Unnatur, die singende Leidenschaft ertragen und gerne ertragen, Dank den Italianern. — Es ist uns ein Bedurfniss geworden, welches wir aus der Wirklichkeit nicht befriedigen konnen: Menschen in den schwersten Lagen gut und ausfuhrlich reden zu horen: es entzuckt uns jetzt, wenn der tragische Held da noch Worte, Grunde, beredte Gebarden und im Ganzen eine helle Geistigkeit findet, wo das Leben sich den Abgrunden nahert, und der wirkliche Mensch meistens den Kopf und gewiss die schone Sprache verliert. Diese Art Abweichung von der Natur ist vielleicht die angenehmste Mahlzeit fur den Stolz des Menschen; ihretwegen uberhaupt liebt er die Kunst, als den Ausdruck einer hohen, heldenhaften Unnaturlichkeit und Convention. Man macht mit Recht dem dramatischen Dichter einen Vorwurf daraus, wenn er nicht Alles in Vernunft und Wort verwandelt, sondern immer einen Rest Schweigen in der Hand zuruckbehalt: — so wie man mit dem Musiker der Oper unzufrieden ist, der fur den hochsten Affect nicht eine Melodie, sondern nur ein affectvolles» naturliches «Stammeln und Schreien zu finden weiss. Hier soll eben der Natur widersprochen werden! Hier soll eben der gemeine Reiz der Illusion einem hoheren Reize weichen! Die Griechen gehen auf diesem Wege weit, weit — zum Erschrecken weit! Wie sie die Buhne so schmal wie moglich bilden und alle Wirkung durch tiefe Hintergrunde sich verbieten, wie sie dem Schauspieler das Mienenspiel und die leichte Bewegung unmoglich machen und ihn in einen feierlichen, steifen, maskenhaften Popanz verwandeln, so haben sie auch der Leidenschaft selber den tiefen Hintergrund genommen und ihr ein Gesetz der schonen Rede dictirt, ja sie haben uberhaupt Alles gethan, um der elementaren Wirkung furcht- und mitleiderweckender Bilder entgegenzuwirken: sie wollten eben nicht Furcht und Mitleid, — Aristoteles in Ehren und hochsten Ehren! aber er traf sicherlich nicht den Nagel, geschweige den Kopf des Nagels, als er vom letzten Zweck der griechischen Tragodie sprach! Man sehe sich doch die griechischen Dichter der Tragodie darauf hin an, was am Meisten ihren Fleiss, ihre Erfindsamkeit, ihren Wetteifer erregt hat, — gewiss nicht die Absicht auf Ueberwaltigung der Zuschauer durch Affecte! Der Athener gieng in's Theater, um schone Reden zu horen! Und um schone Reden war es dem Sophokles zu thun! — man vergebe mir diese Ketzerei! — Sehr verschieden steht es mit der ernsten Oper: alle ihre Meister lassen es sich angelegen sein, zu verhuten, dass man ihre Personen verstehe. Ein gelegentlich aufgerafftes Wort mag dem unaufmerksamen Zuhorer zu Hulfe kommen: im Ganzen muss die Situation sich selber erklaren, — es liegt Nichts an den Reden! — so denken sie Alle und so haben sie Alle mit den Worten ihre Possen getrieben. Vielleicht hat es ihnen nur an Muth gefehlt, um ihre letzte Geringschatzung des Wortes ganz auszudrucken: ein wenig Frechheit mehr bei Rossini und er hatte durchweg la-la-la-la singen lassen — und es ware Vernunft dabei gewesen! Es soll den Personen der Oper eben nicht» auf's Wort «geglaubt werden, sondern auf den Ton! Das ist der Unterschied, das ist die schone Unnaturlichkeit, derentwegen man in die Oper geht! Selbst das recitativo secco will nicht eigentlich als Wort und Text angehort sein: diese Art von Halbmusik soll vielmehr dem musicalischen Ohre zunachst eine kleine Ruhe geben (die Ruhe von der Melodie, als dem sublimsten und desshalb auch anstrengendsten Genusse dieser Kunst) —, aber sehr bald etwas Anderes: namlich eine wachsende Ungeduld, ein wachsendes Widerstreben, eine neue Begierde nach ganzer Musik, nach Melodie. — Wie verhalt es sich, von diesem Gesichtspuncte aus gesehen, mit der Kunst Richard Wagner's? Vielleicht anders? Oft wollte es mir scheinen, als ob man Wort und Musik seiner Schopfungen vor der Auffuhrung auswendig gelernt haben mu?te: denn ohne diess — so schien es mir — hore man weder die Worte noch selber die Musik.
Griechischer Geschmack. — »Was ist Schones daran? — sagte jener Feldmesser nach einer Auffuhrung der Iphigenie — es wird Nichts darin bewiesen!«Sollten die Griechen so fern von diesem Geschmacke gewesen sein? Bei Sophokles wenigstens wird» Alles bewiesen».
