Wachsthum nach dem Tode. — Jene kleinen verwegenen Worte uber moralische Dinge, welche Fontenelle in seinen unsterblichen Todtengesprachen hinwarf, galten seiner Zeit als Paradoxien und Spiele eines nicht unbedenklichen Witzes; selbst die hochsten Richter des Geschmackes und des Geistes sahen nicht mehr darin, — ja, vielleicht Fontenelle selber nicht. Nun ereignet sich etwas Unglaubliches: diese Gedanken werden Wahrheiten! Die Wissenschaft beweist sie! Das Spiel wird zum Ernst! Und wir lesen jene Dialoge mit einer anderen Empfindung, als Voltaire und Helvetius sie lasen, und heben unwillkurlich ihren Urheber in eine andere und viel hohere Rangclasse der Geister, als jene thaten, — mit Recht? Mit Unrecht?
Chamfort. — Dass ein solcher Kenner der Menschen und der Menge, wie Chamfort, eben der Menge beisprang und nicht in philosophischer Entsagung und Abwehr seitwarts stehen blieb, das weiss ich mir nicht anders zu erklaren, als so: Ein Instinct war in ihm starker, als seine Weisheit, und war nie befriedigt worden, der Hass gegen alle Noblesse des Gebluts: vielleicht der alte nur zu erklarliche Hass seiner Mutter, welcher durch die Liebe zur Mutter in ihm heilig gesprochen — war, — ein Instinct der Rache von seinen Knabenjahren her, der die Stunde erwartete, die Mutter zu rachen. Und nun hatte ihn das Leben und sein Genie, und ach! am meisten wohl das vaterliche Blut in seinen Adern dazu verfuhrt, eben dieser Noblesse sich einzureihen und gleichzustellen — viele viele Jahre lang! Endlich ertrug er aber seinen eigenen Anblick, den Anblick des» alten Menschen «unter dem alten Regime nicht mehr; er gerieth in eine heftige Leidenschaft der Busse, und in dieser zog er das Gewand des Pobels an, als seine Art von harener Kutte! Sein boses Gewissen war die Versaumniss der Rache. — Gesetzt, Chamfort ware damals um einen Grad mehr Philosoph geblieben, so hatte die Revolution ihren tragischen Witz und ihren scharfsten Stachel nicht bekommen: sie wurde als ein viel dummeres Ereigniss gelten und keine solche Verfuhrung der Geister sein. Aber der Hass und die Rache Chamfort's erzogen ein ganzes Geschlecht: und die erlauchtesten Menschen machten diese Schule durch. Man erwage doch, dass Mirabeau zu Chamfort wie zu seinem hoheren und alteren Selbst aufsah, von dem er Antriebe, Warnungen und Richterspruche erwartete und ertrug, — Mirabeau, der als Mensch zu einem ganz anderen Range der Grosse gehort, als selbst die Ersten unter den staatsmannischen Grossen von gestern und heute. — Seltsam, dass trotz einem solchen Freunde und Fursprecher — man hat ja die Briefe Mirabeau's an Chamfort — dieser witzigste aller Moralisten den Franzosen fremd geblieben ist, nicht anders, als Stendhal, der vielleicht unter allen Franzosen dieses Jahrhunderts die gedankenreichsten Augen und Ohren gehabt hat. Ist es, dass Letzterer im Grunde zu viel von einem Deutschen und Englander an sich hatte, um den Parisern noch ertraglich zu sein? — wahrend Chamfort, ein Mensch, reich an Tiefen und Hintergrunden der Seele, duster, leidend, gluhend, — ein Denker, der das Lachen als das Heilmittel gegen das Leben nothig fand, und der sich beinahe verloren gab, an jedem Tage, wo er nicht gelacht hatte, — vielmehr wie ein Italianer und Blutsverwandter Dante's und Leopardi's erscheint, als wie ein Franzose! Man kennt die letzten Worte Chamfort's:»Ah! mon ami, sagte er zu Sieyes, je m'en vais enfin de ce monde, ou il faut que le c?ur se brise ou se bronze — «. Das sind sicherlich nicht Worte eines sterbenden Franzosen.
