lassen.«
Miss Bulstrode sah sie scharf an.
»Sie glauben, dass ich mich zu rasch geschlagen gebe?«
»Ehrlich gesagt – ja.«
»Sie sind eine Kampfernatur, mein Kind, und das ist gut so. Aber Sie irren sich. Auch ich strecke die Waffen nicht. Ich verlasse mich ganz einfach auf meine Menschenkenntnis. Wenn man den Eltern nahe legt, ihre Tochter aus der Schule zu nehmen, wenn man sie fast dazu zwingt, werden sie weniger geneigt sein, es wirklich zu tun. Sie werden sich entweder Grunde ausdenken, weshalb sie sie nicht zuhause haben konnen, oder sie schlimmstenfalls nach den Ferien zuruckschicken… falls wir uberhaupt wieder offnen«, fugte sie bitter hinzu.
Sie sah Kommissar Kelsey an.
»Das hangt naturlich von Ihnen ab«, sagte sie. »Finden Sie eine Erklarung fur die Morde, finden Sie den Tater, dann konnen wir die Schule auch jetzt noch retten.«
»Wir tun unser Bestes«, versicherte Kelsey unglucklich.
Ann Shapland verlie? das Zimmer.
»Ein tuchtiges, zuverlassiges Madchen«, stellte Miss Bulstrode fest, bevor sie zum Angriff uberging. »Haben Sie gar keine Ahnung, wer die beiden Lehrerinnen in der Turnhalle ermordet hat? Es ist hochste Zeit, dass Sie der Sache auf den Grund kommen! Dazu noch diese Entfuhrungsgeschichte, wegen der ich mir selbst die schwersten Vorwurfe mache. Die arme Shanda befurchtete ja, entfuhrt zu werden, und ich habe ihr nicht geglaubt. Ich hielt es fur Wichtigtuerei. Jetzt ist es zu spat. Sie muss jedenfalls gewarnt worden sein – aber wann und von wem?« Miss Bulstrode unterbrach sich einen Augenblick, dann fragte sie: »Sie haben wohl inzwischen noch nichts Neues erfahren, Kommissar?«
»Leider nicht. Aber ich glaube, Sie brauchen sich deshalb keine allzugro?en Sorgen zu machen. Scotland Yard ist uber den Fall unterrichtet, und Shanda sollte innerhalb von vierundzwanzig Stunden gefunden werden. Glucklicherweise ist England eine Insel. Alle Hafen und Flugplatze sind alarmiert worden. Au?erdem sucht die Polizei in samtlichen Distrikten nach ihr. Es ist nicht schwer, jemanden zu entfuhren, aber es ist ein Problem, jemanden versteckt zu halten. Wir werden sie bestimmt finden.«
»Ich hoffe nur, Sie werden sie lebendig auffinden«, sagte Miss Bulstrode ernst. »Wir scheinen es mit jemandem zu tun zu haben, dem das menschliche Leben nicht heilig ist.«
»Es ware unnotig gewesen, Shanda zu entfuhren, wenn man sie um die Ecke bringen wollte. Das hatte man hier einfacher haben konnen«, meinte Adam.
Als Miss Bulstrode ihn argerlich ansah, wurde ihm bewusst, dass seine Au?erung nicht besonders taktvoll gewesen war.
Das Telefon lautete. Miss Bulstrode nahm den Horer ab.
»Es ist fur Sie, Kommissar.«
Adam und Miss Bulstrode beobachteten ihn, wahrend er ein paar Notizen machte und einige lakonische Antworten gab.
»Ich verstehe«, sagte er. »Alderton Priors in Wallshire… Jawohl, ganz wie Sie wunschen.«
Er legte den Horer auf und verharrte einen Augenblick in nachdenklichem Schweigen. Dann blickte er auf.
»Seine Exzellenz hat eine Aufforderung erhalten, Losegeld zu hinterlegen. Der Brief ist mit einer neuen Corona getippt worden. Post-Stempel: Portsmouth. Wetten, dass sie uns damit auf eine falsche Fahrte hetzen wollen.«
»Wo und wie viel?«, fragte Adam.
»Bei der Wegkreuzung, zwei Meilen nordlich von Alderton Priors. Dort ist nichts als Moor und Heide. Ein Briefumschlag, der zwanzigtausend Pfund enthalten soll, muss heute, spatestens bis zwei Uhr nachts, in der Telefonzelle des Automobilklubs hinterlegt werden.«
Adam schuttelte den Kopf.
»Klingt nicht nach Profis.«
»Was werden Sie tun?«, fragte Miss Bulstrode. »Die Entscheidung daruber hangt nicht von mir allein ab«, erwiderte Kelsey ernst. »Aber wir haben so unsere Methoden.«
»Hoffen wir das Beste«, seufzte Miss Bulstrode.
