Mrs Sutcliffe packte ihre Tochter energisch am Arm und ging mit ihr auf das Haus zu.

Plotzlich riss sich Jennifer von ihr los und rannte zuruck zum Tennisplatz.

»Auf Wiedersehen, Julia. Meine Eltern sind mal wieder uberangstlich. Zu argerlich! Aber was kann ich tun? Lass es dir gut gehen. Ich werde dir sofort schreiben.«

»Und ich werde dir sofort antworten und dir alles berichten«, erwiderte Julia.

»Hoffentlich wird Chaddy nicht als nachste ermordet. Dann schon lieber Mademoiselle Blanche, findest du nicht auch?«

»Ja, ohne die konnten wir ganz gut auskommen«, kicherte Julia. »Sag mal, ist dir nicht auch aufgefallen, wie verbissen Miss Rich aussieht?«

»Sie scheint wutend daruber zu sein, dass Mum mich abholt. Warum eigentlich? Eine sonderbare Person. Ich zerbrech mir ubrigens schon lange den Kopf, an wen sie mich erinnert.«

»Mich erinnert sie bestimmt an niemanden«, erklarte Julia.

»Jetzt fallt es mir plotzlich ein – aber die Frau, der sie ahnlich sieht, war sehr dick«, sagte Jennifer.

»Wo bleibst du, Jennifer?«, rief Mrs Sutcliffe.

»Ich komm schon«, rief Jennifer gereizt zuruck.

Julia schlenderte langsam auf die Turnhalle zu.

Ihre Schritte wurden immer langsamer, bis sie, in Gedanken versunken, auf dem Kiesweg stehen blieb.

Es wurde zum Mittagessen gelautet, aber sie horte es kaum. Sie starrte auf den Tennisschlager in ihrer Hand, dann drehte sie sich plotzlich um und marschierte entschlossen aufs Haus zu. Sie ging durch den Haupteingang, der von den Schulerinnen eigentlich nicht benutzt werden durfte, ins Haus, weil sie vermeiden wollte, die anderen Madchen zu treffen. Die Vorhalle war leer. Sie rannte hinauf in ihr Schlafzimmer, sah sich kurz um und verstaute den Tennisschlager unter der Matratze ihres Bettes. Dann strich sie sich das Haar glatt und begab sich mit harmloser Miene in den Speisesaal. 

17

Als die Madchen an diesem Abend zu Bett gingen, war es wesentlich ruhiger als sonst. Mehr als drei?ig Schulerinnen waren nachhause gefahren. Die Zuruckgebliebenen benahmen sich ihrem Temperament entsprechend: Einige zeigten Zeichen der Erregung, andere kicherten nervos, wieder andere waren still und in sich gekehrt.

Julia Upjohn ging als eine der ersten hinauf in ihr Zimmer. Sie schloss die Tur und lauschte den Schritten, dem Kichern und dem Flustern auf dem Gang. Endlich wurde es ruhig.

Die Tur lie? sich nicht abschlie?en. Julia stellte einen Stuhl dagegen, dessen Lehne sie unter die Turklinke klemmte. Auf diese Weise wurde sie rechtzeitig gewarnt werden, falls jemand in ihr Zimmer kommen wollte. Aber es wurde niemand kommen. Es war den Schulerinnen streng verboten, sich gegenseitig in ihren Zimmern zu besuchen, und auch die Lehrerinnen betraten die Schlafzimmer nicht. Nur Miss Johnson, die Hausmutter, kam manchmal, wenn eines der Madchen sich nicht wohlfuhlte.

Julia ging zum Bett und holte den Tennisschlager unter der Matratze hervor. Sie hatte sich entschlossen, ihn jetzt gleich und nicht erst spater zu untersuchen. Bis halb elf durfte man Licht haben, danach konnte ein Lichtspalt unter der Tur auffallen.

Julia betrachtete den Tennisschlager von allen Seiten. Wo konnte man darin etwas verstecken? Denn irgendetwas musste darin verborgen sein. Alles deutete darauf hin – der Einbruch in Jennifers Haus, der Besuch der fremden Dame, die ihr einen neuen Schlager brachte… Niemand au?er Jennifer ware auf diese alberne Geschichte hereingefallen, dachte Julia verachtlich.

»Neue Lampen fur alte!« Das bedeutete, dass es mit diesem Schlager eine besondere Bewandtnis haben musste – wie mit Aladins Wunderlampe. Jennifer und Julia hatten mit keinem Menschen uber den Tausch ihrer Tennisschlager gesprochen; Julia selbst jedenfalls bestimmt nicht.

Dieser Tennisschlager war es also, nach dem in der Turnhalle so eifrig gesucht worden war, und sie musste den Grund dafur herausfinden. Au?erlich war ihm bestimmt nichts anzumerken; der Schlager war nicht mehr neu, aber noch immer in gutem Zustand. Allerdings hatte Jennifer uber die Gleichgewichtsverteilung geklagt.

