hatte in jenen alten Zeiten, welche die Poesie in's Dasein riefen, doch die Nutzlichkeit dabei im Auge und eine sehr grosse Nutzlichkeit — damals als man den Rhythmus in die Rede dringen liess, jene Gewalt die alle Atome des Satzes neu ordnet, die Worte wahlen heisst und den Gedanken neu farbt und dunkler, fremder, ferner macht: freilich eine aberglaubische Nutzlichkeit! Es sollte vermoge des Rhythmus den Gottern ein menschliches Anliegen tiefer eingepragt werden, nachdem man bemerkt hatte, dass der Mensch einen Vers besser im Gedachtniss behalt, als eine ungebundene Rede; ebenfalls meinte man durch das rhythmische Tiktak uber grossere Fernen hin sich horbar zu machen; das rhythmisirte Gebet schien den Gottern naher an's Ohr zu kommen. Vor Allem aber wollte man den Nutzen von jener elementaren Ueberwaltigung haben, welche der Mensch an sich beim Horen der Musik erfahrt: der Rhythmus ist ein Zwang; er erzeugt eine unuberwindliche Lust, nachzugeben, mit einzustimmen; nicht nur der Schritt der Fusse, auch die Seele selber geht dem Tacte nach, — wahrscheinlich, so schloss man, auch die Seele der Gotter! Man versuchte sie also durch den Rhythmus zu zwingen und eine Gewalt uber sie auszuuben: man warf ihnen die Poesie wie eine magische Schlinge um. Es gab noch eine wunderlichere Vorstellung: und diese gerade hat vielleicht am machtigsten zur Entstehung der Poesie gewirkt. Bei den Phythagoreern erscheint sie als philosophische Lehre und als Kunstgriff der Erziehung: aber langst bevor es Philosophen gab, gestand man der Musik die Kraft zu, die Affecte zu entladen, die Seele zu reinigen, die ferocia animi zu mildern — und zwar gerade durch das Rhythmische in der Musik. Wenn die richtige Spannung und Harmonie der Seele verloren gegangen war, musste man tanzen, in dem Tacte des Sangers, — das war das Recept dieser Heilkunst. Mit ihr stillte Terpander einen Aufruhr, besanftigte Empedokles einen Rasenden, reinigte Damon einen liebessiechen Jungling; mit ihr nahm man auch die wildgewordenen rachsuchtigen Gotter in Cur. Zuerst dadurch, dass man den Taumel und die Ausgelassenheit ihrer Affecte auf's Hochste trieb, also den Rasenden toll, den Rachsuchtigen rachetrunken machte: — alle orgiastischen Culte wollen die ferocia einer Gottheit auf Ein Mal entladen und zur Orgie machen, damit sie hinterher sich freier und ruhiger fuhle und den Menschen in Ruhe lasse. Melos bedeutet seiner Wurzel nach ein Besanftigungsmittel, nicht weil es selber sanft ist, sondern weil seine Nachwirkung sanft macht. — Und nicht nur im Cultusliede, auch bei dem weltlichen Liede der altesten Zeiten ist die Voraussetzung, dass das Rhythmische eine magische Kraft ube, zum Beispiel beim Wasserschopfen oder Rudern, das Lied ist eine Bezauberung der hierbei thatig gedachten Damonen, es macht sie willfahrig, unfrei und zum Werkzeug des Menschen. Und so oft man handelt, hat man einen Anlass zu singen, — jede Handlung ist an die Beihulfe von Geistern geknupft: Zauberlied und Besprechung scheinen die Urgestalt der Poesie zu sein. Wenn der Vers auch beim Orakel verwendet wurde — die Griechen sagten, der Hexameter sei in Delphi erfunden —, so sollte der Rhythmus auch hier einen Zwang ausuben. Sich prophezeien lassen — das bedeutet ursprunglich (nach der mir wahrscheinlichen Ableitung des griechischen Wortes): sich Etwas bestimmen lassen; man glaubt die Zukunft erzwingen zu konnen dadurch, dass man Apollo fur sich gewinnt: er, der nach der altesten Vorstellung viel mehr, als ein vorhersehender Gott ist. So wie die Formel ausgesprochen wird, buchstablich und rhythmisch genau, so bindet sie die Zukunft: die Formel aber ist die Erfindung Apollo's, welcher als Gott der Rhythmen auch die Gottinnen des Schicksals binden kann. — Im Ganzen gesehen und gefragt: gab es fur die alte aberglaubische Art des Menschen uberhaupt etwas Nutzlicheres, als den Rhythmus? Mit ihm konnte man Alles: eine Arbeit magisch fordern; einen Gott nothigen, zu erscheinen, nahe zu sein, zuzuhoren; die Zukunft sich nach seinem Willen zurecht machen; die eigene Seele von irgend einem Uebermaasse (der Angst, der Manie, des Mitleids, der Rachsucht) entladen, und nicht nur die eigene Seele, sondern die des bosesten Damons, — ohne den Vers war man Nichts, durch den Vers wurde man beinahe ein Gott. Ein solches Grundgefuhl lasst sich nicht mehr vollig ausrotten, — und noch jetzt, nach Jahrtausende langer Arbeit in der Bekampfung solchen Aberglaubens, wird auch der Weiseste von uns gelegentlich zum Narren des Rhythmus, sei es auch nur darin, dass er einen Gedanken als wahrer empfindet, wenn er eine metrische Form hat und mit einem gottlichen Hopsasa daher kommt. Ist es nicht eine sehr lustige Sache, dass immer noch die ernstesten Philosophen, so streng sie es sonst mit aller Gewissheit nehmen, sich auf Dichterspruche berufen, um ihren Gedanken Kraft und Glaubwurdigkeit zu geben? — und doch ist es fur eine Wahrheit gefahrlicher, wenn der Dichter ihr zustimmt, als wenn er ihr widerspricht! Denn wie Homer sagt: Viel ja lugen die Sanger!»—
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