Beatrice Lippincott schilderte das Eintreffen des Fremden im »Hirschen«. Er habe sich als Enoch Arden aus Kapstadt eingetragen.
»Handigte der Gast Ihnen seine Lebensmittelkarte aus?«
»Nein.«
»Fragten Sie ihn danach?«
»Nicht gleich. Ich wusste ja nicht, wie lange er zu bleiben beabsichtigte.«
»Aber spater fragten Sie ihn danach?«
»Ja. Er kam am Freitag an, und am Sonnabend sagte ich ihm, falls er langer als funf Tage bliebe, musste ich ihn um seine Lebensmittelkarte bitten.«
»Und was antwortete er darauf?«
»Er sagte, er wurde sie mir geben.«
»Aber er gab sie Ihnen nicht?«
»Nein. Er wurde sie heraussuchen und mir geben, sagte er.«
»Haben Sie am Sonnabend Abend eine Unterhaltung zwischen dem Fremden und einer anderen Person mit angehort?«
Mit wortreichen Erklarungen der absoluten Notwendigkeit, zu der bewussten Zeit in Zimmer Nummer 4 die Wasche gewechselt haben zu mussen, begrundete Beatrice Lippincott mit leicht geroteten Wangen ihre Anwesenheit im Nebenzimmer und erging sich dann in einer nicht minder wortreichen Wiederholung der bewussten Unterhaltung.
»Erwahnten Sie das Gesprach zwischen den beiden Mannern einem Dritten gegenuber?«
»Ja, ich weihte Mr Rowley Cloade ein.«
Einer der Geschworenen hatte eine Frage.
»Erwahnte der Ermordete in dem Gesprach irgendwann einmal, dass er selbst Robert Underhay sei?«
»Nein… nein, das habe ich nicht gehort.«
»Er sprach also von Robert Underhay, als ob dieser Robert Underhay ein anderer sei?«
»Ja, so war es.«
»Danke, ich wollte mir uber diesen Punkt nur Klarheit verschaffen.«
Beatrice Lippincott wurde in Gnaden aus dem Zeugenstand entlassen, und Rowley Cloade trat an ihre Stelle.
Er bestatigte, dass Beatrice Lippincott ihm von der Unterhaltung zwischen den beiden Mannern berichtet hatte. Dann schilderte er seine eigene Unterredung mit dem Ermordeten.
»Seine letzten Worte zu Ihnen waren also: ›Ohne meine Mithilfe werden Sie kaum jemals einen Beweis liefern konnen‹, und das bezog sich auf einen Beweis dafur, dass Robert Underhay noch am Leben sei?«
Mr Pebmarsh blickte Rowley streng an.
»Jawohl, das waren seine Worte. Und er lachte dazu.«
»Um welche Zeit verlie?en Sie Mr Arden?«
»Es muss etwa funf Minuten vor neun gewesen sein.«
»Woher wissen Sie die Zeit so genau?«
»Als ich den ›Hirschen‹ verlie? und am Haus entlangging, horte ich durchs Fenster gerade den Glockenton, der immer vor den Nachrichten durchgegeben wird.«
»Erwahnte Mr Arden, zu welcher Zeit er den anderen Besucher erwartete?«
»Nein, er sprach nur vom gleichen Abend.«
»Ein Name fiel nicht?«
»Nein.«
Als Nachster wurde David Hunter aufgerufen. Alle Kopfe reckten sich, als der trotzig dreinblickende junge Mann den Zeugenstand betrat.
Die stets gleichen Fragen nach Name, Stand, Alter und Wohnort waren schnell beantwortet.
