Steine. »Wem gehoren sie nun wirklich, Monsieur Poirot?«

»Das wird sich wahrscheinlich schwer feststellen lassen. Jedenfalls gehoren sie weder Ihnen noch mir. Wir mussen zunachst einmal uberlegen, was wir unternehmen wollen.«

Julia sah ihn erwartungsvoll an.

»Sie uberlassen mir alles Weitere. Gut.«

Hercule Poirot schloss die Augen.

Nach kurzem Schweigen offnete er sie wieder und sagte lebhaft: »In diesem Fall wird mir leider nichts anderes ubrig bleiben, als selbst einzugreifen. Bei mir muss immer alles seine Ordnung haben, aber die Ereignisse, die Sie mir beschrieben haben, scheinen vollig zusammenhanglos zu sein. Zu viele verschiedene Faden… verschiedene Menschen mit verschiedenen Zielen und Interessen. Nur eines steht fest: Das Zentrum der Ereignisse ist Meadowbank. Und deshalb muss auch ich unbedingt nach Meadowbank fahren. Und Sie, mein Kind? Wo ist eigentlich Ihre Mutter?«

»Mummy ist mit einem Autobus in Anatolien unterwegs.«

»Anatolien! Il ne manquait que ca! Kein Wunder, dass sie mit Mrs Summerhayes befreundet ist. Hat es Ihnen bei ihr gefallen?«

»Ja, sehr gut. Sie hat prachtvolle Hunde.«

»Die Hunde… ja, ich erinnere mich. Und wie war das Essen?«

»Das Essen war manchmal etwas eigentumlich«, gab Julia zu.

»Eigentumlich ist das richtige Wort.«

»Aber Tante Maureen macht wundervolle Omeletts.«

»Wenn sie wundervolle Omeletts macht, hat Hercule Poirot nicht umsonst gelebt. Ich habe es ihr beigebracht«, erklarte Poirot strahlend. Dann griff er zum Telefonhorer. »Jetzt mussen wir der Schulleiterin mitteilen, dass Ihnen nichts zugesto?en ist, und sie auf meine Ankunft in Meadowbank vorbereiten.«

»Sie wei?, dass mir nichts passiert ist. Ich habe ihr einen Brief hinterlassen mit der Mitteilung, ich sei nicht entfuhrt worden.«

Nachdem die Verbindung mit der Schule hergestellt war, verlangte Poirot Miss Bulstrode zu sprechen.

»Miss Bulstrode? Hier spricht Hercule Poirot. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Ihre Schulerin Julia Upjohn bei mir ist und dass wir jetzt gemeinsam im Auto nach Meadowbank fahren werden. Wurden Sie so freundlich sein, dem zustandigen Kommissar auszurichten, dass ein Packchen mit Wertsachen in einem Banktresor deponiert worden ist?… Vielen Dank.«

Er legte den Horer auf und bot Julia ein Glas Fruchtsaft an, das sie dankend annahm.

»Aber die Juwelen sind doch noch gar nicht auf der Bank«, bemerkte sie erstaunt.

»Sie werden in Kurze dort sein«, erwiderte Poirot. »Aber fur den Fall, dass das Gesprach entweder hier oder in Meadowbank abgehort worden ist, hielt ich es fur angebracht, den Anschein zu erwecken, dass die Edelsteine nicht mehr in unserem Besitz sind. Es erfordert viel Zeit und Uberlegung, einen Bankraub zu organisieren. Ich will auf keinen Fall, dass Ihnen etwas zusto?t, mein Kind. Sie haben uberlegt und tapfer gehandelt, Ihre Mutter kann stolz auf Sie sein.«

Julias Gesicht war erfreut und verlegen zugleich. 

18

Hercule Poirot, innerlich darauf vorbereitet, dass eine Schulvorsteherin einem Auslander mit spitzen Lackschuhen und einem gro?en Schnurrbart mit einem gewissen Misstrauen begegnen wurde, war angenehm uberrascht, als Miss Bulstrode ihn mit hoflicher Zuvorkommenheit begru?te. Er stellte mit Genugtuung fest, dass sie wusste, wer er war.

