mehr zu hemmen schien und nur noch ein kleiner Steg zwischen uns war. Indem du ihn eben betreten wolltest, fragte ich dich:»willst du zu mir uber den Steg?«— Aber da wolltest du nicht mehr; und als ich nochmals bat, schwiegst du. Seitdem sind Berge und reissende Strome, und was nur, trennt und fremd macht, zwischen uns geworfen, und wenn wir auch zu einander wollten, wir konnten es nicht mehr! Gedenkst du aber jetzt jenes kleinen Steges, so hast du nicht Worte mehr, — nur noch Schluchzen und Verwunderung.
Seine Armuth motiviren. — Wir konnen freilich durch kein Kunststuck aus einer armen Tugend eine reiche, reichfliessende machen, aber wohl konnen wir ihre Armuth schon in die Nothwendigkeit umdeuten, sodass ihr Anblick uns nicht mehr wehe thut, und wir ihrethalben dem Fatum keine vorwurfsvollen Gesichter machen. So thut der weise Gartner, der das arme Wasserchen seines Gartens einer Quellnymphe in den Arm legt und also die Armuth motivirt: — und wer hatte nicht gleich ihm die Nymphen nothig!
Antiker Stolz. — Die antike Farbung der Vornehmheit fehlt uns, weil unserem Gefuhle der antike Sclave fehlt. Ein Grieche edler Abkunft fand zwischen seiner Hohe und jener letzten Niedrigkeit solche ungeheure Zwischen-Stufen und eine solche Ferne, dass er den Sclaven kaum noch deutlich sehen konnte: selbst Plato hat ihn nicht ganz mehr gesehen. Anders wir, gewohnt wie wir sind an die Lehre von der Gleichheit der Menschen, wenn auch nicht an die Gleichheit selber. Ein Wesen, das nicht uber sich selber verfugen kann und dem die Musse fehlt, — das gilt unserem Auge noch keineswegs als etwas Verachtliches; es ist von derlei Sclavenhaftem vielleicht zu viel an jedem von uns, nach den Bedingungen unserer gesellschaftlichen Ordnung und Thatigkeit, welche grundverschieden von denen der Alten sind. — Der griechische Philosoph gieng durch das Leben mit dem geheimen Gefuhle, dass es viel mehr Sclaven gebe, als man vermeine — namlich, dass Jedermann Sclave sei, der nicht Philosoph sei; sein Stolz schwoll uber, wenn er erwog, dass auch die Machtigsten der Erde unter diesen seinen Sclaven seien. Auch dieser Stolz ist uns fremd und unmoglich; nicht einmal im Gleichniss hat das Wort» Sclave «fur uns seine volle Kraft.
Das Bose. — Prufet das Leben der besten und fruchtbarsten Menschen und Volker und fragt euch, ob ein Baum, der stolz in die Hohe wachsen soll, des schlechten Wetters und der Sturme entbehren konne: ob Ungunst und Widerstand von aussen, ob irgend welche Arten von Hass, Eifersucht, Eigensinn, Misstrauen, Harte, Habgier und Gewaltsamkeit nicht zu den begunstigenden Umstanden gehoren, ohne welche ein grosses Wachsthum selbst in der Tugend kaum moglich ist? Das Gift, an dem die schwachere Natur zu Grunde geht, ist fur den Starken Starkung — und er nennt es auch nicht Gift.
Wurde der Thorheit. — Einige Jahrtausende weiter auf der Bahn des letzten Jahrhunderts! — und in Allem, was der Mensch thut, wird die hochste Klugheit sichtbar sein: aber eben damit wird die Klugheit alle ihre Wurde verloren haben. Es ist dann zwar nothwendig, klug zu sein, aber auch so gewohnlich und so gemein, dass ein eklerer Geschmack diese Nothwendigkeit als eine Gemeinheit empfinden wird. Und ebenso wie eine Tyrannei der Wahrheit und Wissenschaft im Stande ware, die Luge hoch im Preise steigen zu machen, so konnte eine Tyrannei der Klugheit eine neue Gattung von Edelsinn hervortreiben. Edel sein — dass hiesse dann vielleicht Thorheiten im Kopfe haben.
