man an die Teufel und die Versucher glaubte! Was die Leidenschaft, wenn man die Damonen in der Nahe lauern sah! Was die Philosophie, wenn der Zweifel als Versundigung der gefahrlichsten Art gefuhlt wurde, und zwar als ein Frevel an der ewigen Liebe, als Misstrauen gegen Alles, was gut, hoch, rein und erbarmend war! — Wir haben die Dinge neu gefarbt, wir malen immerfort an ihnen, — aber was vermogen wir einstweilen gegen die Farbenpracht jener alten Meisterin! — ich meine die alte Menschheit.

153

Homo poeta. — »Ich selber, der ich hochst eigenhandig diese Tragodie der Tragodien gemacht habe, soweit sie fertig ist; ich, der ich den Knoten der Moral erst in's Dasein hineinknupfte und so fest zog, dass nur ein Gott ihn losen kann, — so verlangt es ja Horaz! — ich selber habe jetzt im vierten Act alle Gotter umgebracht, — aus Moralitat! Was soll nun aus dem funften werden! Woher noch die tragische Losung nehmen! — Muss ich anfangen, uber eine komische Losung nachzudenken?»

154

Verschiedene Gefahrlichkeit des Lebens. — Ihr wisst gar nicht, was ihr erlebt, ihr lauft wie betrunken durch's Leben und fallt ab und zu eine Treppe hinab. Aber, Dank eurer Trunkenheit, brecht ihr doch nicht dabei die Glieder: eure Muskeln sind zu matt und euer Kopf zu dunkel, als dass ihr die Steine dieser Treppe so hart fandet, wie wir Anderen! Fur uns ist das Leben eine grossere Gefahr: wir sind von Glas — wehe, wenn wir uns stossen! Und Alles ist verloren, wenn wir fallen!

155

Was uns fehlt. — Wir lieben die grosse Natur und haben sie entdeckt: das kommt daher, dass in unserem Kopfe die grossen Menschen fehlen. Umgekehrt die Griechen — ihr Naturgefuhl ist ein anderes, als das unsrige.

156

Der Einflussreichste. — Dass ein Mensch seiner ganzen Zeit Widerstand leistet, sie am Thore aufhalt und zur Rechenschaft zieht, das muss Einfluss uben! Ob er es will, ist gleichgultig; dass er es kann, ist die Sache.

157

Mentiri. — Gieb Acht! — er sinnt nach: sofort wird er eine Luge bereit haben. Diess ist eine Stufe der Cultur, auf der ganze Volker gestanden haben. Man erwage doch, was die Romer mit mentiri ausdruckten!

158

Unbequeme Eigenschaft. — Alle Dinge tief finden — das ist eine unbequeme Eigenschaft: sie macht, dass man bestandig seine Augen anstrengt und am Ende immer mehr findet, als man gewunscht hat.

159

Jede Tugend hat ihre Zeit. — Wer jetzt unbeugsam ist, dem macht seine Redlichkeit oft Gewissensbisse: denn die Unbeugsamkeit ist die Tugend eines anderen Zeitalters, als: die Redlichkeit.

160

Im Verkehre mit Tugenden. — Man kann auch gegen eine Tugend wurdelos und schmeichlerisch sein.

161

An die Liebhaber der Zeit. — Der entlaufene Priester und der entlassene Strafling machen fortwahrend Gesichter: was sie wollen, ist ein Gesicht ohne Vergangenheit. — Habt ihr aber schon Menschen gesehen, welche wissen, dass die Zukunft in ihrem Gesichte sich spiegelt, und welche so hoflich gegen euch, ihr Liebhaber der» Zeit«, sind, dass sie ein Gesicht, ohne Zukunft machen? —

162

Egoismus. — Egoismus ist das perspectivische Gesetz der Empfindung, nach dem das Nachste gross und schwer erscheint: wahrend nach der Ferne zu alle Dinge an Grosse und Gewicht abnehmen.

163

Nach einem grossen Siege. — Das Beste an einem grossen Siege ist, dass er dem Sieger die Furcht vor einer Niederlage nimmt.»Warum nicht auch einmal unterliegen? — sagt er sich: ich bin jetzt reich genug dazu».

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