Vorhandensein des Schmerzes als eines Gedankens kaum ertraglich und macht dem gesammten Dasein eine Gewissenssache und einen Vorwurf daraus. Das Auftauchen pessimistischer Philosophien ist durchaus nicht das Merkmal grosser, furchtbarer Nothstande; sondern diese Fragezeichen am Werthe alles Lebens werden in Zeiten gemacht, wo die Verfeinerung und Erleichterung des Daseins bereits die unvermeidlichen Muckenstiche der Seele und des Leibes als gar zu blutig und bosartig befindet und in der Armuth an wirklichen Schmerz-Erfahrungen am liebsten schon qualende allgemeine Vorstellungen als das Leid hochster Gattung erscheinen lassen mochte. — Es gabe schon ein Recept gegen pessimistische Philosophien und die ubergrosse Empfindlichkeit, welche mir die eigentliche» Noth der Gegenwart «zu sein scheint: — aber vielleicht klingt diess Recept schon zu grausam und wurde selber unter die Anzeichen gerechnet werden, auf Grund deren hin man jetzt urtheilt:»Das Dasein ist etwas Boses«. Nun! Das Recept gegen» die Noth «lautet: Noth.
Grossmuth und Verwandtes. — Jene paradoxen Erscheinungen, wie die plotzliche Kalte im Benehmen des Gemuthsmenschen, wie der Humor des Melancholikers, wie vor Allem die Grossmuth, als eine plotzliche Verzichtleistung auf Rache oder Befriedigung des Neides — treten an Menschen auf, in denen eine machtige innere Schleuderkraft ist, an Menschen der plotzlichen Sattigung und des plotzlichen Ekels. Ihre Befriedigungen sind so schnell und so stark, dass diesen sofort Ueberdruss und Widerwille und eine Flucht in den entgegengesetzten Geschmack auf dem Fusse folgt: in diesem Gegensatze lost sich der Krampf der Empfindung aus, bei Diesem durch plotzliche Kalte, bei jenem durch Gelachter, bei einem Dritten durch Thranen und Selbstaufopferung. Mir erscheint der Grossmuthige — wenigstens jene Art des Grossmuthigen, die immer am meisten Eindruck gemacht hat — als ein Mensch des aussersten Rachedurstes, dem eine Befriedigung sich in der Nahe zeigt und der sie so reichlich, grundlich und bis zum letzten Tropfen schon in der Vorstellung austrinkt, dass ein ungeheurer schneller Ekel dieser schnellen Ausschweifung folgt, — er erhebt sich nunmehr»uber sich«, wie man sagt, und verzeiht seinem Feinde, ja segnet und ehrt ihn. Mit dieser Vergewaltigung seiner selber, mit dieser Verhohnung seines eben noch so machtigen Rachetriebes giebt er aber nur dem neuen Triebe nach, der eben jetzt in ihm machtig geworden ist (dem Ekel), und thut diess ebenso ungeduldig und ausschweifend wie er kurz vorher die Freude an der Rache mit der Phantasie vorwegnahm und gleichsam ausschopfte. Es ist in der Grossmuth der selbe Grad von Egoismus wie in der Rache, aber eine andere Qualitat des Egoismus.
Das Argument der Vereinsamung. — Der Vorwurf des Gewissens ist auch beim Gewissenhaftesten schwach gegen das Gefuhl:»Diess und jenes ist wider die gute Sitte deiner Gesellschaft. «Ein kalter Blick, ein verzogener Mund von Seiten Derer, unter denen und fur die man erzogen ist, wird auch vom Starksten noch gefurchtet. Was wird da eigentlich gefurchtet? Die Vereinsamung! als das Argument, welches auch die besten Argumente fur eine Person oder Sache niederschlagt! — So redet der Heerden-Instinct aus uns.
Wahrheitssinn. — Ich lobe mir eine jede Skepsis, auf welche mir erlaubt ist zu antworten:»Versuchen wir's!«Aber ich mag von allen Dingen und allen Fragen, welche das Experiment nicht zulassen, Nichts mehr horen. Diess ist die Grenze meines» Wahrheitssinnes«: denn dort hat die Tapferkeit ihr Recht verloren.
Was Andere von uns wissen. — Das, was wir von uns selber wissen und im Gedachtniss haben, ist fur das Gluck unseres Lebens nicht so entscheidend, wie man glaubt. Eines Tages sturzt Das, was Andere von uns wissen (oder zu wissen meinen) uber uns her — und jetzt erkennen wir, dass es das Machtigere ist. Man wird mit seinem schlechten Gewissen leichter fertig, als mit seinem schlechten Rufe.
Wo das Gute beginnt. — Wo die geringe Sehkraft des Auges den bosen Trieb wegen seiner Verfeinerung nicht mehr als solchen zu sehen vermag, da setzt der Mensch das Reich des Guten an, und die Empfindung, nunmehr in's Reich des Guten ubergetreten zu sein, bringt alle die Triebe in Miterregung, welche durch die bosen Triebe bedroht und eingeschrankt waren, wie das Gefuhl der Sicherheit, des Behagens, des Wohlwollens. Also: je stumpfer das Auge, desto weiter reicht das Gute! Daher die ewige Heiterkeit des Volkes und der Kinder! Daher die Dusterkeit und der dem schlechten Gewissen verwandte Gram der grossen Denker!
Das Bewusstsein vom Scheine. — Wie wundervoll und neu und zugleich wie schauerlich und ironisch fuhle ich mich mit meiner Erkenntniss zum gesammten Dasein gestellt! Ich habe fur mich entdeckt, dass die alte Mensch- und Thierheit, ja die gesammte Urzeit und Vergangenheit alles empfindenden Seins in mir fortdichtet, fortliebt, forthasst, fortschliesst, — ich bin plotzlich mitten in diesem Traume erwacht, aber nur zum Bewusstsein, dass ich eben traume und dass ich weitertraumen muss, um nicht zu Grunde zu gehen: wie der Nachtwandler weitertraumen muss, um nicht hinabzusturzen. Was ist mir jetzt» Schein«! Wahrlich nicht der Gegensatz irgend eines Wesens, — was weiss ich von irgend welchem Wesen auszusagen, als eben nur die Pradicate seines Scheines! Wahrlich nicht eine todte Maske, die man einem unbekannten X aufsetzen und auch wohl abnehmen konnte! Schein ist fur mich das Wirkende und Lebende selber, das soweit in seiner Selbstverspottung geht, mich fuhlen zu lassen, dass hier Schein und Irrlicht und Geistertanz und nichts Mehr ist, — dass unter allen diesen Traumenden auch ich, der» Erkennende«, meinen Tanz tanze, dass der Erkennende ein Mittel ist, den irdischen Tanz in die Lange zu ziehen und insofern zu den Festordnern des Daseins gehort, und dass die erhabene Consequenz und Verbundenheit aller Erkenntnisse vielleicht das hochste Mittel ist und sein wird, die Allgemeinheit der Traumerei und die Allverstandlichkeit aller dieser Traumenden unter einander und eben damit die Dauer des Traumes aufrecht zu erhalten.
Der letzte Edelsinn. — Was macht denn» edel«? Gewiss nicht, dass man Opfer bringt; auch der rasend Wolllustige bringt Opfer. Gewiss nicht, dass man uberhaupt einer Leidenschaft folgt; es giebt verachtliche Leidenschaften. Gewiss nicht, dass man fur Andere Etwas thut und ohne Selbstsucht: vielleicht ist die Consequenz der Selbstsucht gerade bei dem Edelsten am grossten. — Sondern dass die Leidenschaft, die den