Kitty nahm einen Schluck von ihrem Tee und versank in Schweigen. Mark steckte sich eine Zigarette an und legte die Fu?e auf das Fensterbrett. Er tat, als waren seine Finger eine Pistole, mit der er uber die Spitzen seiner Schuhe auf die Pier zielte.

»Und was hast du jetzt vor, Mark?«

»Ich? Der alte Mark Parker ist in den Domanen Seiner Majestat nicht mehr gern gesehen. Ich gehe zunachst in die Staaten zuruck, und dann mache ich vielleicht mal einen Abstecher nach Asien. Das hat mich sowieso schon immer gereizt. Wie ich hore, geht es dort drunter und druber.«

»Du meinst, die Englander wurden dich nach Palastina nicht hineinlassen?«

»Vollig ausgeschlossen. Ich habe mich sehr unbeliebt gemacht. Hatte es sich nicht um korrekte Englander gehandelt, wurde ich sogar sagen, sie hassen mich wie die Pest. Aber, ehrlich gestanden, ich kann ihnen das nicht ubelnehmen.«

»Gib mir eine Zigarette.«

Mark zundete eine Zigarette an und gab sie ihr. Dann machte er mit seiner imaginaren Pistole weiter Zielubungen und wartete ab.

»Du bist ein Scheusal, Mark! Ich hasse deine uberhebliche Art, meine Gedanken zu lesen.«

»Du bist ein emsiges kleines Madchen. Du warst bei den Englandern und hast sie um die Einreisegenehmigung nach Palastina gebeten. Wie hofliche Leute, die sie nun einmal sind, haben sie dir mit einer Verbeugung die Tur aufgemacht. Du bist fur sie einfach eine saubere Amerikanerin, die ihre Pflicht getan hat. Da? du so ein bi?chen fur Aliyah Bet gearbeitet hast, davon wei? man bei der CID naturlich nichts. Also fahrst du nun, oder fahrst du nicht?«

»Gott, ich wei? nicht.«

»Du meinst, du hast dich noch nicht dazu uberreden konnen?«

»Ich meine, da? ich es nicht wei?.«

»Was mochtest du nun — soll ich dir abraten oder zuraten?«

»Du konntest endlich aufhoren, dich wie ein Buddha zu benehmen, der von seiner Hohe lachelnd auf die armen Sterblichen und ihre Note herabschaut. Und du konntest aufhoren, aus dem Hinterhalt auf mich zu schie?en.«

Mark nahm die Fu?e vom Fensterbrett und sagte: »Dann geh doch — geh in Gottes Namen nach Palastina. Das wolltest du doch horen, nicht wahr?«

»Ich fuhle mich noch immer unbehaglich, wenn ich unter lauter Juden bin — ich kann mir nicht helfen.«

»Du fuhlst dich aber gar nicht unbehaglich, wenn du mit diesem Madchen zusammen bist? Oder? Erinnert sie dich immer noch an deine Tochter?«

»Nein, nicht mehr, eigentlich gar nicht. Dazu ist sie eine viel zu ausgepragte Personlichkeit. Aber ich liebe sie und mochte sie gern bei mir haben, falls das der Sinn deiner Frage gewesen sein sollte.« »Ich hatte Sie gern noch etwas gefragt, Mrs. Fremont.«

»Bitte.«

»Liebst du eigentlich Ari ben Kanaan?«

Ob sie Ari ben Kanaan liebte? Sicher, sie verspurte jedesmal eine starke Wirkung, wenn er in ihrer Nahe war, mit ihr sprach oder sie ansah, ja sogar, wenn sie nur an ihn dachte. Sie hatte noch nie einen Mann gekannt, der so war wie er. Sie hatte ein bi?chen Angst vor seiner Verschlossenheit, seiner Beherrschtheit und seiner Energie. Sie war voller Bewunderung fur seinen Mut und seine Kuhnheit. Sie wu?te auch, da? es Augenblicke gab, in denen er ihr so zuwider war, wie ihr noch nie irgendein anderer Mensch zuwider gewesen war. Aber ob sie ihn liebte?

»Ich wei? es nicht«, sagte sie leise. »So wenig ich imstande bin, sehenden Auges in diese Sache hineinzugehen — ebensowenig scheint es mir moglich, mich davon zu entfernen. Und ich wei? nicht, warum — ich wei? es einfach nicht.«

Spater sa? Kitty uber eine Stunde an Karens Bett in der Krankenstation, die man im zweiten Stock des Hotels eingerichtet hatte, Das Madchen hatte sich erstaunlich rasch erholt. Die Arzte waren sehr beeindruckt von der geradezu magischen Wirkung, die die zwei Worte »Erez Israel« auf alle Kinder hatte. Diese beiden Worte vermochten mehr als irgendeine Medizin. Wahrend Kitty bei Karen sa?, betrachtete sie die Gesichter der Kinder in den anderen Betten. Was fur Menschen waren das? Woher kamen sie? Wohin gingen sie? Was fur sonderbare Wesen, besessen und angetrieben von einem seltsamen, unbegreiflichen Fanatismus.

In dem Gesprach zwischen Kitty und Karen entstanden immer wieder lange Pausen, in denen es beide nicht wagten, die Frage anzuschneiden, ob Kitty mit nach Palastina kame. Schlie?lich schlief Karen ein. Kitty sah sie lange an, dann ku?te sie Karen auf die Stirn und strich ihr uber das Haar, und Karen lachelte im Schlaf. Drau?en auf dem Korridor begegnete sie Dov Landau, der ruhelos auf und ab ging. Beide blieben stehen, starrten einander an, und Kitty ging wortlos an ihm voruber.

Die Sonne versank im Meer, als Kitty in den Hafen kam. Am Kai standen Seew Gilboa und Joab Yarkoni und uberwachten das Verladen von Kisten auf die Exodus. Kitty sah sich nach Ari um, doch er war nicht zu sehen.

»Schalom, Kitty!« riefen Seew und Joab ihr zu.

»Hello!« rief sie zuruck.

Sie ging den Kai entlang und auf der Mole hinaus zum Leuchtturm. Es wurde kuhl, Kitty zog ihre Wolljacke an. Ich mu? dahinterkommen, ich mu?, mu?, mu?, sagte sie sich immer wieder. Am Ende der Mole sah sie David ben Ami sitzen. Er schien in Gedanken verloren, sah aufs Meer hinaus und warf flache Steine uber das Wasser. Sie ging zu ihm hin; er blickte auf und lachelte. »Schalom, Kitty. Sie sehen ausgeruht aus.«

Sie setzte sich neben ihn. Eine Weile bewunderten beide schweigend den Sonnenuntergang.

»Denken Sie an zu Hause?« fragte Kitty schlie?lich.

»Ja.«

»An Jordana — so hei?t sie doch, nicht wahr — Aris Schwester?« David nickte.

»Werden Sie sie sehen?«

»Wenn ich Gluck habe, werden wir ein bi?chen Zeit fureinander haben.«

»David —.«

»Ja?«

»Was wird aus den Kindern?«

»Wir werden gut fur sie sorgen. Sie sind unsere Zukunft.«

»Ist die Situation in Palastina gefahrlich?«

»Ja, die Situation ist au?erordentlich gefahrlich.«

Danach schwiegen beide wieder eine ganze Weile. Dann fragte David:

»Fahren Sie mit uns?«

Kitty stockte das Herz. »Warum fragen Sie?«

»Es scheint allmahlich so selbstverstandlich, da? Sie bei uns sind. Au?erdem erwahnte Ari irgend etwas davon.«

»Wenn — wenn Ari daran interessiert ist, warum fragt er mich dann nicht?«

David lachte. »Ari bittet nie einen Menschen um irgend etwas.« »David«, sagte Kitty plotzlich, »Sie mussen mir helfen. Ich bin vollig ratlos. Sie scheinen der einzige zu sein, der ein bi?chen Verstandnis dafur hat —.«

»Wenn ich kann, helfe ich Ihnen gern.«

»Ich bin in meinem Leben noch nie unter lauter Juden gewesen. Ihr seid mir fremd, ich finde euch so ratselhaft.«

»Wir Juden erscheinen uns selbst womoglich noch ratselhafter«, sagte David.

»Darf ich ganz offen sein? Ich komme mir so als Au?enseiter vor.« »Das ist vollig normal, Kitty. Geht den meisten Leuten so. Wir sind schon eine sonderbare Gesellschaft.«

»Aber jemand wie dieser Ari ben Kanaan. Was ist das fur ein Mensch? Wie ist er wirklich? Ist er uberhaupt eine reale Person?« »Ari ist durchaus real. Er ist das Produkt einer historischen Fehlentwicklung.«

Sie gingen zum Hotel zuruck, da es Zeit zum Abendessen war.

»Ich wei? nicht recht, wo man eigentlich anfangen soll«, sagte David. »Doch mir scheint, wenn man die Geschichte Ari ben Kanaans richtig erzahlen will, dann mu? man bei Simon Rabinski anfangen, einem russischen Juden, der im Ghetto von Schitomir lebte. Ja, ich glaube, man mu? zuruckgehen bis vor die Jahrhundertwende. Wenn ich mich recht erinnere, ereignete sich die entscheidende Wende im Jahre 1884.«

II.

Simon Rabinski war ein Schuhmacher. Seine Frau hie? Rachel. Sie war ihm ein gutes und treues Weib. Simon

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