gelassen – wie die Gotter. Mogen sie getrost fortfahren mit ihrer Schlachterei und alles Wertvolle besudeln, wir werden ruhig Blut bewahren – wie die Gotter. Die Gotter haben es nicht eilig … Die haben die Ewigkeit vor sich … Er ritt dicht an sie heran. Ihrer selbst nicht mehr sicher, ergriffen die Grauen ihre Axte, wichen aber zuruck. »Nu-u-un?« fragte Rumata gedehnt.

»Also wie … Was ist mir denn?« sagte der Mutigere der beiden verdutzt. »Das hei?t also, der edle Don Rumata?« Der zweite Sturmowik hatte schon sein Pferd gewendet und machte sich im Galopp davon. Der andere wich immer weiter zuruck und lie? seine erhobene Axt wieder sinken.

»Eure gnadige Vergebung, edler Don«, sprudelte er hervor. »Wir haben Euch nicht gleich erkannt … es war unser Fehler. Eine staatliche Sache … Da kommt schon so hie und da ein Fehler vor. Die Burschen haben eine Kleinigkeit getrunken, und sie brennen vor Eifer …« Er schickte sich an, sich seitlich mit seinem Pferd zu verdrucken. »Ihr werdet doch einsehen, ernste Zeiten … Wir fangen die fluchtigen Bucherwurmer. Ihr werdet Euch doch hoffentlich nicht uber uns beschweren, edler Don …«

Rumata kehrte ihm den Rucken. »Eine gute Reise dem edlen Don!« schrie ihm der Sturmowik erleichtert nach.

