»Ich bin fest davon uberzeugt. Und vergessen Sie nicht, dass die Person, die Mrs Upjohn gesehen hat, nicht wei?, dass sie gesehen worden ist«

Kelsey seufzte. »Wenn das alles ist…«

»Es gibt noch andere Dinge – Unterhaltungen zum Beispiel.«

»Unterhaltungen?«

»Wenn man etwas zu verbergen hat, sagt man fruher oder spater einmal zu viel.«

»Sie meinen, dass man sich verrat?«, fragte der Polizeichef skeptisch.

»Ganz so einfach ist es nicht. Man bemuht sich, nicht uber das zu sprechen, was man verbergen muss. Aber oft sagt man zu viel uber andere Dinge. Auch die Unterhaltungen unschuldiger Leute konnen interessant sein, da diese oft keine Ahnung haben, dass sie etwas Wichtiges wissen. Dabei fallt mir ein…« Poirot stand auf. »Ich bitte um Verzeihung, meine Herren. Ich muss sofort zu Miss Bulstrode, um sie zu fragen, ob hier jemand zeichnen kann.«

»Zeichnen?«

»Ja, zeichnen.«

»Na so was«, sagte Adam, nachdem Poirot hinausgegangen war. »Zuerst interessiert er sich fur Jungmadchenknie, jetzt sucht er einen Zeichner. Was wird er sich als Nachstes ausdenken?«

Miss Bulstrode beantwortete Poirots Frage ohne ein Anzeichen des Erstaunens.

»Miss Laurie, unsere Zeichenlehrerin, ist heute nicht hier«, sagte sie. »Sie kommt nur einmal in der Woche. Was soll sie denn fur Sie zeichnen?«, fugte sie freundlich hinzu, als sprache sie mit einem Kind.

»Gesichter«, erwiderte Poirot.

»Miss Rich zeichnet auch ganz gut…«

»Versuchen wir’s mit ihr.«

Er stellte zu seiner Genugtuung fest, dass Miss Bulstrode keine unnotigen Fragen stellte. Sie verlie? das Zimmer und kam kurz darauf mit Miss Rich zuruck.

»Wie ich hore, sind Sie eine gute Zeichnerin. Konnen Sie Leute portratieren?«

Eileen Rich nickte.

»Wurden Sie so freundlich sein, eine Skizze von der verstorbenen Miss Springer fur mich zu machen?«

»Das ist schwierig. Ich kannte sie nur sehr kurze Zeit, aber ich will es versuchen.«

Sie kniff die Augen zusammen und begann schnell zu zeichnen.

»Bien«, sagte Poirot und nahm ihr die Skizze aus der Hand. »Und nun bitte Miss Bulstrode, Miss Rowan, Mademoiselle Blanche und Adam, den Gartner.«

Eileen Rich sah ihn erstaunt an, dann machte sie sich an die Arbeit. Er betrachtete das Resultat befriedigt.

»Sie sind sehr begabt, mit ein paar Strichen gelingt es Ihnen, Gesichter deutlich erkennbar zu machen. Ausgezeichnet! Und jetzt mochte ich Sie bitten, etwas noch Schwierigeres zu versuchen. Geben Sie Miss Bulstrode eine andere Frisur, verandern Sie die Form ihrer Augenbrauen.«

Eileen sah ihn fassungslos an.

»Ich bin nicht verruckt geworden, Miss Rich«, sagte er. »Ich mache lediglich ein Experiment.«

Sie fuhrte seine Wunsche aus.

Poirot betrachtete die Zeichnung.

»Glanzend! Nun mochte ich Sie bitten, auch Mademoiselle Blanche und Miss Rowan auf die gleiche Weise zu verandern.«

Nachdem Eileen die beiden Skizzen vollendet hatte, legte Poirot die drei Portrats vor sich auf den Tisch.

»Nun will ich Ihnen etwas zeigen«, sagte er. »Miss Bulstrode ist trotz der Veranderungen deutlich als Miss Bulstrode zu erkennen. Aber sehen Sie sich die beiden anderen an! Da sie uninteressante Zuge haben und im Gegensatz zu Miss Bulstrode keine starken Personlichkeiten sind, sind sie durch die geringfugigen Veranderungen ganz andere Menschen geworden, nicht wahr?«

Eileen Rich gab ihm Recht. Als er die Skizzen sorgfaltig zusammenfaltete und einsteckte, fragte sie:

»Was werden Sie damit tun?«

»Ich werde sie benutzen«, erwiderte Poirot geheimnisvoll. 

20

»Ich wei? wirklich nicht, was ich dazu sagen soll«, erklarte Mrs Sutcliffe und sah Hercule Poirot missbilligend an. »Au?erdem ist Henry nicht zuhause.«

Wahrscheinlich will sie damit andeuten, dass Henry eher imstande ware, mit dieser Angelegenheit fertigzuwerden, dachte Poirot.

»Eine au?erst peinliche Sache«, erklarte Mrs Sutcliffe. »Ich bin nur froh, dass Jennifer wieder zuhause ist, obwohl sie sich sehr albern benimmt. Nachdem sie sich anfangs geweigert hat, nach Meadowbank zu gehen, weil sie die Schule fur ubertrieben vornehm hielt, schmollt sie jetzt von fruh bis abends, weil wir sie nicht dort gelassen haben.«

»Meadowbank ist zweifellos eine der besten englischen Schulen«, bemerkte Poirot.

»War eine der besten Schulen«, korrigierte Mrs Sutcliffe.

»Und wird es wieder sein«, erklarte Poirot.

»Glauben Sie wirklich?«

Mrs Sutcliffe sah Poirot nachdenklich an. Seine teilnahmsvolle, liebenswurdige Art begann sie zu beeindrucken.

»Leider befindet sich Meadowbank im Augenblick in einer recht unglucklichen Lage«, sagte Poirot, da ihm nichts Besseres einfiel. Er war sich uber die Unzulanglichkeit seiner Bemerkung klar, und sie fiel Mrs Sutcliffe naturlich sofort auf.

»Mehr als eine ungluckliche Lage«, entgegnete sie. »Zwei Morde und eine Entfuhrung! Man kann seine Tochter nicht in eine Schule schicken, in der ein Mord nach dem anderen geschieht.«

Dagegen lie? sich nicht viel einwenden.

»Wenn sich herausstellt, dass eine Person fur beide Morde verantwortlich ist, und wenn diese Person festgenommen wird, sieht alles anders aus, finden Sie nicht?«

»Mag sein«, erwiderte Mrs Sutcliffe unsicher. »Sie meinen wohl jemanden wie ›Jack the Ripper‹ oder diesen anderen Morder – wie hie? er doch? –, der immer einen bestimmten Typ von Frauen umgebracht hat… und dieser Morder hat es eben auf Lehrerinnen abgesehen… grauenhaft! Immerhin, wenn er festgenommen wird, sieht wohl alles anders aus…, aber dann bleibt immer noch die Entfuhrung. Man will seine Tochter schlie?lich auch nicht auf einer Schule lassen, aus der andere junge Madchen entfuhrt worden sind, nicht wahr?«

»Bestimmt nicht, Madame. Ich sehe, dass Sie logisch denken konnen. Ich gebe Ihnen unbedingt Recht.«

Mrs Sutcliffe fuhlte sich geschmeichelt. So etwas hatte seit Jahren niemand zu ihr gesagt.

»Ich habe grundlich daruber nachgedacht«, gab sie zu.

»Ich wurde mir uber die Entfuhrung, im Vertrauen gesagt, keine grauen Haare wachsen lassen, Madame. Entre nous – Prinzessin Shanda ist wahrscheinlich gar nicht entfuhrt worden –, wir glauben eher, dass es sich um ein kleines Abenteuer handelt.«

»Wollen sie damit sagen, dass sie durchgebrannt ist, um jemanden zu heiraten?«

»Meine Lippen sind versiegelt«, erwiderte Hercule Poirot. »Sie werden begreifen, dass ein Skandal um jeden Preis vermieden werden muss… Ich kann mich doch auf Ihre Diskretion verlassen?«

»Selbstverstandlich«, erwiderte Mrs Sutcliffe mit Nachdruck. Sie betrachtete den Brief des Polizeichefs, den Poirot ihr uberreicht hatte. »Ich verstehe nur immer noch nicht ganz, wer Sie eigentlich sind, Monsieur Poirot. Sind Sie ein so genannter Privatdetektiv?«

»Man konsultiert mich in schwierigen Fallen«, erklarte Poirot salbungsvoll.

»Tatsachlich?« Mrs Sutcliffe war sichtlich beeindruckt. »Woruber wollen Sie mit Jennifer sprechen?«

»Uber nichts Bestimmtes. Ich mochte nur horen, was fur einen Eindruck sie hat… ist sie eine scharfe

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