unterhalten muss, ohne die Lippen zu bewegen.»

«Das kannst du aber gro?artig», sagte ich.

«Ich hab die Hexen gezahlt», sagte sie. «Es sind gar nicht so viele, wie du gedacht hast. Als du gesagt hast zweihundert, da hast du wahrscheinlich nur geschatzt, oder?»

«Sie sind mir wie zweihundert vorgekommen», antwortete ich.

«Ich hab mich auch geirrt», fuhr meine Gro?mutter fort. «Ich dachte, es gabe sehr viel mehr Hexen in England.»

«Wie viele sind es denn?», fragte ich.

«Vierundachtzig», erwiderte sie.

«Dann sind es funfundachtzig gewesen», sagte ich. «Denn eine ist verschmurgelt worden.»

In diesem Moment erblickte ich Mister Jenkins, Brunos Vater, der direkt auf unseren Tisch zusteuerte. «Pass auf, Gro?mama!», flusterte ich. «Da kommt Brunos Vater!»

Mister Jenkins und sein Sohn

Mister Jenkins kam mit einem unheilschwangeren Gesicht auf unseren Tisch zu. «Wo steckt dieser Enkelsohn von Ihnen?», fuhr er meine Gro?mutter an. Er benahm sich unhoflich, und er sah sehr wutend aus.

Meine Gro?mutter musterte ihn mit einem eisigen Blick, gonnte ihm jedoch keine Antwort.

«Ich vermute namlich stark, dass er und mein Sohn Bruno irgendeine Teufelei ausgeheckt haben», fuhr Mister Jenkins fort. «Bruno ist namlich nicht zum Abendessen aufgetaucht, und es gehort schon was dazu, dass dieser Junge sein Essen versaumt!»

«Ich muss zugeben, dass er einen gesunden Appetit hat», bemerkte meine Gro?mutter.

«Ich habe das Gefuhl, dass Sie mit ihm unter einer Decke stecken», fuhr Mister Jenkins fort. «Ich habe keine Ahnung, wer Sie zum Teufel sind, und es ist mir auch egal, aber Sie haben mir und meiner Frau heute Nachmittag einen gemeinen Streich gespielt. Sie haben eine dreckige kleine Maus auf den Tisch gesetzt. Das lasst mich vermuten, dass Sie alle drei etwas ausgebrutet haben. Also, wenn Sie wissen, wo sich Bruno versteckt, so rucken Sie gefalligst sofort damit heraus!»

«Ich habe Ihnen keinen Streich gespielt», erwiderte meine Gro?mutter. «Diese Maus, die ich Ihnen geben wollte, war Ihr eigener kleiner Sohn Bruno. Ich habe mich Ihnen gegenuber nur freundlich erwiesen. Ich habe versucht, das Kind in den Scho? der Familie zuruckzufuhren. Sie haben sich geweigert, ihn anzunehmen.»

«Was zum Geier wollen Sie damit sagen, meine Gnadigste?», rief Mister Jenkins. «Mein Sohn ist keine Maus!» Sein schwarzer Schnurrbart zappelte beim Sprechen wie verruckt auf und ab. «Und jetzt raus damit, Sie Weibsperson! Wo steckt er? Antworten Sie gefalligst!»

Die Familie an unserem Nachbartisch hatte aufgehort zu essen. Alle starrten Mister Jenkins an.

Meine Gro?mutter sa? friedlich da und paffte genusslich an ihrer schwarzen Zigarre. «Ich kann Ihre Aufregung gut verstehen, Mister Jenkins», sagte sie. «Jeder andere englische Vater wurde genauso aus der Haut fahren wie Sie. Aber druben in Norwegen, woher ich stamme, sind wir an solche Ereignisse gewohnt. Wir haben gelernt, sie als einen Teil des Alltagslebens zu akzeptieren.»

«Sie mussen verruckt sein, Weib!», schrie Mister Jenkins. «Wo ist Bruno? Wenn Sie mir das nicht auf der Stelle sagen, rufe ich die Polizei!»

«Bruno ist eine Maus», antwortete meine Gro?mutter unerschutterlich ruhig.

«Er ist todsicher keine Maus!», rief Mister Jenkins.

«O doch, ich bin eine!», sagte Bruno und schob seinen Kopf aus der Handtasche.

Mister Jenkins sprang fast einen Meter hoch in die Luft.

«Hallo, Vati», sagte Bruno. Auf seinem Gesicht lag eine Art von mausischem Lacheln.

