»Das glaubte ich auch«, bemerkte Adam.

»Leider wissen wir viel zu wenig, wir stehen vor einem Ratsel.« Kelsey blickte sich um. »Ich kann hier im Augenblick weiter nichts tun. Bitte suchen Sie, wie ublich, nach Fingerabdrucken, und machen Sie die notwendigen Aufnahmen. Ich gehe jetzt ins Haus.«

Dort empfing ihn Miss Johnson. Obwohl sie erschuttert war, bewahrte sie au?erlich die Ruhe.

»Grauenhaft! Zwei unserer Lehrerinnen ermordet«, stohnte sie. »Die arme Miss Chadwick ist in einem furchtbaren Zustand.«

»Ich mochte sie so bald wie moglich sehen.«

»Der Arzt hat ihr eine Spritze gegeben, und sie ist jetzt viel ruhiger«, berichtete Miss Johnson. »Soll ich Sie zu ihr fuhren?«

»Einen Augenblick. Zuerst mochte ich Sie bitten, mir zu erzahlen, wann und wo Sie Miss Vansittart zuletzt gesehen haben.«

»Ich war den Tag uber fort und habe sie heute gar nicht gesehen«, erwiderte Miss Johnson. »Ich bin erst kurz vor elf zuruckgekommen und sofort ins Bett gegangen.«

»Sie haben nicht zufallig noch einen Blick auf die Turnhalle geworfen?«

»Nein. Das kam mir uberhaupt nicht in den Sinn. Ich war heute bei meiner Schwester, die ich lange nicht mehr gesehen hatte, und meine Gedanken waren noch bei meiner Familie. Ich badete, ging ins Bett, las noch ein wenig, drehte das Licht aus und schlief ein.

Als ich aufwachte, stand Miss Chadwick bleich und zitternd vor meinem Bett.«

»War Miss Vansittart tagsuber auch fort?«

»Nein, sie hat Miss Bulstrode in der Schule vertreten.«

»Welche anderen Lehrerinnen waren noch hier?«

Miss Johnson uberlegte einen Augenblick: »Miss Vansittart, Miss Chadwick, Mademoiselle Blanche und Miss Rowan.«

»Ich danke Ihnen, Miss Johnson. Konnen wir jetzt zu Miss Chadwick gehen?«

Miss Chadwick sa? in ihrem Zimmer in einem Lehnstuhl. Obwohl die Nacht warm war, lag eine Decke uber ihren Knien, und ein elektrischer Ofen war eingeschaltet. Sie starrte Kommissar Kelsey verzweifelt an.

»Ist sie tot? Wirklich tot? Besteht noch eine Hoffnung…«

Kelsey schuttelte den Kopf.

»Es ist so entsetzlich, und Miss Bulstrode ist fort.« Miss Chadwick begann zu schluchzen. Tranen rollten uber ihre fahlen Wangen.

»Das ist das Ende von Meadowbank… ich kann es nicht ertragen… ich kann’s nicht ertragen.«

Kelsey setzte sich neben sie.

»Ja, es muss ein furchtbarer Schock fur Sie gewesen sein«, sagte er mitfuhlend. »Aber sie mussen tapfer sein, Miss Chadwick. Bitte erzahlen Sie mir alles, was Sie wissen. Wenn wir den Tater schnell finden, ersparen wir uns viel Aufregung, und die Zeitungen werden sich nicht so eingehend mit der Angelegenheit beschaftigen.«

»Ja, ja, ich verstehe. Ich – ich bin fruh zu Bett gegangen, aber ich konnte nicht einschlafen, weil ich mir Sorgen machte.«

»Sorgen um die Schule?«

»Ja, um Shanda… und dann, dann dachte ich an Miss Springer und was die Eltern unserer Schulerinnen tun wurden… ich… ich furchtete, dass sie uns die jungen Madchen im nachsten Jahr nicht wieder herschicken wurden. Und die arme Miss Bulstrode! Ach, es ist ja so traurig.«

»Ja, ich wei?. Also – Sie machten sich Sorgen und konnten nicht schlafen – und dann?«

»Dann – dann bin ich aufgestanden und habe zwei Aspirin genommen, und dann ging ich zum Fenster und zog den Vorhang zur Seite… warum, wei? ich selbst nicht… und dann… dann sah ich ein Licht in der Turnhalle.«

