bin-ich «zu antworten. Ich bin abseits von aller Welt, ich nehme von Niemandem Bedingungen an. Ich will, dass man sich auch meinen Phantasieen unterwerfe und es ganz einfach finde, wenn ich mich diesen oder jenen Zerstreuungen hingebe. «So sprach Napoleon einmal zu seiner Gemahlin, als diese Grunde hatte, die eheliche Treue ihres Gatten in Frage zu ziehen. — Die Zeiten der Corruption sind die, in welchen die Aepfel vom Baume fallen: ich meine die Individuen, die Samentrager der Zukunft, die Urheber der geistigen Colonisation und Neubildung von Staats- und Gesellschaftsverbanden. Corruption ist nur ein Schimpfwort fur die Herbstzeiten eines Volkes.
Verschiedene Unzufriedenheit. — Die schwachen und gleichsam weiblichen Unzufriedenen sind die Erfindsamen fur die Verschonerung und Vertiefung des Lebens; die starken Unzufriedenen — die Mannspersonen unter ihnen, im Bilde zu bleiben — fur Verbesserung und Sicherung des Lebens. Die Ersteren zeigen darin ihre Schwache und Weiberart, dass sie sich gerne zeitweilig tauschen lassen und wohl schon mit ein Wenig Rausch und Schwarmerei einmal furlieb nehmen, aber im Ganzen nie zu befriedigen sind und an der Unheilbarkeit ihrer Unzufriedenheit leiden; uberdiess sind sie die Forderer aller Derer, welche opiatische und narkotische Trostungen zu schaffen wissen, und eben darum jenen gram, die den Arzt hoher als den Priester schatzen, — dadurch unterhalten sie die Fortdauer der wirklichen Nothstande! Hatte es nicht seit den Zeiten des Mittelalters eine Ueberzahl von Unzufriedenen dieser Art in Europa gegeben, so wurde vielleicht die beruhmte europaische Fahigkeit zur bestandigen Verwandelung gar nicht entstanden sein: denn die Anspruche der starken Unzufriedenen sind zu grob und im Grunde zu anspruchslos, um nicht endlich einmal zur Ruhe gebracht werden zu konnen. China ist das Beispiel eines Landes, wo die Unzufriedenheit im Grossen und die Fahigkeit der Verwandelung seit vielen Jahrhunderten ausgestorben ist; und die Socialisten und Staats-Gotzendiener Europa's konnten es mit ihren Maassregeln zur Verbesserung und Sicherung des Lebens auch in Europa leicht zu chinesischen Zustanden und einem chinesischen» Glucke «bringen, vorausgesetzt, dass sie hier zuerst jene kranklichere, zartere, weiblichere, einstweilen noch uberreichlich vorhandene Unzufriedenheit und Romantik ausrotten konnten. Europa ist ein Kranker, der seiner Unheilbarkeit und ewigen Verwandelung seines Leidens den hochsten Dank schuldig ist; diese bestandigen neuen Lagen, diese ebenso bestandigen neuen Gefahren, Schmerzen und Auskunftsmittel haben zuletzt eine intellectuale Reizbarkeit erzeugt, welche beinahe so viel, als Genie, und jedenfalls die Mutter alles Genie's ist.
Nicht zur Erkenntniss vorausbestimmt. — Es giebt eine gar nicht seltene blode Demuthigkeit, mit der behaftet man ein fur alle Mal nicht zum Junger der Erkenntniss taugt. Namlich: in dem Augenblick, wo ein Mensch dieser Art etwas Auffalliges wahrnimmt, dreht er sich gleichsam auf dem Fusse um und sagt sich:»Du hast dich getauscht! Wo hast du deine Sinne gehabt! Diess darf nicht die Wahrheit sein!«— und nun, statt noch einmal scharfer hinzusehen und hinzuhoren, lauft er wie eingeschuchtert dem auffalligen Dinge aus dem Wege und sucht es sich so schnell wie moglich aus dem Kopfe zu schlagen. Sein innerlicher Kanon namlich lautet: Ich will Nichts sehen, was der ublichen Meinung uber die Dinge widerspricht! Bin ich dazu gemacht, neue Wahrheiten zu entdecken? Es giebt schon der alten zu viele.»