An die Lehrer der Selbstlosigkeit. — Man nennt die Tugenden eines Menschen gut, nicht in Hinsicht auf die Wirkungen, welche sie fur ihn selber haben, sondern in Hinsicht auf die Wirkungen, welche wir von ihnen fur uns und die Gesellschaft voraussetzen: — man ist von jeher im Lobe der Tugenden sehr wenig» selbstlos«, sehr wenig» unegoistisch «gewesen! Sonst namlich hatte man sehen mussen, dass die Tugenden (wie Fleiss, Gehorsam, Keuschheit, Pietat, Gerechtigkeit) ihren Inhabern meistens schadlich sind, als Triebe, welche allzu heftig und begehrlich in ihnen walten und von der Vernunft sich durchaus nicht im Gleichgewicht zu den andern Trieben halten lassen wollen. Wenn du eine Tugend hast, eine wirkliche, ganze Tugend (und nicht nur ein Triebchen nach einer Tugend!) — so bist du ihr Opfer! Aber der Nachbar lobt eben desshalb deine Tugend! Man lobt den Fleissigen, ob er gleich die Sehkraft seiner Augen oder die Ursprunglichkeit und Frische seines Geistes mit diesem Fleisse schadigt; man ehrt und bedauert den Jungling, welcher sich» zu Schanden gearbeitet hat«, weil man urtheilt:»Fur das ganze Grosse der Gesellschaft ist auch der Verlust des besten Einzelnen nur ein kleines Opfer! Schlimm, dass das Opfer Noth thut! Viel schlimmer freilich, wenn der Einzelne anders denken und seine Erhaltung und Entwickelung wichtiger nehmen sollte, als seine Arbeit im Dienste der Gesellschaft!«Und so bedauert man diesen Jungling, nicht um seiner selber willen, sondern weil ein ergebenes und gegen sich rucksichtsloses Werkzeug — ein sogenannter» braver Mensch«— durch diesen Tod der Gesellschaft verloren gegangen ist. Vielleicht erwagt man noch, ob es im Interesse der Gesellschaft nutzlicher gewesen sein wurde, wenn er minder rucksichtslos gegen sich gearbeitet und sich langer erhalten hatte, — ja man gesteht sich wohl einen Vortheil davon zu, schlagt aber jenen anderen Vortheil, dass ein Opfer gebracht und die Gesinnung des Opferthiers sich wieder einmal augenscheinlich bestatigt hat, fur hoher und nachhaltiger an. Es ist also einmal die Werkzeug-Natur in den Tugenden, die eigentlich gelobt wird, wenn die Tugenden gelobt werden, und sodann der blinde in jeder Tugend waltende Trieb, welcher durch den Gesammt-Vortheil des Individuums sich nicht in Schranken halten lasst, kurz: die Unvernunft in der Tugend, vermoge deren das Einzelwesen sich zur Function des Ganzen umwandeln lasst. Das Lob der Tugenden ist das Lob von etwas Privat-Schadlichem, — das Lob von Trieben, welche dem Menschen seine edelste Selbstsucht und die Kraft zur hochsten Obhut uber sich selber nehmen. — Freilich: zur Erziehung und zur Einverleibung tugendhafter Gewohnheiten kehrt man eine Reihe von Wirkungen der Tugend heraus, welche Tugend und Privat-Vortheil als verschwistert erscheinen lassen, — und es giebt in der That eine solche Geschwisterschaft! Der blindwuthende Fleiss zum Beispiel, diese typische Tugend eines Werkzeuges, wird dargestellt als der Weg zu Reichthum und Ehre und als das heilsamste Gift gegen die Langeweile und die Leidenschaften: aber man verschweigt seine Gefahr, seine hochste Gefahrlichkeit. Die Erziehung verfahrt durchweg so: sie sucht den Einzelnen durch eine Reihe von Reizen und Vortheilen zu einer Denk- und Handlungsweise zu bestimmen, welche, wenn sie Gewohnheit, Trieb und Leidenschaft geworden ist, wider seinen letzten Vortheil, aber» zum allgemeinen Besten «in ihm und uber ihn herrscht. Wie oft sehe ich es, dass der blindwuthende Fleiss zwar Reichthumer und Ehre schafft, aber zugleich den Organen die Feinheit nimmt, vermoge deren es einen Genuss an Reichthum und Ehren geben konnte, ebenso, dass jenes Hauptmittel gegen die Langeweile und die Leidenschaften zugleich die Sinne stumpf und den Geist widerspanstig gegen neue Reize macht. (Das fleissigste aller Zeitalter — unser Zeitalter — weiss aus seinem vielen Fleisse und Gelde Nichts zu machen, als immer wieder mehr Geld und immer wieder mehr Fleiss: es gehort eben mehr Genie dazu, auszugeben, als zu erwerben! — Nun, wir werden unsere» Enkel «haben!) Gelingt die Erziehung, so ist jede Tugend des Einzelnen eine offentliche Nutzlichkeit und ein privater Nachtheil im Sinne des hochsten privaten Zieles, — wahrscheinlich irgend eine geistig-sinnliche Verkummerung oder