12

Die Grundirrtumer. — Damit der Mensch irgend eine seelische Lust oder Unlust empfinde, mu? er von einer dieser beiden Illusionen beherrscht sein: entweder glaubt er an die Gleichheit gewisser Fakta, gewisser Empfindungen: dann hat er durch die Vergleichung jetziger Zustande mit fruheren und durch Gleich- oder Ungleichsetzung derselben (wie sie bei aller Erinnerung stattfindet) eine seelische Lust oder Unlust; oder er glaubt an die Willens-Freiheit, etwa wenn er denkt» dies hatte ich nicht tun mussen«,»dies hatte anders auslaufen konnen«, und gewinnt daraus ebenfalls Lust oder Unlust. Ohne die Irrtumer, welche bei jeder seelischen Lust und Unlust tatig sind, wurde niemals ein Menschentum entstanden sein — dessen Grundempfindung ist und bleibt, da? der Mensch der Freie in der Welt der Unfreiheit sei, der ewige Wundertater, sei es, da? er gut oder bose handelt, die erstaunliche Ausnahme, das Ubertier, der Fast-Gott, der Sinn der Schopfung, der Nichthinwegzudenkende, das Losungswort des kosmischen Ratsels, der gro?e Herrscher uber die Natur und Verachter derselben, das Wesen, das seine Geschichte Weltgeschichte nennt! — Vanitas vanitatum homo.

13

Zweimal sagen. — Es ist gut, eine Sache sofort doppelt auszudrucken und ihr einen rechten und einen linken Fu? zu geben. Auf einem Bein kann die Wahrheit zwar stehen; mit zweien aber wird sie gehen und herumkommen.

14

Der Mensch der Komodiant der Welt. — Es mu?te geistigere Geschopfe geben, als die Menschen sind, blo? um den Humor ganz auszukosten, der darin liegt, da? der Mensch sich fur den Zweck des ganzen Weltendaseins ansieht und die Menschheit sich ernstlich nur mit Aussicht auf eine Welt-Mission zufrieden gibt. Hat ein Gott die Welt geschaffen, so schuf er den Menschen zum Affen Gottes, als fortwahrenden Anla? zur Erheiterung in seinen allzulangen Ewigkeiten. Die Spharenmusik um die Erde herum ware dann wohl das Spottgelachter aller ubrigen Geschopfe um den Menschen herum. Mit dem Schmerz kitzelt jener gelangweilte Unsterbliche sein Lieblingstier, um an den tragisch-stolzen Gebarden und Auslegungen seiner Leiden, uberhaupt an der geistigen Erfindsamkeit des eitelsten Geschopfes seine Freude zu haben — als Erfinder dieses Erfinders. Denn wer den Menschen zum Spa?e ersann, hatte mehr Geist als dieser, und auch mehr Freude am Geist. — Selbst hier noch, wo sich unser Menschentum einmal freiwillig demutigen will, spielt uns die Eitelkeit einen Streich, indem wir Menschen wenigstens in dieser Eitelkeit etwas ganz Unvergleichliches und Wunderhaftes sein mochten. Unsere Einzigkeit in der Welt! ach, es ist eine gar zu unwahrscheinliche Sache! Die Astronomen, denen mitunter wirklich ein erdentruckter Gesichtskreis zuteil wird, geben zu verstehen, da? der Tropfen Leben in der Welt fur den gesamten Charakter des ungeheuren Ozeans von Werden und Vergehen ohne Bedeutung ist: da? ungezahlte Gestirne ahnliche Bedingungen zur Erzeugung des Lebens haben wie die Erde, sehr viele also, — freilich kaum eine Handvoll im Vergleich zu den unendlich vielen, welche den lebenden Ausschlag nie gehabt haben oder von ihm langst genesen sind: da? das Leben auf jedem dieser Gestirne, gemessen an der Zeitdauer seiner Existenz, ein Augenblick, — ein Aufflackern gewesen ist, mit langen, langen Zeitraumen hinterdrein, — also keineswegs das Ziel und die letzte Absicht ihrer Existenz. Vielleicht bildet sich die Ameise im Walde ebenso stark ein, da? sie Ziel und Absicht der Existenz des Waldes ist, wie wir dies tun, wenn wir an den Untergang der Menschheit in unserer Phantasie fast unwillkurlich den Erduntergang anknupfen: ja wir sind noch bescheiden, wenn wir dabei stehnbleiben und zur Leichenfeier des letzten Menschen nicht eine allgemeine Welt- und Gotterdammerung veranstalten. Der unbefangenste Astronom selber kann die Erde ohne Leben kaum anders empfinden als wie den leuchtenden und schwebenden Grabhugel der Menschheit.

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Bescheidenheit des Menschen. — Wie wenig Lust genugt den meisten, um das Leben gut zu finden, wie bescheiden ist der Mensch!