Als er verschwunden war, rief Rumata mit gedampfter Stimme: »Kiun!«

Niemand antwortete. »He, Kiun!«

Und wieder antwortete niemand. Als er genauer hinhorte, konnte Rumata ein fernes Rascheln im Gebusch vernehmen, das sich von dem standigen Singen der Mucken abhob. Quer durchs Gelande marschierte Kiun hastig nach Westen, in Richtung der irukanischen Grenze. Das war’s also, dachte Rumata. Und wozu nun das ganze Gesprach. Es ist doch immer dasselbe. Abtasten, vorsichtiger Austausch von irgendwelchen Doppeldeutigkeiten … Ganze Wochen verschwendest du deine Energie auf dummes Gequatsche mit jedem Dreckskerl, triffst du aber mal einen wirklichen Menschen, so bleibt zum Sprechen keine Zeit. Man mochte ihm Deckung geben, ihn beschutzen, ihm an einen gefahrlosen Ort verhelfen, und er geht fort, ohne zu wissen, ob er es mit einem Freund oder einem eitlen Gecken zu tun gehabt hat. Und du selber erfahrst auch nichts von diesem Menschen. Seine Wunsche, seine Fahigkeiten, wofur er lebt … Er dachte an das abendliche Arkanar. Solide Hauser aus Stein an den Hauptstra?en, freundliche Laternen uber den Tavernentoren, gutmutige, satte Kramer trinken ihr Bier an sauberen Tischen und unterhalten sich daruber, da? die Welt gar nicht so schlecht sei; die Brotpreise fallen, die Harnische aber werden teurer, hie und da wird eine Verschworung aufgedeckt, Hexenmeister und verdachtige Bucherwurmer setzt man hinter Schlo? und Riegel, der Konig ist nach alter Gewohnheit prachtig und gro?, Don Reba aber ist unendlich klug und immer auf der Hut. »Was ihr nicht sagt?« – »Das gehort sich einfach so!« – »Die Welt ist rund!« – »Meinetwegen soll sie auch quadratisch sein, nur ruhrt mir die Gelehrten nicht an!« – »Von den Neunmalgescheiten kommt alles Ungluck, Bruder! Nicht am Geld, sagt man, hangt das Gluck, der Bauer, sagt man, ist auch ein Mensch, schon, aber weiter – und immer mehr und mehr von dieser aufreizenden Dichterei: Und schon gibt es Krawall, Tumult und Meuterei …« – »Ins Loch mit ihnen, sperrt sie alle ein, Bruder! Ich zum Beispiel, was wurde ich tun? Ich wurde geradeheraus fragen: Kannst du lesen und schreiben? Ins Loch mit dir! Gedichte schreibst du? Ins Loch! Auf Tabellen verstehst du dich? Ins Loch, du wei?t viel zuviel.« – »Bina, mein Blasengel, noch drei Humpen Bier und einen gekochten Hasen!« Und unterm Fenster – grrrumm, grrrumm, grrrumm – stampfen auf dem Katzenkopfpflaster die Nagelstiefel der stammigen, rot-schnauzigen Burschen in grauen Hemden. Und auf der rechten Schulter schwere Beile. »Bruder! Das sind sie, unsere Beschutzer! Die halten uns das gelehrte Pack vom Leib, jawohl!… Und da, der ist meiner, mein Sohn … An der rechten Flanke! Gestern noch habe ich ihm Prugel verpa?t! Ja, Bruder, das ist keine herrenlose Zeit! Festigkeit des Throns, Wohlstand, unerschutterliche Ruhe und Gerechtigkeit. Hurra, die Grauen Rotten! Hurra, Don Reba! Ein Vivat unserem Konig! Ach, Bruder, ist das ein Leben!« Uber die dunklen Ebenen des Konigreichs von Arkanar aber, beleuchtet von wutenden Branden und glosendem Holz, fluchten Hunderte unglucklicher Menschen, umgehen die Wachen, laufen, stolpern und laufen weiter. Zerstochen von Mucken, mit blutiggeschundenen Fu?en, bedeckt mit Staub und Schwei?, gequalt, verangstigt und von Verzweiflung gepeinigt, aber hart wie Stahl in ihrer eigenen Uberzeugung. – Ungesetzlich klagt man sie an, dafur, da? sie ihr von Seuchen verzehrtes und in Dummheit versumpftes Volk heilen und lehren; dafur, da? sie, den Gottern ahnlich, aus Ton und Stein eine zweite Natur schaffen zur Verschonerung des Lebens, fur ein Volk, das die Schonheit nicht kennt; dafur, da? sie in die Geheimnisse der Natur eindringen und dabei hoffen, da? sie diese Geheimnisse dem stumpfen, durch alte Teufelskunste verangstigten Volk dienstbar machen konnen … Schutzlos sind sie, gut und unbeholfen, ihrer Zeit weit voraus …

Rumata zog einen Handschuh aus und versetzte damit seinem Hengst einen kraftigen Schlag zwischen die Ohren. »Na, du lahme Mahre!« sagte er auf russisch. Es war bereits Mitternacht, als er in den Wald ritt.

Heute kann niemand mehr genau sagen, woher dieser seltsame Name kommt – »Schluckaufwald«. Es war aber ein von offizieller Seite ausgegebenes Gerucht im Umlauf, wonach vor ungefahr dreihundert Jahren die Eisernen Rotten des kaiserlichen Marschalls Totz, des spateren ersten Konigs von Arkanar, in das Dickicht des bewu?ten Waldes eingedrungen waren, als sie die zuruckweichenden Horden der kupferhautigen Barbaren verfolgten. Aus der Rinde der Wei?en Baume brauten die Krieger dort eine Art Hausbier, das aber so miserabel war, da? sein Genu? ein stundenlanges Rulpsen zur Folge hatte. Als der besagte Marschall Totz, so die Uberlieferung, eines Morgens das Lager inspizierte, rumpfte er seine adlige Nase und sprach die folgenden Worte: »Wahrlich, das ist unertraglich! Der ganze Wald hat Schluckauf und stinkt nach schlechtem Bier!« Daher, so hei?t es, der merkwurdige Name. Uber den Wahrheitsgehalt dieser Legende la?t sich streiten, jedenfalls aber war es kein gewohnlicher Wald.

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