Arthur Schnitzler

Leutnant Gustl

Wie lang' wird denn das noch dauern? Ich mu? auf die Uhr schauen... schickt sich wahrscheinlich nicht in einem so ernsten Konzert. Aber wer sieht's denn? Wenn's einer sieht, so pa?t er gerade so wenig auf, wie ich, und vor dem brauch' ich mich nicht zu genieren... Erst viertel auf zehn?... Mir kommt vor, ich sitz' schon drei Stunden in dem Konzert. Ich bin's halt nicht gewohnt... Was ist es denn eigentlich? Ich mu? das Programm anschauen... Ja, richtig: Oratorium! Ich hab' gemeint: Messe. Solche Sachen gehoren doch nur in die Kirche! Die Kirche hat auch das Gute, da? man jeden Augenblick fortgehen kann. – Wenn ich wenigstens einen Ecksitz hatt'! – Also Geduld, Geduld! Auch Oratorien nehmen ein End'! Vielleicht ist es sehr schon, und ich bin nur nicht in der Laune. Woher sollt' mir auch die Laune kommen? Wenn ich denke, da? ich hergekommen bin, um mich zu zerstreuen... Hatt' ich die Karte lieber dem Benedek geschenkt, dem machen solche Sachen Spa?; er spielt ja selber Violine. Aber da war' der Kopetzky beleidigt gewesen. Es war ja sehr lieb von ihm, wenigstens gut gemeint. Ein braver Kerl, der Kopetzky! Der einzige, auf den man sich verlassen kann... Seine Schwester singt ja mit unter denen da oben. Mindestens hundert Jungfrauen, alle schwarz gekleidet; wie soll ich sie da herausfinden? Weil sie mitsingt, hat er auch das Billett gehabt, der Kopetzky... Warum ist er denn nicht selber gegangen? – Sie singen ubrigens sehr schon. Es ist sehr erhebend – sicher! Bravo! Bravo!... Ja, applaudieren wir mit. Der neben mir klatscht wie verruckt. Ob's ihm wirklich so gut gefallt? – Das Madel druben in der Loge ist sehr hubsch. Sieht sie mich an oder den Herrn dort mit dem blonden Vollbart?... Ah, ein Solo! Wer ist das? Alt: Fraulein Walker, Sopran: Fraulein Michalek... das ist wahrscheinlich Sopran... Lang' war ich schon nicht in der Oper. In der Oper unterhalt' ich mich immer, auch wenn's langweilig ist. Ubermorgen konnt' ich eigentlich wieder hineingeh'n, zur ›Traviata‹. Ja, ubermorgen bin ich vielleicht schon eine tote Leiche! Ah, Unsinn, das glaub' ich selber nicht! Warten S' nur, Herr Doktor, Ihnen wird's vergeh'n, solche Bemerkungen zu machen! Das Nasenspitzel hau' ich Ihnen herunter...

Wenn ich die in der Loge nur genau sehen konnt'! Ich mocht' mir den Operngucker von dem Herrn neben mir ausleih'n, aber der fri?t mich ja auf, wenig ich ihn in seiner Andacht stor'... In welcher Gegend die Schwester vom Kopetzky steht? Ob ich sie erkennen mocht'? Ich hab' sie ja nur zwei- oder dreimal gesehen, das letztemal im Offizierskasino... Ob das lauter anstandige Madeln sind, alle hundert? O jeh!... »Unter Mitwirkung des Singvereins«! – Singverein... komisch! Ich hab' mir darunter eigentlich immer so was Ahnliches vorgestellt, wie die Wiener Tanzsangerinnen, das hei?t, ich hab' schon gewu?t, da? es was anderes ist!.. Schone Erinnerungen! Damals beim ›Grunen Tor‹... Wie hat sie nur gehei?en? Und dann hat sie mir einmal eine Ansichtskarte aus Belgrad geschickt... Auch eine schone Gegend! – Der Kopetzky hat's gut, der sitzt jetzt langst im Wirtshaus und raucht seine Virginia!...

