kleinen Pflanzen zu sein scheinen, welche neu, seltsam und schon, in wirklicher Vollkommenheit auf ihrem Boden zu wachsen vermogen. Das letzthin Gute ihres eigenen Gartens und Weinbergs wird von ihnen obenhin abgeschatzt, und ihre Liebe und ihre Einsicht sind nicht gleichen Ranges. Da ist ein Musiker, der mehr als irgend ein Musiker darin seine Meisterschaft hat, die Tone aus dem Reiche leidender, gedruckter, gemarterter Seelen zu finden und auch noch den stummen Thieren Sprache zu geben. Niemand kommt ihm gleich in den Farben des spaten Herbstes, dem unbeschreiblich ruhrenden Glucke eines letzten, allerletzten, allerkurzesten Geniessens, er kennt einen Klang fur jene heimlich-unheimlichen Mitternachte der Seele, wo Ursache und Wirkung aus den Fugen gekommen zu sein scheinen und jeden Augenblick Etwas» aus dem Nichts «entstehen kann; er schopft am glucklichsten von Allen aus dem unteren Grunde des menschlichen Gluckes und gleichsam aus dessen ausgetrunkenem Becher, wo die herbsten und widrigsten Tropfen zu guter- und boserletzt mit den sussesten zusammengelaufen sind; er kennt jenes mude Sich-schieben der Seele, die nicht mehr springen und fliegen, ja nicht mehr gehen kann; er hat den scheuen Blick des verhehlten Schmerzes, des Verstehens ohne Trost, des Abschiednehmens ohne Gestandniss; ja, als der Orpheus alles heimlichen Elendes ist er grosser, als irgend Einer, und Manches ist durch ihn uberhaupt der Kunst hinzugefugt worden, was bisher unausdruckbar und selbst der Kunst unwurdig erschien, und mit Worten namentlich nur zu verscheuchen, nicht zu fassen war, — manches ganz Kleine und Mikroskopische der Seele: ja, es ist der Meister des ganz Kleinen. Aber er will es nicht sein! Sein Charakter liebt vielmehr die grossen Wande und die verwegene Wandmalerei! Es entgeht ihm, dass sein Geist einen anderen Geschmack und Hang hat und am liebsten still in den Winkeln zusammengesturzter Hauser sitzt: — da, verborgen, sich selber verborgen, malt er seine eigentlichen Meisterstucke, welche alle sehr kurz sind, oft nur Einen Tact lang, — da erst wird er ganz gut, gross und vollkommen, da vielleicht allein. — Aber er weiss es nicht! Er ist zu eitel dazu, es zu wissen.
Der Ernst um die Wahrheit. — Ernst um die Wahrheit! Wie Verschiedenes verstehen die Menschen bei diesen Worten! Eben die selben Ansichten und Arten von Beweis und Prufung, welche ein Denker an sich wie eine Leichtfertigkeit empfindet, der er zu seiner Scham in dieser oder jener Stunde unterlegen ist, — eben die selben Ansichten konnen einem Kunstler, der auf sie stosst und mit ihnen zeitweilig lebt, das Bewusstsein geben, jetzt habe ihn der tiefste Ernst um die Wahrheit erfasst, und es sei bewunderungswurdig, dass er, obschon Kunstler, doch zugleich die ernsthafteste Begierde nach dem Gegensatze des Scheinenden zeige. So ist es moglich, dass Einer gerade mit seinem Pathos von Ernsthaftigkeit verrath, wie oberflachlich und genugsam sein Geist bisher im Reiche der Erkenntniss gespielt hat. — Und ist nicht Alles, was wir wichtig nehmen, unser Verrather? Es zeigt, wo unsere Gewichte liegen und wofur wir keine Gewichte besitzen.
Jetzt und ehedem. — Was liegt an aller unsrer Kunst der Kunstwerke, wenn jene hohere Kunst, die Kunst der Feste, uns abhanden kommt! Ehemals waren alle Kunstwerke an der grossen Feststrasse der Menschheit aufgestellt, als Erinnerungszeichen und Denkmaler hoher und seliger Momente. Jetzt will man mit den Kunstwerken die armen Erschopften und Kranken von der grossen Leidensstrasse der Menschheit bei Seite locken, fur ein lusternes Augenblickchen; man bietet ihnen einen kleinen Rausch und Wahnsinn an.
