einstweilen ist es immer noch die Zeit der Tragodie, die Zeit der Moralen und Religionen. Was bedeutet das immer neue Erscheinen jener Stifter der Moralen und Religionen, jener Urheber des Kampfes um sittliche Schatzungen, jener Lehrer der Gewissensbisse und der Religionskriege? Was bedeuten diese Helden auf dieser Buhne? Denn es waren bisher die Helden derselben, und alles Uebrige, zeitweilig allein Sichtbare und Allzunahe, hat immer nur zur Vorbereitung dieser Helden gedient, sei es als Maschinerie und Coulisse oder in der Rolle von Vertrauten und Kammerdienern. (Die Poeten zum Beispiel waren immer die Kammerdiener irgend einer Moral.) — Es versteht sich von selber, dass auch diese Tragoden im Interesse der Art arbeiten, wenn sie auch glauben mogen, im Interesse Gottes und als Sendlinge Gottes zu arbeiten. Auch sie fordern das Leben der Gattung, indem sie den Glauben an das Leben fordern.»Es ist werth zu leben — so ruft ein jeder von ihnen — es hat Etwas auf sich mit diesem Leben, das Leben hat Etwas hinter sich, unter sich, nehmt euch in Acht!«Jener Trieb, welcher in den hochsten und gemeinsten Menschen gleichmassig waltet, der Trieb der Arterhaltung, bricht von Zeit zu Zeit als Vernunft und Leidenschaft des Geistes hervor; er hat dann ein glanzendes Gefolge von Grunden um sich und will mit aller Gewalt vergessen machen, dass er im Grunde Trieb, Instinct, Thorheit, Grundlosigkeit ist. Das Leben soll geliebt werden, denn Der Mensch soll sich und seinen Nachsten fordern, denn! Und wie alle diese Soll's und Denn's heissen und in Zukunft noch heissen mogen! Damit Das, was nothwendig und immer, von sich aus und ohne allen Zweck geschieht, von jetzt an auf einen Zweck hin gethan erscheine und dem Menschen als Vernunft und letztes Gebot einleuchte, — dazu tritt der ethische Lehrer auf, als der Lehrer vom Zweck des Daseins; dazu erfindet er ein zweites und anderes Dasein und hebt mittelst seiner neuen Mechanik dieses alte gemeine Dasein aus seinen alten gemeinen Angeln. Ja! er will durchaus nicht, dass wir uber das Dasein lachen, noch auch uber uns, — noch auch uber ihn; fur ihn ist Einer immer Einer, etwas Erstes und Letztes und Ungeheures, fur ihn giebt es keine Art, keine Summen, keine Nullen. Wie thoricht und schwarmerisch auch seine Erfindungen und Schatzungen sein mogen, wie sehr er den Gang der Natur verkennt und ihre Bedingungen verleugnet: — und alle Ethiken waren zeither bis zu dem Grade thoricht und widernaturlich, dass an jeder von ihnen die Menschheit zu Grunde gegangen sein wurde, falls sie sich der Menschheit bemachtigt hatte — immerhin! jedesmal wenn» der Held «auf die Buhne trat, wurde etwas Neues erreicht, das schauerliche Gegenstuck des Lachens, jene tiefe Erschutterung vieler Einzelner bei dem Gedanken:»ja, es ist werth zu leben! ja, ich bin werth zu leben!«— das Leben und ich und du und wir Alle einander wurden uns wieder einmal fur einige Zeit interessant. — Es ist nicht zu leugnen, dass auf die Dauer uber jeden Einzelnen dieser grossen Zwecklehrer bisher das Lachen und die Vernunft und die Natur Herr geworden ist: die kurze Tragodie gieng schliesslich immer in die ewige Komodie des Daseins uber und zuruck, und die» Wellen unzahligen Gelachters«— mit Aeschylus zu reden — mussen zuletzt auch uber den grossten dieser Tragoden noch hinwegschlagen. Aber bei alle diesem corrigirenden Lachen ist im Ganzen doch durch diess immer neue Erscheinen jener Lehrer vom Zweck des Daseins die menschliche Natur verandert worden, — sie hat jetzt ein Bedurfniss mehr, eben das Bedurfniss nach dem immer neuen Erscheinen solcher Lehrer und Lehren vom» Zweck«. Der Mensch ist allmahlich zu einem phantastischen Thiere geworden, welches eine Existenz-Bedingung mehr, als jedes andere Thier, zu erfullen hat: der Mensch muss von Zeit zu Zeit glauben, zu wissen, warum er existirt, seine Gattung kann nicht gedeihen ohne ein periodisches Zutrauen zu dem Leben! Ohne Glauben an die Vernunft im Leben! Und immer wieder wird von Zeit zu Zeit das menschliche Geschlecht decretiren:»es giebt Etwas, uber das absolut nicht mehr gelacht werden darf!«Und der vorsichtigste Menschenfreund wird hinzufugen:»nicht nur das Lachen und die frohliche Weisheit, sondern auch das Tragische mit all seiner erhabenen Unvernunft gehort unter die Mittel und Nothwendigkeiten der Arterhaltung!«— Und folglich! Folglich! Folglich! Oh versteht ihr mich, meine Bruder? Versteht ihr dieses neue Gesetz der Ebbe und Fluth? Auch wir haben unsere Zeit!

