schnell war die Disziplin wiederhergestellt. Jeder wu?te, was er zu tun hatte. Helme, Schilde und Waffen wurden ausgegeben.

Flandry starrte auf die bewegte See, ohne etwas zu sehen. Nach einer Weile machte er etwa zwanzig schwarzblaue Ruckenflossen aus, die fur jeweils einen Augenblick aus den Wellentalern auftauchten und offenbar auf das Schiff zuhielten. Und plotzlich erschien in etwa hundert Metern Abstand ein Unterseeboot an der Oberflache.

Es war ein kleines, primitives Fahrzeug, vom Seevolk nach Angaben der Merseier selbst verfertigt. Der Rumpf schien aus gefettetem Leder zu bestehen, das uber ein Rahmenwerk gespannt war. Vier gro?e Fische, die Flandry nur als riesige Schatten unter der Meeresoberflache sehen konnte, zogen das Unterseeboot an langen Seilen. Das Deck wurde von den Wellen uberspult, aber mittschiffs entragte ihm ein furchteinflo?endes Katapult. Mehrere delphinartige Korper umdrangten es und brachten die ungefuge Schleuder in Position.

„Dommaneek Falandaree!“ schrillte Dragoika. „Kannst du unser Geschutz bedienen?“

Flandry nickte und rannte zum Bug, wo sich zwei Frauen, deren Aufgabe es war, verzweifelt bemuhten, das Geschutz gefechtsklar zu machen. Sie arbeiteten langsam, kamen sich gegenseitig in die Quere und fluchten. Man hatte sich noch nicht die Muhe gemacht, die Geschutzbedienungen auszubilden, obwohl es eine einfache 38 mm- Kanone war. Die Einwohner Kursovikis neigten dazu, fremden Waffen zu mi?trauen und zogen ihre herkommliche Kriegsausrustung vor.

Flandry stie? eine der beiden zur Seite. Sie knurrte und schlug ihm die Faust ins Gesicht, da? er taumelte. Dragoikas Trommel wirbelte einen Befehl, und die beiden Frauen lie?en ihn widerwillig gewahren.

Er offnete den Verschlu?, ri? eine Granate aus der Munitionskiste und stopfte sie in den Lauf. Ein dumpfes Schwirren, gefolgt von einem vielstimmigen Aufschrei an Bord der „Archer“ zeigte ihm an, da? der Feind sein Katapult abgeschossen hatte. Die paketformige Ladung beschrieb einen steilen Bogen, kam kurz vor der Bordwand herunter und zerplatzte auf dem Wasser. Flammen und Rauch bedeckten die See. Eine Feuerbombe. Flandry war zu aufgeregt, um Angst zu fuhlen. Er spahte uber Kimme und Korn und kurbelte dabei an den Handradern, aber das Geschutz drehte sich nur langsam — zu langsam —, und die Vertikalbewegung des Rohrs wurde von einer Mikrometerschraube betatigt. Flandry fluchte, sah aber ein, da? ein hydraulisches System zu empfindlich gewesen ware. Die Gegner spannten ihr Katapult von neuem. Sie arbeiteten schnell…

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