«Braun», entgegnete meine Gro?mutter. «Die gro?ten Eier, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Ihre Mutter hat daraus Omelettes gebacken. Kostlich, ganz kostlich sind die gewesen.»

Ich blickte zu meiner Gro?mutter empor, die wie irgendeine uralte Konigin in ihrem Sessel thronte. Ihre Augen waren so grau wie der Nebel, und sie schienen etwas zu sehen, das meilenweit entfernt war.

In diesem Augenblick war ihre Zigarre das einzig Wirkliche an ihr, und der Rauch, der von ihr aufstieg, wogte in blauen Wolken um ihr Haupt.

«Aber das kleine Madchen, das ein Huhn wurde, ist doch nicht verschwunden, oder?», fragte ich.

«Nein, Birgit nicht. Sie hat noch viele Jahre gelebt und ihre braunen Eier gelegt.»

«Du hast aber doch gesagt, sie seien alle verschwunden.»

«Ich habe mich geirrt», entgegnete meine Gro?mutter. «Ich fange an, alt zu werden. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern.»

«Und was ist mit dem vierten Kind geschehen?», fragte ich.

«Das vierte war ein Junge, der Harald hie?», sagte meine Gro?mutter. «Eines Morgens wurde ihm die Haut am ganzen Leibe graulich gelb. Dann wurde sie hart und rissig, wie die Schale einer Walnuss. Bis zum Abend war der ganze Junge zu Stein geworden.»

«Stein?», fragte ich. «Meinst du wirklich Stein?»

«Granit», antwortete sie. «Wenn du willst, gehen wir zusammen hin, damit du ihn dir anschauen kannst. Sie heben ihn in seinem Haus immer noch auf. Er steht in der Halle, wie ein richtiges kleines steinernes Denkmal. Die meisten Besucher benutzen ihn als Schirmstander.»

Obgleich ich noch sehr jung war, nahm ich meiner Gro?mutter nicht alles ab. Sie sprach jedoch mit einer solchen Uberzeugung, mit einem so tiefen Ernst, und es zuckte auch nicht das leiseste Lacheln um ihre Augen oder ihre Mundwinkel, dass ich allmahlich unsicher wurde.

«Erzahl weiter, Gro?mama», bat ich. «Du hast mir gesagt, insgesamt waren es funf gewesen. Was ist mit dem letzten passiert?»

«Willst du mal an meiner Zigarre ziehen?», fragte sie.

«Ich bin erst sieben.»

«Es ist mir egal, wie alt du bist», antwortete sie. «Wenn du Zigarren rauchst, kriegst du niemals eine Erkaltung.»

«Was war mit Nummer funf, Gro?mama?»

«Nummer funf», murmelte sie und kaute am Mundstuck ihrer Zigarre herum, als ob es der kostlichste Spargel ware, «das war ein recht interessanter Fall. Ein neunjahriger Junge namens Leif verbrachte die Sommerferien mit seiner Familie an einem Fjord, und eines Tages veranstaltete diese ganze Familie auf einer dieser kleinen Inseln ein Picknick, und sie schwammen um die Felsen herum. Der kleine Leif sprang ins Wasser und tauchte, und sein Vater, der ihn dabei beobachtet hatte, stellte fest, dass er au?ergewohnlich lange unter Wasser blieb. Als er endlich wieder herauskam, war er kein Leif mehr.»

«Was war er denn?»

«Er war ein Tummler.»

«Das ist nicht wahr! Das stimmt doch nicht!»

«Er war ein anmutiger junger Tummler», fuhr sie fort, «und so freundlich, wie man sich das nur vorstellen kann.»

«Gro?mama!», sagte ich.

«Ja, mein Schatzelchen?»

«Ist er wahr und wahrhaftig ein Delphin geworden?»

«Voll und ganz», erwiderte sie. «Ich kannte seine Mutter recht gut. Sie hat mir das alles erzahlt. Sie hat erzahlt, dass Leif der Tummler den ganzen Nachmittag bei ihnen geblieben ist und seinen Geschwistern gestattet hat, auf seinem Rucken zu reiten. Sie haben sich herrlich amusiert. Dann hat er ihnen mit seiner Flosse zugewinkt und ist fortgeschwommen. Danach haben sie ihn nie wieder gesehen.»