Zwei Redner. — Von diesen beiden Rednern erreicht der eine die ganze Vernunft seiner Sache nur dann, wenn er sich der Leidenschaft uberlasst: erst diese pumpt genug Blut und Hitze ihm in's Gehirn, um seine hohe Geistigkeit zur Offenbarung zu zwingen. Der Andere versucht wohl hier und da das Selbe: mit Hulfe der Leidenschaft seine Sache volltonend, heftig und hinreissend vorzubringen, — aber gewohnlich mit einem schlechten Erfolge. Er redet dann sehr bald dunkel und verwirrt, er ubertreibt, macht Auslassungen und erregt gegen die Vernunft seiner Sache Misstrauen: ja, er selber empfindet dabei diess Misstrauen, und daraus erklaren sich plotzliche Sprunge in die kaltesten und abstossendsten Tone, welche in dem Zuhorer einen Zweifel erregen, ob seine ganze Leidenschaftlichkeit acht gewesen sei. Bei ihm uberfluthet jedes Mal die Leidenschaft den Geist; vielleicht, weil sie starker ist, als bei dem Ersten. Aber er ist auf der Hohe seiner Kraft, wenn er dem andringenden Sturme seiner Empfindung widersteht und ihn gleichsam verhohnt: da erst tritt sein Geist ganz aus seinem Versteck heraus, ein logischer, spottischer, spielender, und doch furchtbarer Geist.
Von der Geschwatzigkeit der Schriftsteller. — Es giebt eine Geschwatzigkeit des Zornes, — haufig bei Luther, auch bei Schopenhauer. Eine Geschwatzigkeit aus einem zu grossen Vorrathe von Begriffsformeln wie bei Kant. Eine Geschwatzigkeit aus Lust an immer neuen Wendungen der selben Sache: man findet sie bei Montaigne. Eine Geschwatzigkeit hamischer Naturen: wer Schriften dieser Zeit liest, wird sich hierbei zweier Schriftsteller erinnern. Eine Geschwatzigkeit aus Lust an guten Worten und Sprachformen: nicht selten in der Prosa Goethe's. Eine Geschwatzigkeit aus innerem Wohlgefallen an Larm und Wirrwarr der Empfindungen: zum Beispiel bei Carlyle.
Zum Ruhme Shakespeare's. — Das Schonste, was ich zum Ruhme Shakespeare's, des Menschen, zu sagen wusste, ist diess: er hat an Brutus geglaubt und kein Staubchen Misstrauens auf diese Art Tugend geworfen! Ihm hat er seine beste Tragodie geweiht — sie wird jetzt immer noch mit einem falschen Namen genannt —, ihm und dem furchtbarsten Inbegriff hoher Moral. Unabhangigkeit der Seele! — das gilt es hier! Kein Opfer kann da zu gross sein: seinen liebsten Freund selbst muss man ihr opfern konnen, und sei er noch dazu der herrlichste Mensch, die Zierde der Welt, das Genie ohne Gleichen, — wenn man namlich die Freiheit als die Freiheit grosser Seelen liebt, und durch ihn dieser Freiheit Gefahr droht: — derart muss Shakespeare gefuhlt haben! Die Hohe, in welche er Casar stellt, ist die feinste Ehre, die er Brutus erweisen konnte: so erst erhebt er dessen inneres Problem in's Ungeheure und ebenso die seelische Kraft, welche diesen Knoten zu zerhauen vermochte! — Und war es wirklich die politische Freiheit, welche diesen Dichter zum Mitgefuhl mit Brutus trieb, — zum Mitschuldigen des Brutus machte? Oder war die politische Freiheit nur eine Symbolik fur irgend etwas Unaussprechbares? Stehen wir vielleicht vor irgend einem unbekannt gebliebenen dunklen Ereignisse und Abenteuer aus des Dichters eigener Seele, von dem er nur durch Zeichen reden mochte? Was ist alle Hamlet-Melancholie gegen die Melancholie des Brutus! — und vielleicht kennt Shakespeare auch diese, wie er jene kannte, aus Erfahrung! Vielleicht hatte auch er seine finstere Stunde und seinen bosen Engel, gleich Brutus! — Was es aber auch derart von Aehnlichkeiten und geheimen Bezugen gegeben haben mag: vor der ganzen Gestalt und Tugend des Brutus warf Shakespeare sich auf den Boden und fuhlte sich unwurdig und ferne: — das Zeugniss dafur hat er in seine Tragodie hineingeschrieben. Zweimal hat er in ihr einen Poeten vorgefuhrt und zweimal eine solche ungeduldige und allerletzte Verachtung uber ihn geschuttet, dass es wie ein Schrei klingt, — wie der Schrei der Selbstverachtung. Brutus, selbst Brutus verliert die Geduld, als der Poet auftritt, eingebildet, pathetisch, zudringlich, wie Poeten zu sein pflegen, als ein Wesen, welches von Moglichkeiten der Grosse, auch der sittlichen Grosse, zu strotzen scheint und es doch in der Philosophie der That und des Lebens selten selbst bis zur gemeinen Rechtschaffenheit bringt.»Kennt er die Zeit, so kenn' ich seine Launen, — fort mit dem Schellen-Hanswurst!«— ruft Brutus. Man ubersetze sich diess' zuruck in die