Pathologie uber die entfernten Organe zu tarnen. O'Donnell erinnerte sich, wie er zu Pearson gesagt hatte: »Wenn Sie uber Gewebebefunde berichten, wollen wir die Dinge beim rechten Namen und eine gesunde Gebarmutter eine gesunde Gebarmutter nennen.« Pearson hatte gegrinst und im vollen Umfang mitgearbeitet. Die Folge war, da? der gro?te Teil der unnotigen Operationen aufhorte. Die Chirurgen empfanden es peinlich, wenn Organe, die sie aus ihren Patientinnen entfernt hatten, vor ihren Kollegen offiziell als normal und nicht erkrankt beurteilt wurden.

»Horen Sie, Kent.« Pearsons Ton war jetzt entgegenkommend. »In letzter Zeit bin ich besonders mit Arbeit uberhauft. Sie machen sich keine Vorstellung, wieviel wir zu tun haben.«

»Doch, ich wei? es genau, Joe.« Das war die Eroffnung gewesen, auf die O'Donnell gehofft hatte. »Viele von uns meinen, da? es fur Sie zuviel wird. Es ist Ihnen gegenuber nicht fair.« Er war versucht, >...in Ihrem Alter< hinzuzufugen, hielt es aber fur unangebracht. Statt dessen sagte er: »Wie ware es mit einer Hilfe?«

Die Reaktion erfolgte sofort. Pearson schrie fast: »Sie sagen mir, ich brauche Hilfe? Aber Mann Gottes, seit Monaten bettele ich um mehr Laboranten. Wir brauchen mindestens drei. Und wieviel wurden mir zugestanden? Einer! Und Schreibkrafte. Seit Wochen haufen sich bei mir die Berichte, aber wer soll sie denn schreiben?« Ohne auf Antwort zu warten fuhr er ungestum fort: »Ich etwa? Wenn die Verwaltung ihre Phantastereien aufgabe, konnte vielleicht einiges geschehen, einschlie?lich schnellerer Erledigung pathologischer Befunde. Und nun sagen Sie mir, ich sollte Hilfe bekommen. Das hort man gern.«

O'Donnell hatte ruhig zugehort. »Nun«, fragte er, »sind Sie fertig, Joe?«

»Ja.« Pearsons Antwort klang gedampft. Er schien uber seinen Ausbruch fast beschamt.

»Ich dachte nicht an Laboranten oder Schreibkrafte«, erklarte O'Donnell. »Wenn ich Hilfe sage, meine ich einen weiteren Pathologen. Jemand, der Sie bei der Leitung der Abteilung unterstutzen kann. Der vielleicht hier und da etwas modernisiert.«

Bei dem Wort >modernisiert< war Pearson aufgefahren, aber O'Donnell lie? sich nicht unterbrechen. »Immer mit der Ruhe. Ich habe Ihnen zugehort, Joe, jetzt horen Sie auch mich an. Ich dachte an einen vernunftigen jungeren Mann, der Ihnen einen Teil Ihrer Arbeit abnehmen kann.«

»Ich brauche keinen zweiten Pathologen.«

Das war eine eindeutige Antwort, heftig und unnachgiebig.

»Warum, Joe?«

»Weil fur zwei qualifizierte Leute nicht genug Arbeit anfallt. Ich kann mit der ganzen Pathologie allein fertig werden - ohne jede Hilfe. Au?erdem habe ich schon einen Assistenzarzt in meiner Abteilung.«

O'Donnell blieb ruhig, aber hartnackig. »Ein Assistent ist zur Ausbildung bei uns, Joe, und im allgemeinen immer nur fur kurze Zeit. Gewi?, er kann einen Teil der Arbeit ubernehmen, aber Sie konnen ihm keine Verantwortung ubertragen, und Sie konnen ihn nicht an der Leitung beteiligen. Und das ist es, wozu Sie gegenwartig dringend Hilfe brauchen.«

»Uberlassen Sie das nur mir. Geben Sie mir ein paar Tage Zeit, und ich bin mit den pathologischen Befunden auf dem laufenden.«

Es war offensichtlich, da? Joe Pearson nicht beabsichtigte, nachzugeben. O'Donnell hatte mit Widerstand gegen die Anstellung eines neuen Pathologen gerechnet, aber die Scharfe des anderen verwunderte ihn. Lag der Grund seines Widerstandes in der Abneigung, sein personliches Reich zu teilen, oder wollte er nur einfach seine Stellung schutzen? Befurchtete er, ein neuer und jungerer Mann konne sie untergraben? Bisher war O'Donnell noch nicht der Gedanke gekommen, Pearson von seiner Stellung zu entfernen. Auf dem Gebiet der pathologischen Anatomie war seine langjahrige Erfahrung nur schwer zu ersetzen. O'Donnells Absicht war, die Abteilung zu starken und damit das gesamte Krankenhaus. Vielleicht sollte er diesen Punkt eindeutig hervorheben.

»Joe, es steht keine grundlegende Umstellung zur Diskussion. Daran denkt niemand. Sie behalten nach wie vor die Leitung.«

»In diesem Fall lassen Sie mich die Pathologie auf meine Weise leiten.«

O'Donnell fuhlte, wie sich seine Geduld erschopfte. Er entschied, da? er im Augenblick in dieser Sache genug getan hatte. Er wurde ein oder zwei Tage verstreichen lassen und es dann wieder versuchen. Eine endgultige Auseinandersetzung wollte er vermeiden, sofern es moglich war. Ruhig sagte er: »An Ihrer Stelle wurde ich es mir uberlegen.«

»Da gibt es nichts zu uberlegen.« Pearson war an der Tur. Er nickte kurz und ging hinaus.