«Aber Gro?mama», sagte ich, «woher haben sie denn gewusst, dass der Tummler auch wirklich Leif gewesen ist?»

«Er hat sich mit ihnen unterhalten», berichtete meine Gro?mutter. «Wahrend er sie auf sich hat reiten lassen, hat er die ganze Zeit mit ihnen gescherzt und gelacht.»

«Aber hat das nicht einen furchterlichen Wirbel gegeben, damals, als das passiert ist?», fragte ich.

«Eigentlich nicht», antwortete meine Gro?mutter. «Du musst doch wissen, dass wir hier in Norwegen mehr oder weniger an solche Sachen gewohnt sind. Wir haben hier uberall Hexen. Wahrscheinlich wohnt auch jetzt eine in unserer eigenen Stra?e. Nun wird es aber Zeit, dass du ins Bett gehst.»

«Heute Nacht kann doch keine Hexe durch mein Fenster kommen, oder?», fragte ich, und meine Stimme wackelte ein bisschen.

«Nein», sagte meine Gro?mutter. «So etwas Dummes wurde keine Hexe tun, an der Regenrinne raufklettern und bei anderen Leuten einbrechen. In deinem Bett bist du sicher wie in Abrahams Scho?. Nun komm, ich stopf dir die Decke schon fest.»

Wie man eine Hexe erkennt

 Nachdem mich meine Gro?mutter am folgenden Abend gebadet hatte, nahm sie mich wieder mit ins Wohnzimmer und erzahlte mir die nachste Geschichte.

«Heute Abend», begann die alte Frau, «will ich dir erklaren, woran man eine Hexe erkennt.»

«Kann man sich immer darauf verlassen?», fragte ich.

«Nein», entgegnete sie, «das kannst du nicht. Und das ist das Problem. Aber du kannst ziemlich genau raten lernen.»

Die Zigarrenasche bestaubte ihr den ganzen Scho?, und ich hoffte nur, sie wurde nicht in Flammen aufgehen, ehe sie mir genau erklart hatte, woran man eine Hexe erkennt.

«Zuerst einmal», begann sie, «hat eine echte Hexe Handschuhe an, wenn du sie zum ersten Mal siehst.»

«Aber sicher nicht immer», wandte ich ein. «Wie ist das im Sommer, wenn es hei? ist?»

«Selbst im Sommer», antwortete meine Gro?mutter. «Sie muss. Willst du auch wissen, weshalb?»

«Weshalb denn?», fragte ich.

«Weil sie keine Fingernagel hat. Statt der Fingernagel wachsen ihr namlich dunne krumme Krallen, wie bei einer Katze, und sie tragt immer Handschuhe, um diese Krallen zu verstecken. Aber du wei?t ja, es gibt massenhaft ehrliche und anstandige Frauen, die auch Handschuhe tragen. Deshalb hilft dir das nicht viel weiter.»

«Mami hat auch immer Handschuhe angehabt», sagte ich.

«Aber nicht im Hause», sagte meine Gro?mutter. «Hexen haben die Handschuhe auch im Hause an. Sie ziehen sie nur aus, wenn sie ins Bett gehen.»

«Woher wei?t du das alles, Gro?mama?» «Unterbrich mich nicht», antwortete sie. «Schreib's dir lieber hinter die Ohren. Das zweite Zeichen, das du nicht vergessen darfst, ist: Eine echte hexe ist immer kahl.» ««Kahl?», fragte ich.

«Kahl wie ein gekochtes Ei», entgegnete meine Gro?mutter. Ich erschrak. Ein kahle Frau, das ist irgendwie unanstandig. «Warum sind sie denn kahl?»

«Das musst du mich nicht fragen», versetzte sie darauf. «Aber glauben kannst du's mir. Auf dem Kopf einer Hexe wachst kein einziges Haar.»

«Wie grasslich!»

«Widerwartig», bestatigte meine Gro?mutter.

«Wenn sie kahl ist, dann kann man sie doch leicht erkennen», sagte ich.

«Uberhaupt nicht», erwiderte meine Gro?mutter, «eine echte hexe tragt immer eine Perucke, um ihre Glatze

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