fertigwird. Nur im Notfall muss ich naturlich zur Stelle sein.«
»Willst du damit sagen, dass sie… dass sie gelegentlich…«
»… Tobsuchtsanfalle bekommt? Du hast eine zu lebhafte Fantasie, Dennis. Nein, Mutter ist ganz ungefahrlich, nur manchmal etwas verwirrt. Sie vergisst, wo sie ist und wer sie ist. Sie macht plotzlich lange Spaziergange oder steigt in einen Zug oder in einen Autobus, und… und das ist eben alles ziemlich kompliziert. Aber trotz allem ist Mutter ganz glucklich und zufrieden. Sie hat sogar einen gewissen Sinn fur Situationskomik, wenn sie plotzlich an einem wildfremden Ort ankommt und keine Ahnung hat, wo sie ist und warum sie da ist.«
»Ich habe bisher leider keine Gelegenheit gehabt, sie kennen zu lernen«, bemerkte Dennis.
»Darauf lege ich auch keinen Wert«, erwiderte Ann. »Ich will meine Mutter wenigstens vor dem Mitleid und der Neugierde ihrer Mitmenschen bewahren.«
»Es ist nicht Neugierde, Ann.«
»Ich wei? – nur Mitleid«, entgegnete Ann seufzend. »Aber im Ubrigen irrst du dich, wenn du glaubst, dass ich mir etwas daraus mache, gelegentlich meine Stellung aufzugeben, um nachhause zu eilen. Ich mochte mich nicht zu sehr an einen bestimmten Chef oder an eine bestimmte Umgebung gewohnen. Ich wei?, dass ich eine erstklassige Sekretarin bin und jederzeit einen guten Job finden kann. Es macht mir Spa?, neue Menschen kennen zu lernen, und jetzt finde ich es hochinteressant, das Leben in einem der beruhmtesten englischen Internate zu studieren. Ich will etwa anderthalb Jahre dort bleiben.«
»Du wehrst dich dagegen, irgendwo Wurzeln zu schlagen, nicht wahr, Ann?«
»Sieht so aus«, erwiderte Ann nachdenklich. »Ich muss wohl ein geborener Beobachter sein.«
»Du bist so unabhangig«, sagte Dennis bedruckt. »Du scheust vor jeder festeren Bindung zuruck.«
»Das wird sich eines Tages andern«, versicherte Ann.
»Hoffen wir’s. Jedenfalls glaube ich nicht, dass du es auch nur ein Jahr dort aushalten wirst. Die vielen Weiber werden dir auf die Nerven fallen.«
»Der Gartner ist ein gut aussehender junger Mann«, sagte Ann. Sie lachte, als sie Dennis’ Gesicht sah. »Schau nicht so unglucklich drein, ich versuche doch nur, dich eifersuchtig zu machen!«
»Wie erklarst du dir den Mord an der Turnlehrerin?«
»Das Ganze ist mir ein Ratsel, Dennis«, antwortete Ann ernst. »Sie war schlicht, sportlich und ungeschminkt – die brave einfache Turnlehrerin, wie sie im Buche steht. Die Sache muss geheimnisvolle Hintergrunde haben, die bisher noch nicht an den Tag gekommen sind.«
»Pass nur auf, dass du nicht in die Sache verwickelt wirst, Ann«, warnte Dennis besorgt.
»Das ist leichter gesagt als getan. Bisher hat sich mir noch keine Moglichkeit geboten, mein Talent als Privatdetektiv zu zeigen – vielleicht ware ich gar nicht so unbegabt…«
»Vorsicht, Ann!«
»Ich habe nicht die Absicht, gefahrlichen Verbrechern nachzuspuren. Ich habe nur einige logische Schlussfolgerungen gezogen. Warum und wer und weshalb? Ich habe bereits eine interessante Entdeckung gemacht, die allerdings nicht in das Gesamtbild zu passen scheint«, bemerkte Ann nachdenklich. »Vielleicht wird noch ein Mord geschehen, und danach wird man moglicherweise klarer sehen…«
Genau in diesem Augenblick stie? Miss Chadwick die Tur der Turnhalle auf.
15
Kommissar Kelsey betrat das Zimmer mit grimmigem Gesicht.
