Edeln befallt, eine Sonderheit ist, ohne dass er um diese Sonderheit weiss: der Gebrauch eines seltenen und singularen Maassstabes und beinahe eine Verrucktheit: das Gefuhl der Hitze in Dingen, welche sich fur alle Anderen kalt anfuhlen: ein Errathen von Werthen, fur die die Wage noch nicht erfunden ist: ein Opferbringen auf Altaren, die einem unbekannten Gotte geweiht sind: eine Tapferkeit ohne den Willen zur Ehre: eine Selbstgenugsamkeit, welche Ueberfluss hat und an Menschen und Dinge mittheilt. Bisher war es also das Seltene und die Unwissenheit um diess Seltensein, was edel machte. Dabei erwage man aber, dass durch diese Richtschnur alles Gewohnte, Nachste und Unentbehrliche, kurz, das am meisten Arterhaltende, und uberhaupt die Regel in der bisherigen Menschheit, unbillig beurtheilt und im Ganzen verleumdet worden ist, zu Gunsten der Ausnahmen. Der Anwalt der Regel werden — das konnte vielleicht die letzte Form und Feinheit sein, in welcher der Edelsinn auf Erden sich offenbart.

56

Die Begierde nach Leiden. — Denke ich an die Begierde, Etwas zu thun, wie sie die Millionen junger Europaer fortwahrend kitzelt und stachelt, welche alle die Langeweile und sich selber nicht ertragen konnen, — so begreife ich, dass in ihnen eine Begierde, Etwas zu leiden, sein muss, um aus ihrem Leiden einen probablen Grund zum Thun, zur That herzunehmen. Noth ist nothig! Daher das Geschrei der Politiker, daher die vielen falschen, erdichteten, ubertriebenen» Nothstande «aller moglichen Classen und die blinde Bereitwilligkeit, an sie zu glauben. Diese junge Welt verlangt, von Aussen her solle — nicht etwa das Gluck — sondern das Ungluck kommen oder sichtbar werden; und ihre Phantasie ist schon voraus geschaftig, ein Ungeheuer daraus zu formen, damit sie nachher mit einem Ungeheuer kampfen konne. Fuhlten diese Nothsuchtigen in sich die Kraft, von Innen her sich selber wohlzuthun, sich selber Etwas anzuthun, so wurden sie auch verstehen, von Innen her sich eine eigene, selbsteigene Noth zu schaffen. Ihre Erfindungen konnten dann feiner sein und ihre Befriedigungen konnten wie gute Musik klingen: wahrend sie jetzt die Welt mit ihrem Nothgeschrei und folglich gar zu oft erst mit dem Nothgefuhle anfullen! Sie verstehen mit sich Nichts anzufangen — und so malen sie das Ungluck Anderer an die Wand: sie haben immer Andere nothig! Und immer wieder andere Andere! — Verzeihung, meine Freunde, ich habe gewagt, mein Gluck an die Wand zu malen.

Zweites Buch

57

An die Realisten. — Ihr nuchternen Menschen, die ihr euch gegen Leidenschaft und Phantasterei gewappnet fuhlt und gerne einen Stolz und einen Zierath aus eurer Leere machen mochtet, ihr nennt euch Realisten und deutet an, so wie euch die Welt erscheine, so sei sie wirklich beschaffen: vor euch allein stehe die Wirklichkeit entschleiert, und ihr selber waret vielleicht der beste Theil davon, — oh ihr geliebten Bilder von Sais! Aber seid nicht auch ihr in eurem entschleiertsten Zustande noch hochst leidenschaftliche und dunkle Wesen, verglichen mit den Fischen, und immer noch einem verliebten Kunstler allzu ahnlich? — und was ist fur einen verliebten Kunstler» Wirklichkeit«! Immer noch tragt ihr die Schatzungen der Dinge mit euch herum, welche in den Leidenschaften und Verliebtheiten fruherer Jahrhunderte ihren Ursprung haben! Immer noch ist eurer Nuchternheit eine geheime und unvertilgbare Trunkenheit einverleibt! Eure Liebe zur» Wirklichkeit «zum Beispiel — oh das ist eine alte uralte» Liebe«! In jeder Empfindung, in jedem Sinneseindruck ist ein Stuck dieser alten Liebe: und ebenso hat irgend eine Phantasterei, ein Vorurtheil, eine Unvernunft, eine Unwissenheit, eine Furcht und was sonst noch Alles! daran gearbeitet und gewebt. Da jener Berg! Da jene Wolke! Was ist denn daran» wirklich«? Zieht einmal das Phantasma und die ganze menschliche Zuthat davon ab, ihr Nuchternen! Ja, wenn ihr das konntet! Wenn ihr eure Herkunft, Vergangenheit, Vorschule vergessen konntet, — eure gesammte Menschheit und Thierheit! Es giebt fur uns keine» Wirklichkeit«— und auch fur euch nicht, ihr Nuchternen —, wir sind einander lange nicht so fremd, als ihr meint, und vielleicht ist unser guter Wille, uber die Trunkenheit hinauszukommen, ebenso achtbar als euer Glaube, der Trunkenheit uberhaupt unfahig zu sein.