Was heisst Leben? — Leben — das heisst: fortwahrend Etwas von sich abstossen, das sterben will; Leben — das heisst: grausam und unerbittlich gegen Alles sein, was schwach und alt an uns, und nicht nur an uns, wird. Leben — das heisst also: ohne Pietat gegen Sterbende, Elende und Greise sein? Immerfort Morder sein? — Und doch hat der alte Moses gesagt: Du sollst nicht todten!
Der Entsagende. — Was thut der Entsagende? Er strebt nach einer hoheren Welt, er will weiter und ferner und hoher fliegen, als alle Menschen der Bejahung, — er wirft Vieles weg, was seinen Flug beschweren wurde, und Manches darunter, was ihm nicht unwerth, nicht unliebsam ist: er opfert es seiner Begierde zur Hohe. Dieses Opfern, dieses Wegwerfen ist nun gerade Das, was allein sichtbar an ihm wird: darnach giebt man ihm den Namen des Entsagenden, und als dieser steht er vor uns, eingehullt in seine Kapuze und wie die Seele eines harenen Hemdes. Mit diesem Effecte, den er auf uns macht, ist er aber wohl zufrieden: er will vor uns seine Begierde, seinen Stolz, seine Absicht, uber uns hinauszufliegen, verborgen halten. — ja! Er ist kluger, als wir dachten, und so hoflich gegen uns — dieser Bejahende! Denn das ist er gleich uns, auch indem er entsagt.
Mit seinem Besten schaden. — Unsere Starken treiben uns mitunter so weit vor, dass wir unsere Schwachen nicht mehr aushalten konnen und an ihnen zu Grunde gehen: wir sehen auch wohl diesen Ausgang voraus und wollen es trotzdem nicht anders. Da werden wir hart gegen Das an uns, was geschont sein will, und unsere Grosse ist auch unsere Unbarmherzigkeit. — Ein solches Erlebniss, das wir zuletzt mit dem Leben bezahlen mussen, ist ein Gleichniss fur das gesammte Wirken grosser Menschen auf Andere und auf ihre Zeit: — gerade mit ihrem Besten, mit dem, was nur sie konnen, richten sie viele Schwache, Unsichere, Werdende, Wollende zu Grunde, und sind hierdurch schadlich. Ja es kann der Fall vorkommen, dass sie, im Ganzen gerechnet, nur schaden, weil ihr Bestes allein von Solchen angenommen und gleichsam aufgetrunken wird, welche an ihm, wie an einem zu starken Getranke, ihren Verstand und ihre Selbstsucht verlieren: sie werden so berauscht, dass sie ihre Glieder auf allen den Irrwegen brechen mussen, wohin sie der Rausch treibt.
Die Hinzu-Lugner. — Als man in Frankreich die Einheiten des Aristoteles zu bekampfen und folglich auch zu vertheidigen anfieng, da war es wieder einmal zu sehen, was so oft zu sehen ist, aber so ungern gesehen wird: — man log sich Grunde vor, um derenthalben jene Gesetze bestehen sollten, blos um sich nicht einzugestehen, dass man sich an die Herrschaft dieser Gesetze gewohnt habe und es nicht mehr anders haben wolle. Und so macht man es innerhalb jeder herrschenden Moral und Religion und hat es von jeher gemacht: die Grunde und die Absichten hinter der Gewohnheit werden immer zu ihr erst hinzugelogen, wenn Einige anfangen, die Gewohnheit zu bestreiten und nach Grunden und Absichten zu fragen. Hier steckt die grosse Unehrlichkeit der Conservativen aller Zeiten: — es sind die Hinzu-Lugner.