»Was fur ein Licht?«

»Ein flackerndes Licht, wie… wie von einer Taschenlampe. Es war genau wie das Licht, das Miss Johnson und ich schon einmal bemerkt hatten – vielleicht war es etwas schwacher.«

»Ja, und dann?«

»Ich war fest entschlossen, diesmal herauszufinden, wer dort sein Unwesen treibt«, sagte Miss Chadwick mit klarer Stimme. »Ich zog mir schnell Schuhe und einen Mantel an und lief aus dem Haus.«

»Sie dachten nicht daran, jemanden zu wecken und mitzunehmen?«

»Nein. Ich wollte nur so schnell wie moglich dort sein, damit ich die Person noch in der Turnhalle antreffen wurde. Ich rannte bis zur Tur, aber die letzten Schritte ging ich auf Zehenspitzen, um die Person nicht zu warnen. Die Tur war angelehnt, ich offnete sie vorsichtig einen Spalt und… da lag sie… sie war auf ihr Gesicht gefallen, tot…«

Sie begann erneut zu zittern.

»Bitte beruhigen Sie sich, Miss Chadwick. Ubrigens lag ein Golfschlager neben der Tur. Haben Sie ihn mitgenommen, oder war es Miss Vansittart?«

»Ein Golfschlager?«, wiederholte Miss Chadwick zerstreut. »Ich wei? wirklich nicht… warten Sie… ich glaube doch, dass ich ihn im Vorbeigehen aus der Vorhalle mitgenommen habe… wahrscheinlich, um mich zu verteidigen. Als ich Eleanor sah, muss ich den Schlager hingeworfen haben. Ja, und dann lief ich zuruck zum Haus und zu Miss Johnson und… ich kann’s nicht ertragen… das ist das Ende von Meadowbank!«

Miss Chadwicks Stimme schrillte hysterisch. Miss Johnson ging schnell auf sie zu.

»Es ist zu viel fur sie. Zwei Morde zu entdecken…«, erklarte Miss Johnson. »Noch mehr Fragen wollen Sie ihr doch hoffentlich nicht stellen, Kommissar?«

Kelsey schuttelte den Kopf.

Beim Hinuntergehen bemerkte er mehrere Sandsacke und Eimer, die noch aus der Kriegszeit stammen mochten. Vielleicht handelt es sich doch nicht um einen Profi mit Gummiknuppel, dachte er peinlich beruhrt. Jemand im Haus, jemand, der das Knallen eines Schusses nicht zum zweiten Mal riskieren wollte oder sich der Mordwaffe bereits entledigt hatte, mochte Miss Vansittart mit einem Sandsack erschlagen haben – moglicherweise hatte er ihn nach vollbrachter Tat sogar wieder ordentlich an seinen Platz zuruckgestellt.

16

Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten, dachte Adam. Niemals hatte er eine Frau mehr bewundert als Miss Bulstrode, die ihm kuhl und ruhig gegenubersa?, wahrend ihr Lebenswerk in Trummer fiel.

Hin und wieder klingelte das Telefon, und eine weitere erregte Mutter verlangte, dass ihre Tochter sofort nachhause geschickt werde.

Schlie?lich fasste Miss Bulstrode einen Entschluss. Sie bat die Polizisten, sie einen Augenblick zu entschuldigen, dann lie? sie Miss Shapland kommen und diktierte ihr ein kurzes Rundschreiben. Die Schule werde bis zu den gro?en Ferien geschlossen, jedoch stehe es den Eltern frei, ihre Tochter weiter in Meadowbank zu lassen, falls sie selbst keine Zeit fur sie haben sollten. Miss Bulstrode personlich werde sich um das Wohlergehen der Kinder kummern.

»Haben Sie die Liste mit den Adressen und Telefonnummern der Eltern?«

»Ja, Miss Bulstrode.«

»Dann bitte ich Sie, zuerst zu telefonieren und dann das Rundschreiben zu vervielfaltigen und abzuschicken.«

»Ja, Miss Bulstrode.«

Ann ging bis zur Tur. Dort blieb sie plotzlich stehen und drehte sich um. Sie errotete, wahrend sie in sichtlicher Erregung sagte: »Verzeihen Sie, Miss Bulstrode. Es geht mich ja eigentlich nichts an, aber ist es nicht ein Jammer – ich meine –, ist es nicht verfruht? Wenn sie den ersten Schrecken uberwunden haben, werden es sich die meisten Eltern wieder anders uberlegen und es vorziehen, ihre Tochter weiter in Ihre Schule gehen zu

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