Lichter und Schatten. — Die Bucher und Niederschriften sind bei verschiedenen Denkern Verschiedenes: der Eine hat im Buche die Lichter zusammengebracht, die er geschwind aus den Strahlen einer ihm aufleuchtenden Erkenntniss wegzustehlen und heimzutragen wusste; ein Anderer giebt nur die Schatten, die Nachbilder in Grau und Schwarz von dem wieder, was Tags zuvor in seiner Seele sich aufbaute.
Vorsicht. — Alfieri hat, wie bekannt, sehr viel gelogen, als er den erstaunten Zeitgenossen seine Lebensgeschichte erzahlte. Er log aus jenem Despotismus gegen sich selber, den er zum Beispiel in der Art bewies, wie er sich seine eigene Sprache schuf und sich zum Dichter tyrannisirte: — er hatte endlich eine strenge Form von Erhabenheit gefunden, in welche er sein Leben und sein Gedachtniss hineinpresste: es wird viel Qual dabei gewesen sein. — Ich wurde auch einer Lebensgeschichte Platon's, von ihm selber geschrieben, keinen Glauben schenken: so wenig, als der Rousseau's, oder der vita nuova Dante's.
Prosa und Poesie. — Man beachte doch, dass die grossen Meister der Prosa fast immer auch Dichter gewesen sind, sei es offentlich, oder auch nur im Geheimen und fur das» Kammerlein«; und furwahr, man schreibt nur im Angesichte der Poesie gute Prosa! Denn diese ist ein ununterbrochener artiger Krieg mit der Poesie: alle ihre Reize bestehen darin, dass bestandig der Poesie ausgewichen und widersprochen wird; jedes Abstractum will als Schalkheit gegen diese und wie mit spottischer Stimme vorgetragen sein; jede Trockenheit und Kuhle soll die liebliche Gottin in eine liebliche Verzweifelung bringen; oft giebt es Annaherungen, Versohnungen des Augenblickes und dann ein plotzliches Zuruckspringen und Auslachen; oft wird der Vorhang aufgezogen und grelles Licht hereingelassen, wahrend gerade die Gottin ihre Dammerungen und dumpfen Farben geniesst; oft wird ihr das Wort aus dem Munde genommen und nach einer Melodie abgesungen, bei der sie die feinen Hande vor die feinen Oehrchen halt — und so giebt es tausend Vergnugungen des Krieges, die Niederlagen mitgezahlt, von denen die Unpoetischen, die sogenannten Prosa-Menschen, gar Nichts wissen: — diese schreiben und sprechen denn auch nur schlechte Prosa! Der Krieg ist der Vater aller guten Dinge, der Krieg ist auch der Vater der guten Prosa! — Vier sehr seltsame und wahrhaft dichterische Menschen waren es in diesem Jahrhundert, welche an die Meisterschaft der Prosa gereicht haben, fur die sonst diess Jahrhundert nicht gemacht ist — aus Mangel an Poesie, wie angedeutet. Um von Goethe abzusehen, welchen billigerweise das Jahrhundert in Anspruch nimmt, das ihn hervorbrachte: so sehe ich nur Giacomo Leopardi, Prosper Merimee, Ralph Waldo Emerson und Walter Savage Landor, den Verfasser der Imaginary Conversations, als wurdig an, Meister der Prosa zu heissen.
Aber warum schreibst denn du? — A.: Ich gehore nicht zu Denen, welche mit der nassen Feder in der Hand denken; und noch weniger zu jenen, die sich gar vor dem offenen Tintenfasse ihren Leidenschaften uberlassen, auf ihrem Stuhle sitzend und auf's Papier starrend. Ich argere oder schame mich alles Schreibens; Schreiben ist fur mich eine Nothdurft, — selbst im Gleichniss davon zu reden, ist mir widerlich. B.: Aber warum schreibst du dann? A.: Ja, mein Lieber, im Vertrauen gesagt: ich habe bisher noch kein anderes Mittel gefunden, meine Gedanken los zu werden. B.: Und warum willst du sie los werden? A.: Warum ich will? Will ich denn? Ich muss. — B.: Genug! Genug!