Komodienspiel der Beruhmten. — Beruhmte Manner, welche ihren Ruhm nothig haben, wie zum Beispiel alle Politiker, wahlen ihre Verbundeten und Freunde nie mehr ohne Hintergedanken: von diesem wollen sie ein Stuck Glanz und Abglanz seiner Tugend, von jenem das Furchteinflossende gewisser bedenklicher Eigenschaften, die Jedermann an ihm kennt, einem andern stehlen sie den Ruf seines Mussigganges, seines In-der-Sonne-liegens, weil es ihren eigenen Zwecken frommt, zeitweilig fur unachtsam und trage zu gelten: — es verdeckt, dass sie auf der Lauer liegen; bald brauchen sie den Phantasten, bald den Kenner, bald den Grubler, bald den Pedanten in ihrer Nahe und gleichsam als ihr gegenwartiges Selbst, aber eben so bald brauchen sie dieselben nicht mehr! Und so sterben fortwahrend ihre Umgebungen und Aussenseiten ab, wahrend Alles sich in diese Umgebung zu drangen scheint und zu ihrem» Charakter «werden will: darin gleichen sie den grossen Stadten. Ihr Ruf ist fortwahrend im Wandel wie ihr Charakter, denn ihre wechselnden Mittel verlangen diesen Wechsel, und schieben bald diese, bald jene wirkliche oder erdichtete Eigenschaft hervor und auf die Buhne hinaus: ihre Freunde und Verbundeten gehoren, wie gesagt, zu diesen Buhnen-Eigenschaften. Dagegen muss Das, was sie wollen, um so mehr fest und ehern und weithin glanzend stehen bleiben, — und auch diess hat bisweilen seine Komodie und sein Buhnenspiel nothig.

31

Handel und Adel. — Kaufen und verkaufen gilt jetzt als gemein, wie die Kunst des Lesens und Schreibens; Jeder ist jetzt darin eingeubt, selbst wenn er kein Handelsmann ist, und ubt sich noch an jedem Tage in dieser Technik: ganz wie ehemals, im Zeitalter der wilderen Menschheit, Jedermann Jager war und sich Tag fur Tag in der Technik der Jagd ubte. Damals war die Jagd gemein: aber wie diese endlich ein Privilegium der Machtigen und Vornehmen wurde und damit den Charakter der Alltaglichkeit und Gemeinheit verlor — dadurch, dass sie aufhorte nothwendig zu sein und eine Sache der Laune und des Luxus wurde: — so konnte es irgendwann einmal mit dem Kaufen und Verkaufen werden. Es sind Zustande der Gesellschaft denkbar, wo nicht verkauft und gekauft wird und wo die Nothwendigkeit dieser Technik allmahlich ganz verloren geht: vielleicht, dass dann Einzelne, welche dem Gesetze des allgemeinen Zustandes weniger unterworfen sind, sich dann das Kaufen und Verkaufen wie einen Luxus der Empfindung erlauben. Dann erst bekame der Handel Vornehmheit, und die Adeligen wurden sich dann vielleicht ebenso gern mit dem Handel abgeben, wie bisher mit dem Kriege und der Politik: wahrend umgekehrt die Schatzung der Politik sich dann vollig geandert haben konnte. Schon jetzt hort sie auf, das Handwerk des Edelmannes zu sein: und es ware moglich, dass man sie eines Tages so gemein fande, um sie, gleich aller Partei- und Tageslitteratur, unter die Rubrik» Prostitution des Geistes «zu bringen.

32

Unerwunschte Junger. — Was soll ich mit diesen beiden Junglingen machen! rief mit Unmuth ein Philosoph, welcher die Jugend» verdarb«, wie Sokrates sie einst verdorben hat, — es sind mir unwillkommene Schuler. Der da kann nicht Nein sagen und jener sagt zu Allem:»Halb und halb. «Gesetzt, sie ergriffen meine Lehre, so wurde der Erstere zu viel leiden, denn meine Denkweise erfordert eine kriegerische Seele, ein Wehethun-Wollen, eine Lust am Neinsagen, eine harte Haut, — er wurde an offenen und inneren Wunden dahin siechen. Und der Andere wird sich aus jeder Sache, die er vertritt, eine Mittelmassigkeit zurecht machen und sie dergestalt zur Mittelmassigkeit machen, — einen solchen Junger wunsche ich meinem Feinde.

33

Ausserhalb des Horsaales. — »Um Ihnen zu beweisen, dass der Mensch im Grunde zu den gutartigen Thieren gehort, wurde ich Sie daran erinnern, wie leichtglaubig er so lange gewesen ist. Jetzt erst ist er, ganz spat und nach ungeheurer Selbstuberwindung, ein misstrauisches Thier geworden, — ja! der Mensch ist jetzt boser als je.«— Ich verstehe diess nicht: warum sollte der Mensch jetzt misstrauischer und boser sein? — »Weil er jetzt eine Wissenschaft hat, — nothig hat!»—

34

Historia abscondita. — Jeder grosse Mensch hat eine ruckwirkende Kraft: alle Geschichte wird um seinetwillen wieder auf die Wage gestellt, und tausend Geheimnisse der Vergangenheit kriechen aus ihren Schlupfwinkeln — hinein in seine Sonne. Es ist gar nicht abzusehen, was Alles einmal noch Geschichte sein wird. Die Vergangenheit ist vielleicht immer noch wesentlich unentdeckt! Es bedarf noch so vieler ruckwirkender Krafte!

35

Ketzerei und Hexerei. — Anders denken, als Sitte ist — das ist lange nicht so sehr die Wirkung eines besseren Intellectes, als die Wirkung starker, boser Neigungen, loslosender, isolirender, trotziger, schadenfroher, hamischer Neigungen. Die Ketzerei ist das Seitenstuck zur Hexerei und gewiss ebensowenig, als diese, etwas Harmloses oder gar an sich selber Verehrungswurdiges. Die Ketzer und die Hexen sind zwei Gattungen boser Menschen: gemeinsam ist ihnen, dass sie sich auch als bose fuhlen, dass aber ihre unbezwingliche Lust ist, an dem, was herrscht (Menschen oder Meinungen), sich schadigend auszulassen. Die Reformation, eine Art Verdoppelung des mittelalterlichen Geistes, zu einer Zeit, als er bereits das gute Gewissen nicht mehr bei sich hatte, brachte sie beide in grosster Fulle hervor.

36

Letzte Worte. — Man wird sich erinnern, dass der Kaiser Augustus, jener furchterliche Mensch, der sich ebenso in der Gewalt hatte und der ebenso schweigen konnte wie irgend ein weiser Sokrates, mit seinem letzten Worte indiscret gegen sich selber wurde: er liess zum ersten Male seine Maske fallen, als er zu verstehen gab, dass er eine Maske getragen und eine Komodie gespielt habe, — er hatte den Vater des Vaterlandes und die Weisheit auf dem Throne gespielt, gut bis zur Illusion! Plaudite amici, comoedia finita est! — Der Gedanke des sterbenden Nero: qualis artifex pereo! war auch der Gedanke des sterbenden Augustus: Histrionen-Eitelkeit! Histrionen-Schwatzhaftigkeit! Und recht das Gegenstuck zum sterbenden Sokrates! — Aber Tiberius starb schweigsam, dieser gequalteste aller Selbstqualer, — der war acht und kein Schauspieler! Was mag dem wohl zuletzt durch den Kopf gegangen sein! Vielleicht diess:»Das Leben — das ist ein langer Tod. Ich Narr, der ich so Vielen das Leben verkurzte! War ich dazu gemacht, ein Wohltater zu sein? Ich hatte ihnen das ewige Leben geben sollen: so hatte ich sie ewig sterben sehen konnen. Dafur hatte ich ja so gute Augen: qualis spectator pereo!«Als er nach einem langen Todeskampfe doch wieder zu Kraften zu kommen schien, hielt man es fur rathsam, ihn mit Bettkissen zu ersticken, — er starb eines doppelten Todes.

Вы читаете Die frohliche Wissenschaft
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату