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Aus drei Irrthumern. — Man hat in den letzten Jahrhunderten die Wissenschaft gefordert, theils weil man mit ihr und durch sie Gottes Gute und Weisheit am besten zu verstehen hoffte — das Hauptmotiv in der Seele der grossen Englander (wie Newton) —, theils weil man an die absolute Nutzlichkeit der Erkenntniss glaubte, namentlich an den innersten Verband von Moral, Wissen und Gluck — das Hauptmotiv in der Seele der grossen Franzosen (wie Voltaire) —, theils weil man in der Wissenschaft etwas Selbstloses, Harmloses, Sichselber-Genugendes, wahrhaft Unschuldiges zu haben und zu lieben meinte, an dem die bosen Triebe des Menschen uberhaupt nicht betheiligt seien — das Hauptmotiv in der Seele Spinoza's, der sich als Erkennender gottlich fuhlte: — also aus drei Irrthumern.

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Die Explosiven. — Erwagt man, wie explosionsbedurftig die Kraft junger Manner daliegt, so wundert man sich nicht, sie so unfein und so wenig wahlerisch sich fur diese oder jene Sache entscheiden zu sehen: Das, was sie reizt, ist der Anblick des Eifers, der um eine Sache ist, und gleichsam der Anblick der brennenden Lunte, — nicht die Sache selber. Die feineren Verfuhrer verstehen sich desshalb darauf, ihnen die Explosion in Aussicht zu stellen und von der Begrundung ihrer Sache abzusehen: mit Grunden gewinnt man diese Pulverfasser nicht!

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Veranderter Geschmack. — Die Veranderung des allgemeinen Geschmackes ist wichtiger, als die der Meinungen; Meinungen mit allen Beweisen, Widerlegungen und der ganzen intellectuellen Maskerade sind nur Symptome des veranderten Geschmacks und ganz gewiss gerade Das nicht, wofur man sie noch so haufig anspricht, dessen Ursachen. Wie verandert sich der allgemeine Geschmack? Dadurch, dass Einzelne, Machtige, Einflussreiche ohne Schamgefuhl ihr hoc est ridiculum, hoc est absurdum, also das Urtheil ihres Geschmacks und Ekels, aussprechen und tyrannisch durchsetzen.- sie legen damit Vielen einen Zwang auf, aus dem allmahlich eine Gewohnung noch Mehrerer und zuletzt ein Bedurfniss Aller wird. Dass diese Einzelnen aber anders empfinden und» schmecken«, das hat gewohnlich seinen Grund in einer Absonderlichkeit ihrer Lebensweise, Ernahrung, Verdauung, vielleicht in einem Mehr oder Weniger der anorganischen Salze in ihrem Blute und Gehirn, kurz in der Physis: sie haben aber den Muth, sich zu ihrer Physis zu bekennen und deren Forderungen noch in ihren feinsten Tonen Gehor zu schenken: ihre asthetischen und moralischen Urtheile sind solche» feinste Tone «der Physis.