Das ware es also, dachte O'Donnell. Die Kampfstellungen sind bezogen. Er stand da und uberlegte, welches der nachste Zug sein mu?te.

V

Die Kantine des Three Counties Hospitals war der traditionelle Treffpunkt fur die meisten Arzte und Angestellten des Krankenhauses. Es war auch der Umschlagplatz fur den Krankenhausklatsch, von dem sich die Kanale und Abzweigungen weit in alle Abteilungen und Stationen erstreckten. Wenig ereignete sich in dem Krankenhaus -Beforderungen, Skandale, Entlassungen und Neueinstellungen -, was nicht in der Kantine schon lange bekannt war und diskutiert wurde, ehe es offiziell verkundet wurde.

Die Arzte benutzten die Kantine haufig zu >Stra?enrandkonsultationen< mit Kollegen, die sie au?er bei den Mahlzeiten oder in einer Kaffeepause selten zu sehen bekamen. An den Kantinentischen wurden viele medizinische Probleme ernsthaft diskutiert, und gewichtige Urteile von Spezialisten, die unter anderen Umstanden mit einer erheblichen Rechnung verbunden waren, wurden frei uber den Tisch gegeben. Haufig erfolgten sie zum gro?en Nutzen von Patienten, die, wenn sie sich spater von einem Leiden erholten, das sich zunachst als schwierig zu behandeln anlie?, nie auf die Vermutung kamen, auf welche in gewisser Weise beilaufige Art ihre endgultige Behandlung zustande kam.

Es gab Ausnahmen. Ein paar der Arzte widersetzten sich hin und wieder dieser formlosen Ausnutzung ihrer muhevoll erworbenen Kenntnisse und verwahrten sich gegen die Versuche von Kollegen, sich in die Diskussion bestimmter Falle hineinziehen zu lassen. Bei solchen Gelegenheiten war ihre ubliche Antwort: »Das beste ware, wenn Sie mich in meiner Praxis aufsuchen. Dann lauft auch das Tachometer.«

Gil Bartlett war einer, der diese Versuche mi?billigte, und mitunter zeigte er sich bei der Ablehnung dieser nebenbei erteilten Beratungen sehr unverblumt. Eine Anekdote, die uber seine personliche Abwehrtaktik erzahlt wurde, spielte nicht in der Kantine, sondern bei einer Cocktailparty in einem Privathaus. Seine Gastgeberin, eine gro?e Dame der Burlingtoner Gesellschaft, hatte Bartlett am Knopf festgehalten und ihn mit Fragen uber ihre wirklichen und eingebildeten Leiden uberschuttet. Bartlett hatte eine Weile zugehort und dann mit lauter Stimme, die den uberfullten Salon zum Schweigen brachte, verkundet: »Gnadige Frau, nach dem, was Sie mir sagen, scheinen Sie an Menstruationsbeschwerden zu leiden. Wenn Sie sich bitte freimachen wollen, werde ich Sie gleich untersuchen.«

In den meisten Fallen akzeptierten die Arzte jedoch, sosehr sie sich sonst gegen formlose Konsultationen au?erhalb des Krankenhauses verwahrten, den Meinungsaustausch in der Kantine auf Grund der Tatsache, da? jeder dabei ebensoviel gewann, wie er verlieren konnte. Und manche Arzte des Krankenhauses verwendeten den schon reichlich abgestandenen Scherz: »Ich bin in meiner zweiten Sprechstunde«, wenn sie hinterlie?en, wo sie zu finden waren. Damit war keine weitere Erklarung erforderlich.

Im allgemeinen war die Kantine ein demokratisches Gebiet, wo die Hierarchie des Krankenhauses, wenn auch nicht vergessen, so doch zumindest zeitweise ignoriert wurde. Eine Ausnahme bildete vielleicht die Gepflogenheit, eine Gruppe von Tischen nur den Arzten vorzubehalten. Mrs. Straughan, die Kuchenleiterin, kontrollierte dieses Gebiet regelma?ig, weil sie wu?te, da? selbst geringfugige Versto?e gegen die Sauberkeit oder Mangel in der Bedienung zu scharfen Beschwerden auf der nachsten Sitzung des medizinischen Ausschusses fuhren wurden.

Mit wenigen Ausnahmen benutzten die alteren Arzte die reservierten Tische. Der Hausstab dagegen nahm es weniger genau, und die Assistenzarzte und Praktikanten dokumentierten mitunter ihre Unabhangigkeit, indem sie sich den Schwestern oder anderen Gruppen anschlossen. Es war also nichts Ungewohnliches daran, da? sich Mike Seddons gegenuber von Vivian Loburton niederlie?, die, fruher als ihre Mitlernschwestern von einer Arbeit entlassen, allein vor ihrem Mittagessen sa?.

Seit sie sich vor zehn Tagen im Obduktionsraum begegnet waren, hatte Vivian Mike Seddons verschiedentlich im Krankenhaus gesehen, und bei jeder Gelegenheit hatte er ihr -seine storrische rote Mahne und sein breites Grinsen von Ohr zu Ohr - besser gefallen. Intuitiv hatte sie erwartet, da? er sich ihr bald unmittelbar nahern wurde, und hier war er also.

»Hallo«, sagte Seddons.

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