2

Das intellectuale Gewissen. — Ich mache immer wieder die gleiche Erfahrung und straube mich ebenso immer von Neuem gegen sie, ich will es nicht glauben, ob ich es gleich mit Handen greife: den Allermeisten fehlt das intellectuale Gewissen; ja es wollte mir oft scheinen, als ob man mit der Forderung eines solchen in den volkreichsten Stadten einsam wie in der Wuste sei. Es sieht dich jeder mit fremden Augen an und handhabt seine Wage weiter, diess gut, jenes bose nennend; es macht Niemandem eine Schamrothe, wenn du merken lassest, dass diese Gewichte nicht vollwichtig sind, — es macht auch keine Emporung gegen dich: vielleicht lacht man uber deinen Zweifel. Ich will sagen: die Allermeisten finden es nicht verachtlich, diess oder jenes zu glauben und darnach zu leben, ohne sich vorher der letzten und sichersten Grunde fur und wider bewusst worden zu sein und ohne sich auch nur die Muhe um solche Grunde hinterdrein zu geben, — die begabtesten Manner und die edelsten Frauen gehoren noch zu diesen» Allermeisten«. Was ist mir aber Gutherzigkeit, Feinheit und Genie, wenn der Mensch dieser Tugenden schlaffe Gefuhle im Glauben und Urtheilen bei sich duldet, wenn das Verlangen nach Gewissheit ihm nicht als die innerste Begierde und tiefste Noth gilt, — als Das, was die hoheren Menschen von den niederen scheidet! Ich fand bei gewissen Frommen einen Hass gegen die Vernunft vor und war ihnen gut dafur: so verrieth sich doch wenigstens noch das bose intellectuale Gewissen! Aber inmitten dieser rerum concordia discors und der ganzen wundervollen Ungewissheit und Vieldeutigkeit des Daseins stehen und nicht fragen, nicht zittern vor Begierde und Lust des Fragens, nicht einmal den Fragenden hassen, vielleicht gar noch an ihm sich matt ergotzen — das ist es, was ich als verachtlich empfinde, und diese Empfindung ist es, nach der ich zuerst bei Jedermann suche: — irgend eine Narrheit uberredet mich immer wieder, jeder Mensch habe diese Empfindung, als Mensch. Es ist meine Art von Ungerechtigkeit.

3

Edel und Gemein. — Den gemeinen Naturen erscheinen alle edlen, grossmuthigen Gefuhle als unzweckmassig und desshalb zu allererst als unglaubwurdig: sie zwinkern mit den Augen, wenn sie von dergleichen horen, und scheinen sagen zu wollen» es wird wohl irgend ein guter Vortheil dabei sein, man kann nicht durch alle Wande sehen«: — sie sind argwohnisch gegen den Edlen, als ob er den Vortheil auf Schleichwegen suche. Werden sie von der Abwesenheit selbstischer Absichten und Gewinnste allzu deutlich uberzeugt, so gilt ihnen der Edle als eine Art von Narren: sie verachten ihn in seiner Freude und lachen uber den Glanz seiner Augen.»Wie kann man sich daruber freuen im Nachtheil zu sein, wie kann man mit offnen Augen in Nachtheil gerathen wollen! Es muss eine Krankheit der Vernunft mit der edlen Affection verbunden sein«— so denken sie und blicken geringschatzig dabei: wie sie die Freude geringschatzen, welche der Irrsinnige von seiner fixen Idee her hat. Die gemeine Natur ist dadurch ausgezeichnet, dass sie ihren Vortheil unverruckt im Auge behalt und dass diess Denken an Zweck und Vortheil selbst starker, als die starksten Triebe in ihr ist: sich durch jene Triebe nicht zu unzweckmassigen Handlungen verleiten lassen — das ist ihre Weisheit und ihr Selbstgefuhl. Im Vergleich mit ihr ist die hohere Natur die unvernunftigere: — denn der Edle, Grossmuthige, Aufopfernde unterliegt in der That seinen Trieben, und in seinen besten Augenblicken pausirt seine Vernunft. Ein Thier, das mit Lebensgefahr seine Jungen beschutzt oder in der Zeit der Brunst dem Weibchen auch in den Tod folgt, denkt nicht an die Gefahr und den Tod, seine Vernunft pausirt ebenfalls, weil die Lust an seiner Brut oder an dem Weibchen und die Furcht, dieser Lust beraubt zu werden es ganz beherrschen; es wird dummer, als es sonst ist, gleich dem Edlen und Grossmuthigen. Dieser besitzt einige Lust- und Unlust-Gefuhle in solcher Starke, dass der Intellect dagegen schweigen oder sich zu ihrem Dienste hergeben muss: es tritt dann bei ihnen das Herz in den Kopf und man spricht nunmehr von» Leidenschaft«. (Hier und da kommt auch wohl der Gegensatz dazu und gleichsam die» Umkehrung der Leidenschaft «vor, zum Beispiel bei Fontenelle, dem Jemand einmal die Hand auf das Herz legte, mit den Worten:»Was Sie da haben, mein Theuerster, ist auch Gehirn«.) Die Unvernunft oder Quervernunft der Leidenschaft ist es, die der Gemeine am Edlen verachtet, zumal wenn diese sich auf Objecte richtet, deren Werth ihm ganz phantastisch und willkurlich zu sein scheint. Er argert sich uber Den, welcher der Leidenschaft des Bauches unterliegt, aber er begreift doch den Reiz, welcher hier den Tyrannen macht; aber er begreift es nicht, wie man zum Beispiel einer Leidenschaft der Erkenntniss zu Liebe seine Gesundheit und Ehre aufs Spiel setzen konne. Der Geschmack der hoheren Natur richtet sich auf Ausnahmen, auf Dinge, die gewohnlich kalt lassen und keine Sussigkeit zu haben scheinen; die hohere Natur hat ein singulares Werthmaass. Dazu ist sie meistens des Glaubens, nicht ein singulares Werthmaass in ihrer Idiosynkrasie des Geschmacks zu haben, sie setzt vielmehr ihre Werthe und Unwerthe als die

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