»Sie suchten den Ermordeten am Sonnabend Abend auf?«
»Ja. Er wandte sich brieflich an mich, behauptete, dass er meinen verstorbenen Schwager in Afrika gekannt habe, und bat um Unterstutzung.«
»Haben Sie diesen Brief bei sich?«
»Ich habe ihn uberhaupt nicht mehr. Ich hebe niemals Briefe auf.«
»Sie haben Beatrice Lippincotts Schilderung Ihres Gesprachs mit dem Fremden gehort. Entspricht diese Wiedergabe der Wahrheit?«
»Absolut nicht. Der Fremde behauptete, meinen verstorbenen Schwager gekannt zu haben, klagte im Ubrigen uber sein Pech und bat um eine Unterstutzung, die er – das sagen sie ja alle – ganz bestimmt zuruckzahlen werde.«
»Teilte er Ihnen mit, dass Robert Underhay noch am Leben sei?«
David lachelte.
»Im Gegenteil. Er sagte: ›Wenn Robert noch am Leben ware, wurde er mir helfen. Das wei? ich genau.‹«
»Ihre Wiedergabe unterscheidet sich aber wesentlich von Miss Lippincotts Schilderung des Gesprachs.«
»Lauscher fangen gewohnlich nur einen Teil des Gesprachs auf, verstehen dann nicht recht, worum es geht, und fullen die Lucken mit Produkten der eigenen bluhenden Phantasie.«
»Das ist doch…«, fuhr Beatrice wutend auf, doch der Coroner lie? sie nicht zu Wort kommen.
»Ruhe im Saal!«, donnerte er.
»Suchten Sie den Fremden am Dienstagabend noch mal auf, Mr Hunter?«, ging das Verhor weiter.
»Nein.«
»Sie haben gehort, dass Mr Rowley Cloade ausgesagt hat, Mr Arden habe noch einen Besucher erwartet.«
»Sehr gut moglich, aber ich war dieser Besucher nicht. Ich hatte ihm schon eine Funfernote gegeben und fand, damit sei die Sache erledigt. Schlie?lich hatte ich nicht einmal einen Beweis dafur, dass er meinen Schwager Underhay uberhaupt gekannt hat. Seit meine Schwester das Vermogen ihres zweiten Gatten geerbt hat, ist sie die Zielscheibe samtlicher Bittsteller dieser Gegend gewesen.«
Mit viel sagender Langsamkeit lie? er seinen Blick uber die versammelten Cloades wandern.
»Wo befanden Sie sich am Dienstagabend, Mr Hunter?«
»Finden Sie es heraus, wenn Sie es wissen wollen«, war die patzige Antwort.
»Mr Hunter!« Der Coroner klopfte auf den Tisch. »Wenn Sie diese Haltung einnehmen, so lassen Sie sich gesagt sein, dass Sie unter Umstanden sehr bald vor einem Gericht stehen werden, dem Sie Antwort zu erteilen gesetzlich verpflichtet sind.«
Argerlich griff Mr Pebmarsh nach dem Feuerzeug vor sich. »Kennen Sie das?«, fragte er barsch.
David beugte sich vor und nahm das Feuerzeug entgegen. Er betrachtete es einen Augenblick verwirrt und gab es dann wieder zuruck.
»Es gehort mir«, gab er zu.
»Wo und wann hatten Sie es zuletzt?«
»Ich vermisste es – «
Er stutzte mitten im Satz.
»Ja?«, drangte der Richter.
»Am Freitag benutzte ich es zum letzten Mal, soweit ich mich erinnere. Freitagmorgen. Seither habe ich es nicht mehr in Handen gehabt.«
Major Porter war der nachste. Mit steifen Beinen stelzte er vor und stellte sich mit durchgedruckter Brust in Positur, durch und durch eine soldatische Erscheinung. Nur die Art, wie er wiederholt die Lippen mit der Zunge befeuchtete, verriet seine Nervositat.
Den Beginn der Einvernahme machte wie jedes Mal die Frage nach den Personalien.
»Wo und wann lernten Sie Robert Underhay kennen?«
Major Porter bellte seine Antwort in militarischer Knappheit heraus.
»Sie haben die Leiche in Augenschein genommen?«
»Jawohl.«
»Sind Sie imstande, die Leiche zu identifizieren?«