58

Nur als Schaffende! — Diess hat mir die grosste Muhe gemacht und macht mir noch immerfort die grosste Muhe: einzusehen, dass unsaglich mehr daran liegt, wie die Dinge heissen, als was sie sind. Der Ruf, Name und Anschein, die Geltung, das ubliche Maass und Gewicht eines Dinges — im Ursprunge zuallermeist ein Irrthum und eine Willkurlichkeit, den Dingen ubergeworfen wie ein Kleid und seinem Wesen und selbst seiner Haut ganz fremd — ist durch den Glauben daran und sein Fortwachsen von Geschlecht zu Geschlecht dem Dinge allmahlich gleichsam an- und eingewachsen und zu seinem Leibe selber geworden: der Schein von Anbeginn wird zuletzt fast immer zum Wesen und wirkt als Wesen! Was ware das fur ein Narr, der da meinte, es genuge, auf diesen Ursprung und diese Nebelhulle des Wahnes hinzuweisen, um die als wesenhaft geltende Welt, die sogenannte» Wirklichkeit«, zu vernichten! Nur als Schaffende konnen wir vernichten! — Aber vergessen wir auch diess nicht: es genugt, neue Namen und Schatzungen und Wahrscheinlichkeiten zu schaffen, um auf die Lange hin neue» Dinge «zu schaffen.

59

Wir Kunstler! — Wenn wir ein Weib lieben, so haben wir leicht einen Hass auf die Natur, aller der widerlichen Naturlichkeiten gedenkend, denen jedes Weib ausgesetzt ist; gerne denken wir uberhaupt daran vorbei, aber wenn einmal unsere Seele diese Dinge streift, so zuckt sie ungeduldig und blickt, wie gesagt, verachtlich nach der Natur hin: — wir sind beleidigt, die Natur scheint in unsern Besitz einzugreifen und mit den ungeweihtesten Handen. Da macht man die Ohren zu gegen alle Physiologie und decretirt fur sich insgeheim» ich will davon, dass der Mensch noch etwas Anderes ist, ausser Seele und Form, Nichts horen!«»Der Mensch unter der Haut «ist allen Liebenden ein Greuel und Ungedanke, eine Gottes- und Liebeslasterung. — Nun, so wie jetzt noch der Liebende empfindet, in Hinsicht der Natur und Naturlichkeit, so empfand ehedem jeder Verehrer Gottes und seiner» heiligen Allmacht«: bei Allem, was von der Natur gesagt wurde, durch Astronomen, Geologen, Physiologen, Aerzte, sah er einen Eingriff in seinen kostlichsten Besitz und folglich einen Angriff, — und noch dazu eine Schamlosigkeit des Angreifenden! Das» Naturgesetz «klang ihm schon wie eine Verleumdung Gottes; im Grunde hatte er gar zu gerne alle Mechanik auf moralische Willens- und Willkuracte zuruckgefuhrt gesehn: — aber weil ihm Niemand diesen Dienst erweisen konnte, so verhehlte er sich die Natur und Mechanik, so gut er konnte und lebte im Traum. Oh diese Menschen von ehedem haben verstanden zu traumen und hatten nicht erst nothig, einzuschlafen! — und auch wir Menschen von heute verstehen es noch viel zu gut, mit allem unseren guten Willen zum Wachsein und zum Tage! Es genugt, zu lieben, zu hassen, zu begehren, uberhaupt zu empfinden, — sofort kommt der Geist und die Kraft des Traumes uber uns, und wir steigen offenen Auges und kalt gegen alle Gefahr auf den gefahrlichsten Wegen empor, hinauf auf die Dacher und Thurme der Phantasterei, und ohne allen Schwindel, wie geboren zum Klettern — wir Nachtwandler des Tages! Wir Kunstler! Wir Verhehler der Naturlichkeit! Wir Mond- und Gottsuchtigen! Wir todtenstillen unermudlichen Wanderer, auf Hohen, die wir nicht als Hohen sehen, sondern als unsere Ebenen, als unsere Sicherheiten!

Вы читаете Die frohliche Wissenschaft
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату