Zur Lehre vom Machtgefuhl. — Mit Wohlthun und Wehethun ubt man seine Macht an Andern aus — mehr will man dabei nicht! Mit Wehethun an Solchen, denen wir unsere Macht erst fuhlbar machen mussen; denn der Schmerz ist ein viel empfindlicheres Mittel dazu als die Lust: — der Schmerz fragt immer nach der Ursache, wahrend die Lust geneigt ist, bei sich selber stehen zu bleiben und nicht ruckwarts zu schauen. Mit Wohlthun und Wohlwollen an Solchen, die irgendwie schon von uns abhangen (das heisst gewohnt sind, an uns als ihre Ursachen zu denken); wir wollen ihre Macht mehren, weil wir so die unsere mehren, oder wir wollen ihnen den Vortheil zeigen, den es hat, in unserer Macht zu stehen, — so werden sie mit ihrer Lage zufriedener und gegen die Feinde unserer Macht feindseliger und kampfbereiter sein. Ob wir beim Wohl oder Wehethun Opfer bringen, verandert den letzten Werth unserer Handlungen nicht; selbst wenn wir unser Leben daran setzen, wie der Martyrer zu Gunsten seiner Kirche, es ist ein Opfer, gebracht unserem Verlangen nach Macht, oder zum Zweck der Erhaltung unseres Machtgefuhls. Wer da empfindet,»ich bin im Besitz der Wahrheit«, wie viel Besitzthumer lasst der nicht fahren, um diese Empfindung zu retten! Was wirft er nicht Alles uber Bord, um sich» oben «zu erhalten, — das heisst uber den Andern, welche der» Wahrheit «ermangeln! Gewiss ist der Zustand, wo wir wehe thun, selten so angenehm, so ungemischt-angenehm, wie der, in welchem wir wohl thun, — es ist ein Zeichen, dass uns noch Macht fehlt, oder verrath den Verdruss uber diese Armuth, es bringt neue Gefahren und Unsicherheiten fur unseren vorhandenen Besitz von Macht mit sich und umwolkt unsern Horizont durch die Aussicht auf Rache, Hohn, Strafe, Misserfolg. Nur fur die reizbarsten und begehrlichsten Menschen des Machtgefuhles mag es lustvoller sein, dem Widerstrebenden das Siegel der Macht aufzudrucken; fur solche, denen der Anblick des bereits Unterworfenen (als welcher der Gegenstand des Wohlwollens ist) Last und Langeweile macht. Es kommt darauf an, wie man gewohnt ist, sein Leben zu wurzen; es ist eine Sache des Geschmackes, ob man lieber den langsamen oder den plotzlichen, den sicheren oder den gefahrlichen und verwegenen Machtzuwachs haben will, — man sucht diese oder jene Wurze immer nach seinem Temperamente. Eine leichte Beute ist stolzen Naturen etwas Verachtliches, sie empfinden ein Wohlgefuhl erst beim Anblick ungebrochener Menschen, welche ihnen Feind werden konnten, und ebenso beim Anblick aller schwer zuganglichen Besitzthumer; gegen den Leidenden sind sie oft hart, denn er ist ihres Strebens und Stolzes nicht werth, — aber um so verbindlicher zeigen sie sich gegen die Gleichen, mit denen ein Kampf und Ringen jedenfalls ehrenvoll ware, wenn sich einmal eine Gelegenheit dazu finden sollte. Unter dem Wohlgefuhle dieser Perspective haben sich die Menschen der ritterlichen Kaste gegen einander an eine ausgesuchte Hoflichkeit gewohnt. — Mitleid ist das angenehmste Gefuhl bei Solchen, welche wenig stolz sind und keine Aussicht auf grosse Eroberungen haben: fur sie ist die leichte Beute — und das ist jeder Leidende — etwas Entzuckendes. Man ruhmt das Mitleid als die Tugend der Freudenmadchen.
Was Alles Liebe genannt wird. — Habsucht und Liebe: wie verschieden empfinden wir bei jedem dieser Worte! — und doch konnte es der selbe Trieb sein, zweimal benannt, das eine Mal verunglimpft vom Standpuncte der bereits Habenden aus, in denen der Trieb etwas zur Ruhe gekommen ist und die nun fur ihre» Habe «furchten; das andere Mal vorn Standpuncte der Unbefriedigten, Durstigen aus, und daher verherrlicht als» gut«. Unsere Nachstenliebe — ist sie nicht ein Drang nach neuem Eigenthum? Und ebenso unsere Liebe zum Wissen, zur Wahrheit und uberhaupt all jener Drang nach Neuigkeiten? Wir werden des Alten, sicher Besessenen allmahlich uberdrussig und strecken die Hande wieder aus; selbst die schonste Landschaft, in der wir drei Monate leben, ist unserer Liebe nicht mehr gewiss, und irgend eine fernere Kuste reizt unsere Habsucht an: der Besitz wird durch das Besitzen zumeist geringer. Unsere Lust an uns selber will sich so aufrecht erhalten, dass sie immer wieder etwas Neues in uns selber verwandelt, — das eben heisst Besitzen. Eines Besitzes uberdrussig werden, das ist: unserer selber uberdrussig werden. (Man kann auch am Zuviel leiden, — auch die Begierde, wegzuwerfen, auszutheilen, kann sich den Ehrennamen» Liebe «zulegen.) Wenn wir jemanden leiden sehen, so benutzen wir gerne die jetzt gebotene Gelegenheit, Besitz von ihm zu ergreifen; diess thut zum Beispiel der Wohlthatige und Mitleidige, auch er nennt die in ihm erweckte Begierde nach neuem Besitz» Liebe«, und hat seine Lust dabei wie bei einer neuen ihm winkenden Eroberung. Am deutlichsten aber verrath sich die Liebe der Geschlechter als Drang nach Eigenthum: der Liebende will den unbedingten Alleinbesitz der von ihm ersehnten Person, er will eine ebenso unbedingte Macht uber ihre Seele wie ihren Leib, er will allein geliebt sein und als das Hochste und Begehrenswertheste in der andern Seele wohnen und herrschen. Erwagt man, dass diess nichts Anderes heisst, als alle Welt von einem kostbaren Gute, Glucke und Genusse ausschliessen: erwagt man, dass der Liebende auf die Verarmung und Entbehrung aller anderen Mitbewerber ausgeht und zum Drachen seines goldenen Hortes werden mochte, als der rucksichtsloseste und selbstsuchtigste aller» Eroberer «und Ausbeuter: erwagt man endlich, dass dem Liebenden selber die ganze andere Welt gleichgultig, blass, werthlos erscheint und er jedes Opfer zu bringen, jede Ordnung zu storen, jedes Interesse hintennach zu setzen bereit ist: so wundert man sich in der That, dass diese wilde Habsucht und Ungerechtigkeit der Geschlechtsliebe dermaassen verherrlicht und vergottlicht worden ist, wie zu allen Zeiten geschehen, ja, dass man aus dieser Liebe den Begriff Liebe als den Gegensatz des Egoismus hergenommen hat, wahrend sie vielleicht gerade der unbefangenste Ausdruck des Egoismus ist. Hier haben offenbar die Nichtbesitzenden und Begehrenden den Sprachgebrauch gemacht, — es gab wohl ihrer immer zu viele. Solche, welchen auf diesem Bereiche viel Besitz und Sattigung gegonnt war, haben wohl hier und da ein Wort vom» wuthenden Damon «fallen lassen, wie jener liebenswurdigste und geliebteste aller Athener, Sophokles: aber Eros lachte jederzeit uber solche Lasterer, — es waren immer gerade seine grossten Lieblinge. — Es giebt wohl hier und da auf Erden eine Art Fortsetzung der Liebe, bei der jenes habsuchtige Verlangen zweier Personen nach einander einer neuen Begierde und Habsucht, einem gemeinsamen hoheren Durste nach einem uber ihnen stehenden Ideale gewichen ist: aber wer kennt diese Liebe? Wer hat sie erlebt? Ihr rechter Name ist Freundschaft.
Aus der Ferne. — Dieser Berg macht die ganze Gegend, die er beherrscht, auf alle Weise reizend und bedeutungsvoll: nachdem wir diess uns zum hundertsten Male gesagt haben, sind wir so unvernunftig und so dankbar gegen ihn gestimmt, dass wir glauben, er, der Geber dieses Reizes, musse selber das Reizvollste der Gegend sein — und so steigen wir auf ihn hinauf und sind enttauscht. Plotzlich ist er selber, und die ganze Landschaft um uns, unter uns wie entzaubert; wir hatten vergessen, dass manche Grosse, wie manche Gute, nur auf eine gewisse Distanz hin gesehen werden will, und durchaus von unten, nicht von oben, — so allein wirkt sie. Vielleicht kennst du Menschen in deiner Nahe, die sich selber nur aus einer gewissen Ferne ansehen durfen, um sich uberhaupt ertraglich oder anziehend und kraftgebend zu finden; die Selbsterkenntnis ist ihnen zu widerrathen.
Ueber den Steg. — Im Verkehre mit Personen, welche gegen ihre Gefuhle schamhaft sind, muss man sich verstellen konnen; sie empfinden einen plotzlichen Hass gegen Den, welcher sie auf einem zartlichen oder schwarmerischen und hochgehenden Gefuhle ertappt, wie als ob er ihre Heimlichkeiten gesehen habe. Will man ihnen in solchen Augenblicken wohl thun, so mache man sie lachen oder sage irgend eine kalte scherzhafte Bosheit: — ihr Gefuhl erfriert dabei, und sie sind ihrer wieder machtig. Doch ich gebe die Moral vor der Geschichte. — Wir sind uns Einmal im Leben so nahe gewesen, dass Nichts unsere Freund- und Bruderschaft