Was guckt mich denn der Kerl dort immer an? Mir scheint, der merkt, da? ich mich langweil' und nicht herg'hor'... Ich mocht' Ihnen raten, ein etwas weniger freches Gesicht zu machen, sonst stell' ich Sie mir nachher im Foyer! – Schaut schon weg!... Da? sie alle vor meinem Blick so eine Angst hab'n... »Du hast die schonsten Augen, die mir je vorgekommen sind!« hat neulich die Steffi gesagt... O Steffi, Steffi, Steffi! – Die Steffi ist eigentlich schuld, da? ich dasitz' und mir stundenlang vorlamentieren lassen mu?. – Ah, diese ewige Abschreiberei von der Steffi geht mir wirklich schon auf die Nerven! Wie schon hatt' der heutige Abend sein konnen. Ich hatt' gro?e Lust, das Brieferl von der Steffi zu lesen. Da hab' ich's ja. Aber wenn ich die Brieftasche herausnehm', fri?t mich der Kerl daneben auf! – Ich wei? ja, was drinsteht... sie kann nicht kommen, weil sie mit »ihm« nachtmahlen gehen mu?... Ah, das war komisch vor acht Tagen, wie sie mit ihm in der Gartenbaugesellschaft gewesen ist, und ich vis-a-vis mit'm Kopetzky; und sie hat mir immer die Zeichen gemacht mit den Augerln, die verabredeten. Er hat nichts gemerkt – unglaublich! Mu? ubrigens ein Jud' sein! Freilich, in einer Bank ist er, und der schwarze Schnurrbart... Reserveleutnant soll er auch sein! Na, in mein Regiment sollt' er nicht zur Waffenubung kommen! Uberhaupt, da? sie noch immer so viel Juden zu Offizieren machen – da pfeif ich auf'n ganzen Antisemitismus! Neulich in der Gesellschaft, wo die G'schicht' mit dem Doktor passiert ist bei den Mannheimers... die Mannheimer selber sollen ja auch Juden sein, getauft naturlich... denen merkt man's aber gar nicht an – besonders die Frau so blond, bildhubsch die Figur... War sehr amusant im ganzen. Famoses Essen, gro?artige Zigarren... Naja, wer hat's Geld?...

Bravo, bravo! Jetzt wird's doch bald aus sein? – Ja, jetzt steht die ganze G'sellschaft da droben auf... sieht sehr gut aus – imposant! – Orgel auch?... Orgel hab' ich sehr gern... So, das la?' ich mir g'fall'n – sehr schon! Es ist wirklich wahr, man sollt' ofter in Konzerte gehen... Wunderschon ist's g'wesen, werd' ich dem Kopetzky sagen... Werd' ich ihn heut' im Kaffeehaus treffen? – Ah, ich hab' gar keine Lust, ins Kaffeehaus zu geh'n; hab' mich gestern so gegiftet! Hundertsechzig Gulden auf einem Sitz verspielt – zu dumm! Und wer hat alles gewonnen? Der Ballert, grad' der, der's nicht notwendig hat... Der Ballert ist eigentlich schuld, da? ich in das blode Konzert hab' geh'n mussen... Na ja, sonst hatt' ich heut' wieder spielen konnen, vielleicht doch was zuruckgewonnen. Aber es ist ganz gut, da? ich mir selber das Ehrenwort gegeben hab', einen Monat lang keine Karte anzuruhren... Die Mama wird wieder ein G'sicht machen, wenn sie meinen Brief bekommt! –

Ah, sie soll zum Onkel geh'n, der hat Geld wie Mist; auf die paar hundert Gulden kommt's ihm nicht an. Wenn ich's nur durchsetzen konnt', da? er mir eine regelma?ige Sustentation gibt... aber nein, um jeden Kreuzer mu? man extra betteln. Dann hei?t's wieder: Im vorigen Jahr war die Ernte schlecht!... Ob ich heuer im Sommer wieder zum Onkel fahren soll auf vierzehn Tag'? Eigentlich langweilt man sich dort zum Sterben... Wenn ich die... wie hat sie nur gehei?en?... Es ist merkwurdig, ich kann mir keinen Namen merken!... Ah, ja: Etelka!... Kein Wort deutsch hat sie verstanden, aber das war auch nicht notwendig... hab' gar nichts zu reden brauchen!... Ja, es wird ganz gut sein, vierzehn Tage Landluft und vierzehn Nacht' Etelka oder sonstwer... Aber acht Tag' sollt' ich doch auch wieder beim Papa und bei der Mama sein... Schlecht hat sie ausg'seh'n heuer zu Weihnachten... Na, jetzt wird die Krankung schon uberwunden sein. Ich an ihrer Stelle war' froh, da? der Papa in Pension gegangen ist. – Und die Klara wird schon noch einen Mann kriegen... Der Onkel kann schon was hergeben... Achtundzwanzig Jahr', das ist doch nicht so alt... Die Steffi ist sicher nicht junger... Aber es ist merkwurdig: die Frauenzimmer erhalten sich langer jung. Wenn man so bedenkt: die Maretti neulich in der ›Madame Sans-Gene‹ – siebenunddrei?ig Jahr' ist sie sicher, und sieht aus... Na, ich hatt' nicht Nein g'sagt! – Schad', da? sie mich nicht g'fragt hat...