16

Worin Gleichgultigkeit not tut. — Nichts ware verkehrter, als abwarten wollen, was die Wissenschaft uber die ersten und letzten Dinge einmal endgultig feststellen wird, und bis dahin auf die herkommliche Weise denken (und namentlich glauben!) — wie dies so oft angeraten wird. Der Trieb, auf diesem Gebiete durchaus nur Sicherheiten haben zu wollen, ist ein religioser Nachtrieb, nichts Besseres, — eine versteckte und nur scheinbar skeptische Art des» metaphysischen Bedurfnisses«, mit dem Hintergedanken verkuppelt, da? noch lange Zeit keine Aussicht auf diese letzten Sicherheiten vorhanden und bis dahin der» Glaubige «im Recht ist, sich um das ganze Gebiet nicht zu kummern. Wir haben diese Sicherheiten um die allerau?ersten Horizonte gar nicht notig, um ein volles und tuchtiges Menschentum zu leben: ebensowenig als die Ameise sie notig hat, um eine gute Ameise zu sein. Vielmehr mussen wir uns daruber ins Klare bringen, woher eigentlich jene fatale Wichtigkeit kommt, die wir jenen Dingen so lange beigelegt haben: und dazu brauchen wir die Historie der ethischen und religiosen Empfindungen. Denn nur unter dem Einflu? dieser Empfindungen sind uns jene allerspitzesten Fragen der Erkenntnis so erheblich und furchtbar geworden: man hat in die au?ersten Bereiche, wohin noch das geistige Auge dringt, ohne in sie einzudringen, solche Begriffe wie Schuld und Strafe (und zwar ewige Strafe!) hineinverschleppt: und dies um so unvorsichtiger, je dunkler diese Bereiche waren. Man hat seit alters mit Verwegenheit dort phantasiert, wo man nichts feststellen konnte, und seine Nachkommen uberredet, diese Phantasien fur Ernst und Wahrheit zu nehmen, zuletzt mit dem abscheulichen Trumpfe: da? Glauben mehr wert sei, als Wissen. Jetzt nun tut in Hinsicht auf jene letzten Dinge nicht Wissen gegen Glauben not, sondern Gleichgultigkeit gegen Glauben und angebliches Wissen auf jenen Gebieten! — Alles andere mu? uns naherstehen als das, was man uns bisher als das Wichtigste vorgepredigt hat — ich meine jene Fragen: wozu der Mensch? Welches Los hat er nach dem Tode? Wie versohnt er sich mit Gott? und wie diese Kuriosa lauten mogen. Ebensowenig wie diese Fragen der Religiosen gehen uns die Fragen der philosophischen Dogmatiker an, mogen sie nun Idealisten oder Materialisten oder Realisten sein. Sie allesamt sind darauf aus, uns zu einer Entscheidung auf Gebieten zu drangen, wo weder Glauben noch Wissen not tut; selbst fur die gro?ten Liebhaber der Erkenntnis ist es nutzlicher, wenn um alles Erforschbare und der Vernunft Zugangliche ein umnebelter trugerischer Sumpfgurtel sich legt, ein Streifen des Undurchdringlichen, Ewig — Flussigen und Unbestimmbaren. Gerade durch die Vergleichung mit dem Reich des Dunkels am Rande der Wissens-Erde steigt die helle und nahe, nachste Welt des Wissens stets im Werte. — Wir mussen wieder gute Nachbarn der nachsten Dinge werden und nicht so verachtlich wie bisher uber sie hinweg nach Wolken und Nachtunholden hinblicken. In Waldern und Hohlen, in sumpfigen Strichen und unter bedeckten Himmeln — da hat der Mensch, als auf den Kulturstufen ganzer Jahrtausende, allzulange gelebt, und durftig gelebt. Dort hat er die Gegenwart und die Nachbarschaft und das Leben und sich selbst verachten gelernt — und wir, wir Bewohner der lichteren Gefilde der Natur und des Geistes, bekommen jetzt noch, durch Erbschaft, etwas von diesem Gift der Verachtung gegen das Nachste in unser Blut mit.

17

Tiefe Erklarungen. — Wer die Stelle eines Autors» tiefer erklart«, als sie gemeint war, hat den Autor nicht erklart, sondern verdunkelt. So stehen unsre Metaphysiker zum Texte der Natur; ja noch schlimmer. Denn um ihre tiefen Erklarungen anzubringen, richten sie sich haufig den Text erst daraufhin zu: das hei?t, sie verderben ihn. Um ein kurioses Beispiel fur Textverderbnis und Verdunkelung des Autors zu geben, so mogen hier Schopenhauers Gedanken uber die Schwangerschaft der Weiber stehen. Das Anzeichen des steten Daseins des Willens zum Leben in der Zeit, sagt er, ist der Koitus; das Anzeichen des diesem Willen aufs Neue zugesellten, die Moglichkeit der Erlosung offenhaltenden Lichtes der Erkenntnis, und zwar im hochsten Grade der Klarheit, ist die erneuerte Menschwerdung des Willens zum Leben. Das Zeichen dieser ist die Schwangerschaft, welche daher frank und frei, ja stolz einhergeht, wahrend der Koitus sich verkriecht wie ein Verbrecher. Er behauptet, da? jedes Weib, wenn beim Generationsakt uberrascht, vor Scham vergehn mochte, aber» ihre Schwangerschaft, ohne eine Spur von Scham, ja mit einer Art Stolz, zur Schau tragt.«Vor allem la?t sich dieser Zustand nicht so leicht mehr zur Schau tragen, als er sich selber zur Schau tragt; indem Schopenhauer aber gerade nur die Absichtlichkeit des Zur-Schau-Tragens hervorhebt, bereitet er sich den Text vor, damit dieser zu der bereitgehaltenen» Erklarung «passe. Sodann ist das, was er uber die Allgemeinheit

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