Der esprit ungriechisch. — Die Griechen sind in allem ihrem Denken unbeschreiblich logisch und schlicht; sie sind dessen, wenigstens fur ihre lange gute Zeit, nicht uberdrussig geworden, wie die Franzosen es so haufig werden: welche gar zu gerne einen kleinen Sprung in's Gegentheil machen und den Geist der Logik eigentlich nur vertragen, wenn er durch eine Menge solcher kleiner Sprunge in's Gegentheil seine gesellige Artigkeit, seine gesellige Selbstverleugnung verrath. Logik erscheint ihnen als nothwendig, wie Brod und Wasser, aber auch gleich diesen als eine Art Gefangenenkost, sobald sie rein und allein genossen werden sollen. In der guten Gesellschaft muss man niemals vollstandig und allein Recht haben wollen, wie es alle reine Logik will: daher die kleine Dosis Unvernunft in allem franzosischen esprit. — Der gesellige Sinn der Griechen war bei Weitem weniger entwickelt, als der der Franzosen es ist und war: daher so wenig esprit bei ihren geistreichsten Mannern, daher so wenig Witz selbst bei ihren Witzbolden, daher — ach! Man wird mir schon diese meine Satze nicht glauben, und wie viele der Art habe ich noch auf der Seele! — Est res magna tacere — sagt Martial mit allen Geschwatzigen.
Uebersetzungen. — Man kann den Grad des historischen Sinnes, welchen eine Zeit besitzt, daran abschatzen, wie diese Zeit Uebersetzungen macht und vergangene Zeiten und Bucher sich einzuverleiben sucht. Die Franzosen Corneille's, und auch noch die der Revolution, bemachtigten sich des romischen Alterthums in einer Weise, zu der wir nicht den Muth mehr hatten — Dank unserem hoheren historischen Sinne. Und das romische Alterthum selbst: wie gewaltsam und naiv zugleich legte es seine Hand auf alles Gute und Hohe des griechischen alteren Alterthums! Wie ubersetzten sie in die romische Gegenwart hinein! Wie verwischten sie absichtlich und unbekummert den Flugelstaub des Schmetterlings Augenblick! So ubersetzte Horaz hier und da den Alcaus oder den Archilochus, so Properz den Callimachus und Philetas (Dichter gleichen Ranges mit Theokrit, wenn wir urtheilen durfen): was lag ihnen daran, dass der eigentliche Schopfer Diess und Jenes erlebt und die Zeichen davon in sein Gedicht hineingeschrieben hatte! — als Dichter waren sie dem antiquarischen Spurgeiste, der dem historischen Sinne voranlauft, abhold, als Dichter liessen sie diese ganz personlichen Dinge und Namen und Alles, was einer Stadt, einer Kuste, einem Jahrhundert als seine Tracht und Maske zu eigen war, nicht gelten, sondern stellten flugs das Gegenwartige und das Romische an seine Stelle. Sie scheinen uns zu fragen:»Sollen wir das Alte nicht fur uns neu machen und uns in ihm zurechtlegen? Sollen wir nicht unsere Seele diesem todten Leibe einblasen durfen? denn todt ist er nun einmal: wie hasslich ist alles Todte!«— Sie kannten den Genuss des historischen Sinnes nicht; das Vergangene und Fremde war ihnen peinlich, und als Romern ein Anreiz zu einer romischen Eroberung. In der That, man eroberte damals, wenn man ubersetzte, — nicht nur so, dass man das Historische wegliess: nein, man fugte die Anspielung auf das Gegenwartige hinzu, man strich vor Allem den Namen des Dichters hinweg und setzte den eigenen an seine Stelle — nicht im Gefuhl des Diebstahls, sondern mit dem allerbesten Gewissen des imperium Romanum.
Vom Ursprunge der Poesie. — Die Liebhaber des Phantastischen am Menschen, welche zugleich die Lehre von der instinctiven Moralitat vertreten, schliessen so:»gesetzt, man habe zu allen Zeiten den Nutzen als die hochste Gottheit verehrt, woher dann in aller Welt ist die Poesie gekommen? — diese Rhythmisirung der Rede, welche der Deutlichkeit der Mittheilung eher entgegenwirkt, als forderlich ist, und die trotzdem wie ein Hohn auf alle nutzliche Zweckmassigkeit uberall auf Erden aufgeschossen ist und noch aufschiesst! Die wildschone Unvernunftigkeit der Poesie widerlegt euch, ihr Utilitarier! Gerade vom Nutzen einmal loskommen wollen — das hat den Menschen erhoben, das hat ihn zur Moralitat und Kunst inspirirt!«Nun ich muss hierin einmal den Utilitariern zu Gefallen reden, — sie haben ja so selten Recht, dass es zum Erbarmen ist! Man