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Vom Mangel der vornehmen Form. — Soldaten und Fuhrer haben immer noch ein viel hoheres Verhalten zu einander, als Arbeiter und Arbeitgeber. Einstweilen wenigstens steht alle militarisch begrundete Cultur noch hoch uber aller sogenannten industriellen Cultur: letztere in ihrer jetzigen Gestalt ist uberhaupt die gemeinste Daseinsform, die es bisher gegeben hat. Hier wirkt einfach das Gesetz der Noth: man will leben und muss sich verkaufen, aber man verachtet Den, der diese Noth ausnutzt und sich den Arbeiter kauft. Es ist seltsam, dass die Unterwerfung unter machtige, furchterregende, ja schreckliche Personen, unter Tyrannen und Heerfuhrer, bei Weitem nicht so peinlich empfunden wird, als diese Unterwerfung unter unbekannte und uninteressante Personen, wie es alle Grossen der Industrie sind: in dem Arbeitgeber sieht der Arbeiter gewohnlich nur einen listigen, aussaugenden, auf alle Noth speculirenden Hund von Menschen, dessen Name, Gestalt, Sitte und Ruf ihm ganz gleichgultig sind. Den Fabricanten und Gross-Unternehmern des Handels fehlten bisher wahrscheinlich allzusehr alle jene Formen und Abzeichen der hoheren Rasse, welche erst die Personen interessant werden lassen; hatten sie die Vornehmheit des Geburts-Adels im Blick und in der Gebarde, so gabe es vielleicht keinen Socialismus der Massen. Denn diese sind im Grunde bereit zur Sclaverei jeder Art, vorausgesetzt, dass der Hohere uber ihnen sich bestandig als hoher, als zum Befehlen geboren legitimirt — durch die vornehme Form! Der gemeinste Mann fuhlt, dass die Vornehmheit nicht zu improvisiren ist und dass er in ihr die Frucht langer Zeiten zu ehren hat, — aber die Abwesenheit der hoheren Form und die beruchtigte Fabricanten-Vulgaritat mit rothen, feisten Handen, bringen ihn auf den Gedanken, dass nur Zufall und Gluck hier den Einen uber den Andern erhoben habe: wohlan, so schliesst er bei sich, versuchen wir einmal den Zufall und das Gluck! Werfen wir einmal die Wurfel! — und der Socialismus beginnt.

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Gegen die Reue. — Der Denker sieht in seinen eigenen Handlungen Versuche und Fragen, irgend woruber Aufschluss zu erhalten: Erfolg und Misserfolg sind ihm zu allererst Antworten. Sich aber daruber, dass Etwas missrath, argern oder gar Reue empfinden — das uberlasst er Denen, welche handeln, weil es ihnen befohlen wird, und welche Prugel zu erwarten haben, wenn der gnadige Herr mit dem Erfolg nicht zufrieden ist.

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Arbeit und Langeweile. — Sich Arbeit suchen um des Lohnes willen — darin sind sich in den Landern der Civilisation jetzt fast alle Menschen gleich; ihnen allen ist Arbeit ein Mittel, und nicht selber das Ziel; wesshalb sie in der Wahl der Arbeit wenig fein sind, vorausgesetzt, dass sie einen reichlichen Gewinn abwirft. Nun giebt es seltenere Menschen, welche lieber zu Grunde gehen wollen, als ohne Lust an der Arbeit arbeiten: jene Wahlerischen, schwer zu Befriedigenden, denen mit einem reichlichen Gewinn nicht gedient wird, wenn die Arbeit nicht selber der Gewinn aller Gewinne ist. Zu dieser seltenen Gattung von Menschen gehoren die Kunstler und Contemplativen aller Art, aber auch schon jene Mussigganger, die ihr Leben auf der Jagd, auf Reisen oder in Liebeshandeln und Abenteuern zubringen. Alle diese wollen Arbeit und Noth, sofern sie mit Lust verbunden ist, und die schwerste, harteste Arbeit, wenn es sein muss. Sonst aber sind sie von einer entschlossenen Tragheit, sei es selbst, dass Verarmung, Unehre, Gefahr der Gesundheit und des Lebens an diese Tragheit geknupft sein sollte. Sie furchten die Langeweile nicht so sehr, als die Arbeit ohne Lust: ja, sie haben viel Langeweile nothig, wenn ihnen ihre Arbeit gelingen soll. Fur den Denker und fur alle erfindsamen Geister ist Langeweile jene unangenehme» Windstille «der Seele, welche der glucklichen Fahrt und den lustigen Winden vorangeht; er muss sie ertragen, muss ihre Wirkung bei sich abwarten: — das gerade ist es, was die geringeren Naturen durchaus nicht von sich erlangen konnen! Langeweile auf jede Weise von sich scheuchen ist gemein: wie arbeiten ohne Lust gemein ist. Es zeichnet vielleicht die Asiaten vor den Europaern aus, dass sie einer langeren, tieferen Ruhe fahig sind, als diese; selbst ihre Narcotica wirken langsam und verlangen Geduld, im Gegensatz zu der widrigen Plotzlichkeit des europaischen Giftes, des Alkohols.

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