»Kommen Sie mit, es ist ein zweiter Mord geschehen.«
»In Meadowbank?«, fragte Adam entsetzt.
»Ja.«
Adam folgte ihm aus dem Zimmer, in dem sie gemutlich zusammengesessen und ein Glas Bier getrunken hatten, als Kelsey ans Telefon gerufen worden war.
»Wer ist es?«, fragte Adam auf der Treppe.
»Wieder eine Lehrerin – Miss Vansittart.«
»Wo?«
»In der Turnhalle.«
»Schon wieder? Was suchen die nur alle in dieser Turnhalle?«, uberlegte Adam.
»Diesmal mochte ich
»Der Doktor wird wahrscheinlich schon dort sein«, sagte Kelsey.
Es ist wie ein boser Traum, dachte Kelsey, als er die hellerleuchtete Turnhalle betrat. Wieder lag eine Leiche auf dem Fu?boden, wieder kniete der Polizeiarzt daneben, wieder stand er schlie?lich auf und sagte: »Sie muss vor einer halben Stunde, hochstens vor vierzig Minuten ermordet worden sein.«
»Wer hat sie gefunden?«
»Miss Chadwick«, erwiderte einer der Beamten.
»Das ist doch die alte Lehrerin, nicht wahr?«
»Ja. Sie sah ein Licht, kam her, fand die Leiche und rannte ins Haus zuruck. Dort bekam sie einen hysterischen Anfall. Miss Johnson, die Hausmutter, hat uns angerufen.«
»Wie ist sie getotet worden?«, fragte Kelsey. »Wieder erschossen?«
Der Doktor schuttelte den Kopf.
»Nein. Durch einen Schlag auf den Hinterkopf. Wahrscheinlich mit einem Gummiknuppel oder mit einem Sandsack.«
In der Nahe der Tur lag ein Golfschlager – das einzige Sportgerat, das nicht fein sauberlich am richtigen Ort verstaut worden war.
»Oder vielleicht mit diesem Golfschlager?«, fragte Kelsey.
»Unmoglich. Sie hat uberhaupt keine Wunde«, erwiderte der Arzt. »Es muss ein Gummiknuppel oder etwas Ahnliches gewesen sein.«
»Profis?«
»Wahrscheinlich, ja. Jedenfalls wollte der Tater keinen Larm machen. Er hat sich ihr von hinten genahert und ihr dann einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt. Sie ist vornubergefallen und muss sofort tot gewesen sein.«
»Was tat sie, als der Morder sich ihr naherte?«
»Ich nehme an, dass sie vor diesem Schlie?fach gekniet hat«, erklarte der Arzt.
Der Kommissar betrachtete das Namensschild auf dem Schlie?fach. »Shanda – das ist doch die orientalische Prinzessin!«, er wandte sich zu Adam. »Einen Augenblick – wurde die nicht heute Abend als vermisst gemeldet?«
Adam nickte.
»Stimmt, Kommissar«, bestatigte der Sergeant.
»Noch keine Nachrichten uber ihren Verbleib?«
»Keine, Kommissar. Samtliche Polizeistationen sowie Scotland Yard sind benachrichtigt worden.«
»Eine sehr einfache Art von Entfuhrung«, bemerkte Adam. »Kein Kampf, keine Schreie. Man braucht nur zu wissen, dass das Madchen darauf wartet, von einem Auto abgeholt zu werden. Dann schickt man schnell einen anderen Wagen, samt respektablem Chauffeur; naturlich wird die junge Dame nichtsahnend in den Wagen steigen, der zuerst da ist.«
»Hat man irgendwo einen verlassenen Wagen gefunden?«
»Nein, Kommissar.«
»Sieht fast wie eine politische Verwicklung aus«, meinte Kelsey. »Ich halte es allerdings fur ausgeschlossen, dass sie die Prinzessin au?er Landes bringen konnen.«
»Wer hatte Interesse daran, das Madchen zu entfuhren?«, rief der Doktor.
»Keinen Schimmer«, erwiderte Kelsey verstimmt. »Sie hat mir gesagt, dass sie eine Entfuhrung furchtet, und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich ihre Aussage fur blo?e Wichtigtuerei hielt.«