Wo konnte man etwas verstecken? Hochstens im Griff. Das klang ziemlich ausgefallen, war aber nicht unmoglich. Und hatte man den Griff wirklich ausgehohlt und etwas Schweres hineingetan, dann wurde das Gleichgewicht empfindlich gestort sein.

Auf dem Griff klebte ein rundes Stuck Leder mit einem fast unleserlichen Monogramm. Julia setzte sich an ihren Frisiertisch. Es gelang ihr, das Leder mithilfe ihres Taschenmessers zu entfernen. Darunter war eine kleine, runde Holzscheibe, die merkwurdig aussah. Julia brachte es nicht fertig, sie mit dem Taschenmesser herauszubekommen. Schlie?lich gelang es ihr mit der Nagelschere. Jetzt zeigte sich eine marmorierte, blau-rote Masse. Plotzlich ging Julia ein Licht auf. Plastilin! Aber wie kam Plastilin in den Griff eines Tennisschlagers? Sie entfernte die Knetmasse energisch mit ihrer Nagelschere. Ja, es war etwas darunter verborgen… es rollte auf den Tisch… herrliche, runde, schimmernde Steine… feuerrot, grun, tiefblau und schneewei?…

Julia stockte der Atem. Sie starrte und starrte auf den funkelnden Haufen kostbarer Edelsteine.

Fantastische Gedanken jagten ihr durch den Kopf. Aladins Hohle… der Hope-Diamant… Edelsteine, deren Besitzer vom Ungluck verfolgt wurden… romantische Gedanken… sie selbst in einem schwarzen Samtkleid, mit einem leuchtenden Diadem auf dem Kopf, einer herrlichen Perlenkette um den Hals…

Sie erwachte mit einem Ruck aus ihren Traumen.

War da nicht ein Gerausch?

Sie lauschte einen Augenblick, dann dachte sie angestrengt nach. Schlie?lich stand sie auf, holte ihren Schwammbeutel vom Waschtisch, fegte die Steine vom Tisch in den Beutel und presste ihren Schwamm und ihre Nagelburste darauf. Dann fullte sie den Tennisschlager wieder mit dem Plastilin; daruber legte sie die kleine runde Holzscheibe und klebte das Stuck Leder drauf.

Fertig. Der Tennisschlager sah genauso aus wie vorher, und obwohl er etwas leichter geworden war, fuhlte er sich auch kaum anders an als zuvor. Sie betrachtete ihn noch einmal kritisch, dann legte sie ihn achtlos auf einen Stuhl.

Sie warf einen Blick auf ihr Bett mit der sauberlich zuruckgeschlagenen Bettdecke, aber sie zog sich nicht aus. Statt dessen lauschte sie angestrengt. Horte sie Schritte im Korridor?

Plotzlich bemachtigte sich ihrer eine furchtbare Angst. Zwei Menschen waren ermordet worden. Wenn jemand wusste, was sie gefunden hatte, wurde sie das nachste Opfer des Morders werden…

Es gelang ihr mit Muhe, die schwere eichene Kommode vor die Tur zu schieben. Sie wunschte nichts sehnlicher, als einen Schlussel zu besitzen. Nach kurzem Uberlegen ging sie zum Fenster; glucklicherweise konnte man das altmodische Schiebefenster von innen verriegeln. Sie tat es, obwohl kein Baum in der Nahe stand und es kaum moglich gewesen ware, von au?en in ihr Zimmer einzusteigen. Aber sie wollte ganz sichergehen…

Es war genau halb elf. Julia holte tief Atem und knipste das Licht aus. Sie wollte in keiner Weise auffallen. Dann schob sie die Vorhange ein wenig zur Seite. Im Licht des Vollmonds konnte sie die Tur deutlich sehen. Schlie?lich setzte sie sich auf den Bettrand, einen ihrer schwersten Schuhe in der Hand.

Wenn jemand versucht einzudringen, werde ich mit dem Schuh an die Wand klopfen, dachte Julia, und laut um Hilfe rufen. Mary King, im Nebenzimmer, wird davon bestimmt aufwachen. Sollten noch andere angelaufen kommen, werde ich behaupten, einen Albtraum gehabt zu haben…

Nachdem sie einige Zeit auf ihrem Bettrand gesessen hatte, horte sie leise Schritte im Gang… jemand blieb vor ihrem Zimmer stehen… eine lange Pause, dann wurde die Turklinke vorsichtig hinuntergedruckt.

Sollte sie schreien? Nein, noch nicht.

Die Tur offnete sich, aber nur einen Spalt, die Kommode gab nicht nach. Das schien die Person im Gang zu uberraschen.

Nach einer weiteren Pause wurde leise und vorsichtig angeklopft. Julia hielt den Atem an… noch eine Pause… noch ein schwaches Klopfen…

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