Mister Jenkins' Unterkiefer klappte so weit auf, dass man die Goldfullungen in seinen Backenzahnen erkennen konnte.

«Mach dir keine Sorge, Vati», fuhr Bruno fort. «So schlimm ist das gar nicht. Hauptsache, die Katze erwischt mich nicht.»

«B-b-bruno!», stammelte Mister Jenkins.

«Und nie mehr Schule!», fuhr Bruno fort und grinste jetzt ein breites und damliches Mausegrinsen. «Nie mehr Hausaufgaben! Ich werde in den Kuchenschrank ziehen und von Rosinen und Honig leben.»

«A-a-aber B-b-bruno», stammelte Mister Jenkins wieder. «Wiwiwie ist das nur passiert?» Aus dem armen Mann war die ganze Luft heraus.

«Hexen», erklarte meine Gro?mutter. «Die Hexen haben das gemacht.»

«Ich kann doch nicht eine Maus als Sohn haben!», schrie Mister Jenkins.

«Aber jetzt haben Sie eine», entgegnete meine Gro?mutter. «Seien Sie lieb zu ihm, Mister Jenkins.»

«Missis Jenkins wird wahnsinnig werden!», jammerte Mister Jenkins. «So was kann sie nicht ertragen!»

«Sie braucht sich nur an ihn zu gewohnen», erwiderte meine Gro?mutter. «Hoffentlich haben Sie keine Katze zu Hause.»

«Aber doch! Aber naturlich!», rief Mister Jenkins. «Meine Frau liebt Topsy uber alles in der Welt.»

«Dann werden Sie sich eben von Topsy trennen mussen», stellte meine Gro?mutter fest. «Ihr Sohn ist wichtiger als eine Katze.»

«Das will ich wohl meinen!», rief Bruno im Inneren des Lederbeutels. «Sag Mami, dass sie Topsy weggeben muss. Eher komm ich nicht nach Hause!»

Unterdessen beobachtete der halbe Speisesaal unsere kleine Gruppe. Messer und Gabeln und Loffel waren langst beiseite gelegt, und uberall wurden die Halse gereckt und die Kopfe gedreht, um Mister Jenkins anzustarren, wie er so dastand und stotterte und fluchte. Sie konnten weder Bruno noch mich sehen, und deshalb zerbrachen sie sich vergeblich die Kopfe, um was der ganze Wirbel ging.

«Ach ubrigens», sagte meine Gro?mutter. «Mochten Sie gerne wissen, wer ihm das angetan hat?» Auf ihrem Gesicht lag ein kleines boshaftes Lacheln, und ich merkte, dass sie auf dem besten Wege war, Mister Jenkins Schwierigkeiten zu bereiten.

«Wer?», rief er. «Wer war das?»

«Diese Dame dort druben», erwiderte meine Gro?mutter. «Die zierliche in dem schwarzen Kleid am Kopf der langen Tafel.»

«Sie gehort zum kgvk!», rief Mister Jenkins. «Sie ist die Vorsitzende!»

«Nein, das ist sie nicht», berichtigte meine Gro?mutter. «Sie ist die Hoch- und Gro?meister-Hexe des gesamten Erdkreises.»

«Sie behaupten also, sie hatte das getan? Dieses mickrige kleine Weib da druben?», rief Mister Jenkins und zeigte mit seinem langen Zeigefinger auf sie. «Bei Gott, der werd ich meine Anwalte auf den Hals hetzen. Die muss mir das bezahlen, und wenn sie Pleite geht!»

«Ich wurde nichts ubersturzen», riet ihm meine Gro?mutter. «Diese Dame besitzt Zauberkrafte. Sie konnte den Entschluss fassen, Sie in etwas noch Lacherlicheres als eine Maus zu verhexen. Vielleicht in eine Kakerlake.»

«Mich in eine Kakerlake verwandeln?», rief Mister Jenkins und warf sich in die Brust. «Das wollen wir doch mal sehen!»

Er drehte sich um und begann, quer durch den Speisesaal auf den Tisch der Hoch- und Gro?meister-Hexe zuzumarschieren. Meine Gro?mutter und ich beobachteten ihn. Bruno war auf unseren Tisch gehupft und beobachtete seinen Vater auch. Fast jeder im Speisesaal verfolgte jetzt das, was Mister Jenkins tat. Ich blieb, wo ich war, und spahte aus der Handtasche meiner Gro?mutter heraus. Ich dachte, es konnte gescheiter sein, in Deckung zu bleiben.

Der Triumph

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