»Herzlichen Dank fur Ihren prompten Anruf, Monsieur Poirot«, sagte sie. »Glucklicherweise hatten wir uns um Julia keine Sorgen gemacht, da ihre Abwesenheit noch gar nicht bemerkt worden war.« Sie wandte sich an Julia. »Heute Vormittag sind so viele Schulerinnen abgeholt worden, dass ein weiterer leerer Platz beim Mittagessen niemandem aufgefallen ist. Ich bin erst nach dem Telefongesprach in Ihr Zimmer gegangen, wo ich Ihr Briefchen vorfand.«

»Sie sollten nicht denken, dass ich entfuhrt worden bin, Miss Bulstrode.«

»Das war eine gute Idee, Julia. Aber warum haben Sie mich nicht uber Ihre Plane informiert?«

»Weil ich es nicht fur angebracht hielt«, erwiderte Julia. Sie fugte geheimnisvoll hinzu: »Les oreilles ennemies nous ecoutent.«

»Eine besonders gute Aussprache hat Mademoiselle Blanche Ihnen aber noch nicht beigebracht«, bemerkte Miss Bulstrode kopfschuttelnd. »Doch ich will Ihnen keine Vorwurfe machen.« Sie blickte von Julia zu Poirot. »Wurden Sie so gut sein, mir jetzt genau zu schildern, was sich ereignet hat, Julia?«

»Sie gestatten?«, sagte Hercule Poirot. Er ging schnell zur Tur, offnete sie und sah hinaus. Dann schloss er sie mit einer ubertriebenen Geste und kehrte lachelnd zuruck.

»Wir sind allein«, bemerkte er. »Wir konnen fortfahren.«

Miss Bulstrode blickte von ihm zur Tur, dann wieder auf Poirot. Sie hob die Augenbrauen. Poirot erwiderte ihren Blick, und Miss Bulstrode senkte, fast unmerklich, den Kopf. Dann sagte sie mit ihrer ublichen forschen Stimme: »So, und jetzt konnen Sie mir alles berichten, Julia.«

Julia erzahlte vom Austausch der Tennisschlager, von der fremden Dame und schlie?lich von den Edelsteinen, die sie im Griff des Tennisschlagers gefunden hatte.

Poirot bestatigte Julias Schilderung der Ereignisse.

»Mademoiselle Julia hat einen genauen Bericht abgegeben«, erklarte er. »Ich habe die Juwelen an mich genommen und sie in einer Bank deponiert. Daher glaube ich, dass Sie keine weiteren unangenehmen Zwischenfalle in Meadowbank zu befurchten haben.«

»Ich verstehe«, erwiderte Miss Bulstrode. »Ich verstehe…« Nach kurzem Zogern fuhr sie fort: »Halten Sie es fur richtig, dass Julia hier bleibt? Ware es nicht besser, wenn sie zu ihrer Tante nach London ginge?«

»Bitte, bitte, lassen Sie mich hier bleiben«, bat Julia. »Ich bin so schrecklich gern in Meadowbank, und gerade jetzt ist es so aufregend.«

»Darauf legen wir im Allgemeinen hier keinen Wert«, erwiderte Miss Bulstrode trocken.

»Ich glaube nicht, dass Julia gefahrdet ist«, erklarte Poirot. Er blickte wieder zur Tur.

»Ich denke, ich verstehe«, sagte Miss Bulstrode.

»Ich setze naturlich voraus, dass Julia diskret ist«, bemerkte Poirot.

»Monsieur Poirot wunscht, dass Sie den Mund halten, Julia, und nicht mit den anderen Madchen uber Ihre Entdeckung reden. Werden Sie das fertigbringen?«, fragte Miss Bulstrode.

»Ja«, versicherte Julia.

»Die Versuchung, Ihren Freundinnen zu erzahlen, was Sie in dem Tennisschlager gefunden haben, muss gro? sein. Aber es ist aus bestimmten Grunden sehr wichtig, dass nicht daruber gesprochen wird«, erklarte Poirot.

»Kann ich mich auf Sie verlassen, Julia?«, fragte Miss Bulstrode.

»Ja. Ehrenwort.«

»Ich hoffe, dass Ihre Mutter bald zuruckkommt«, meinte Miss Bulstrode lachelnd.

»Das hoffe ich auch«, entgegnete Julia.

»Kommissar Kelsey hat bereits versucht, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Leider sind die Autobusverbindungen in Anatolien schlecht, und die Fahrplane werden oft nicht eingehalten.«

»Aber Mummy kann ich es doch erzahlen, nicht wahr?«, fragte Julia.

»Selbstverstandlich. So, und jetzt mochte ich mich noch einen Augenblick mit Monsieur Poirot allein unterhalten«, sagte Miss Bulstrode.

Julia ging und machte die Tur hinter sich zu. Miss Bulstrode fixierte Poirot einen Augenblick schweigend.

»Ich nehme an, dass ich Sie richtig verstanden habe«, sagte sie endlich. »Als Sie vorhin an der Tur waren, lie?en Sie diese absichtlich einen Spalt offen, nicht wahr?«

Poirot nickte.

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