Hei? wird's! Noch immer nicht aus? Ah, ich freu' mich so auf die frische Luft! Werd' ein bi?l spazieren geh'n, ubern Ring... Heut' hei?t's: fruh ins Bett, morgen nachmittag frisch sein! Komisch, wie wenig ich daran denk', so egal ist mir das! Das erstemal hat's mich doch ein bi?l aufgeregt. Nicht, da? ich Angst g'habt hatt'; aber nervos bin ich gewesen in der Nacht vorher... Freilich, der Oberleutnant Bisanz war ein ernster Gegner. – Und doch, nichts ist mir g'scheh'n!... Auch schon anderthalb Jahr' her. Wie die Zeit vergeht! Und wenn mir der Bisanz nichts getan hat, der Doktor wird mir schon gewi? nichts tun! Obzwar, gerade diese umgeschulten Fechter sind manchmal die gefahrlichsten. Der Doschintzky hat mir erzahlt, da? ihn ein Kerl, der das erstemal einen Sabel in der Hand gehabt hat, auf ein Haar abgestochen hatt'; und der Doschintzky ist heut' Fechtlehrer bei der Landwehr. Freilich – ob er damals schon so viel konnen hat... Das Wichtigste ist: kaltes Blut. Nicht einmal einen rechten Zorn hab' ich mehr in mir, und es war doch eine Frechheit – unglaublich! Sicher hatt' er sich's nicht getraut, wenn er nicht Champagner getrunken hatt' vorher... So eine Frechheit! Gewi? ein Sozialist! Die Rechtsverdreher sind doch heutzutag' alle Sozialisten! Eine Bande... am liebsten mochten sie gleich 's ganze Militar abschaffen; aber wer ihnen dann Helfen mocht', wenn die Chinesen uber sie kommen, daran denken sie nicht. Blodisten! – Man mu? gelegentlich ein Exempel statuieren. Ganz recht hab' ich g'habt. Ich bin froh, da? ich ihn nimmer auslassen hab' nach der Bemerkung. Wenn ich dran denk', werd' ich ganz wild! Aber ich hab' mich famos benommen; der Oberst sagt auch, es war absolut korrekt. Wird mir uberhaupt nutzen, die Sache. Ich kenn' manche, die den Burschen hatten durchschlupfen lassen. Der Muller sicher, der war' wieder objektiv gewesen oder so was. Mit dem Objektivsein hat sich noch jeder blamiert... »Herr Leutnant!«... schon die Art, wie er »Herr Leutnant« gesagt hat, war unverschamt!... »Sie werden mir doch zugeben mussen«... – Wie sind wir denn nur d'rauf gekommen? Wieso hab' ich mich mit dem Sozialisten in ein Gesprach eingelassen? Wie hat's denn nur angefangen?... Mir scheint, die schwarze Frau, die ich zum Bufett gefuhrt hab', ist auch dabei gewesen... und dann dieser junge Mensch, der die Jagdbilder malt – wie hei?t er denn nur?... Meiner Seel', der ist an der ganzen Geschichte schuld gewesen! Der hat von den Manovern geredet; und dann erst ist dieser Doktor dazugekommen und hat irgendwas g'sagt, was mir nicht gepa?t hat, von Kriegsspielerei oder so was – aber wo ich noch nichts hab' reden konnen... Ja, und dann ist von den Kadettenschulen gesprochen worden... Ja, so war's... und ich hab' von einem patriotischen Fest erzahlt... und dann hat der Doktor gesagt – nicht gleich, aber aus dem Fest hat es sich entwickelt – »Herr Leutnant, Sie

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