»Wird schon klappen«, meinte Adam beruhigend.
»Und was soll ich tun?«, fragte Miss Bulstrode plotzlich. »Kann ich meinen Lehrerinnen und meinem Personal trauen oder nicht?«
Kommissar Kelsey zogerte.
»Ich muss Sie unbedingt um eine Antwort auf meine Frage bitten«, fuhr Miss Bulstrode fort. »Haben Sie keine Angst, dass ich mich verraten werde, wenn Sie mir sagen, wer
»Ich bin davon uberzeugt, dass ich mich auf Sie verlassen kann«, erwiderte Kelsey. »Vorlaufig sieht es jedoch nicht so aus, als befinde sich die Person, die wir suchen, unter Ihren Angestellten. Wir haben uns besonders mit den Damen beschaftigt, die erst seit Beginn des Schuljahres in Meadowbank tatig sind, namlich mit Miss Springer, mit Mademoiselle Blanche und mit Miss Ann Shapland. Miss Shaplands Vergangenheit ist einwandfrei. Sie ist die Tochter eines pensionierten Generals, sie hat alle von ihr erwahnten Posten tatsachlich innegehabt, und ihre Arbeitgeber sind bereit, das zu bezeugen. Au?erdem hat sie ein Alibi fur gestern Nacht. Als Miss Vansittart ermordet wurde, war Miss Shapland mit einem Mr Dennis Rathbone in einem Nachtklub. Mademoiselle Blanches Angaben sind ebenfalls uberpruft und fur korrekt befunden worden. Sie war Lehrerin an einer Schule in Nordengland, und sie hat an zwei deutschen Schulen Franzosisch gegeben. Ihre Zeugnisse sind ausgezeichnet. Auch uber ihren Lebenswandel in Frankreich erhielten wir nur gunstige Auskunfte. Dagegen sind die Berichte uber Miss Springer nicht ganz so zufrieden stellend. Sie hat ihre Ausbildung an dem von ihr angegebenen Ort genossen, aber zwischen ihren verschiedenen Posten liegen langere Zeitraume, uber die wir nichts Genaues wissen… Da sie jedoch ermordet worden ist, scheint das fur unsere Nachforschungen keine gro?e Rolle zu spielen«, fugte Kelsey hinzu.
»Auch ich bin der Meinung, dass Miss Springer und Miss Vansittart als Verdachtige
»Die Moglichkeit, dass sie beide Morde begangen hat, besteht. Sie war gestern Nacht in der Schule. Sie behauptet, fruh schlafen gegangen zu sein und nichts gehort zu haben, bis Alarm geschlagen wurde. Wir konnen das Gegenteil nicht beweisen, wir haben aber auch nichts gegen sie in der Hand. Wir wissen nur, dass Miss Chadwick sie als eine hinterhaltige Person betrachtet.«
»Miss Chadwick findet alle Franzosinnen hinterhaltig«, entgegnete Miss Bulstrode ungeduldig. »Das beweist gar nichts… Was halten
»Sie steckt ihre Nase in Dinge, die sie nichts angehen«, erwiderte Adam. »Es mag lediglich angeborene Neugierde sein, es kann aber auch einen tieferen Sinn haben – ich wei? es nicht. Sie sieht nicht aus wie eine Morderin, aber das bedeutet nicht viel.«
»Das ist ja das Ungluck«, jammerte Kelsey. »Da ist ein Mensch, der zwei Morde auf dem Gewissen hat, aber man kann sich kaum vorstellen, dass es einer der Angestellten ist. Miss Johnson war bei ihrer Schwester in Limeston – au?erdem ist sie schon sieben Jahre hier. Miss Chadwick ist von Anfang an bei Ihnen gewesen. Beide konnen sowieso nichts mit Miss Springers Tod zu tun haben. Miss Rich ist seit uber einem Jahr in Meadowbank; gestern Nacht war sie in einem Hotel, das zwanzig Meilen von hier entfernt ist. Miss Blake war bei Freunden in Littleport, Miss Rowan ist seit Jahren bei Ihnen und hat einen einwandfreien Ruf. Auch unter Ihren Dienstboten vermute ich keinen Morder…«
Miss Bulstrode nickte zustimmend.
»Ich bin ganz Ihrer Meinung.« Sie machte eine Pause und fixierte Adam. »Es sieht ganz so aus, als seien Sie der Tater.«
Adam offnete erstaunt den Mund.
»An Ort und Stelle«, fuhr sie fort. »Kann kommen und gehen, wann er will, hat einen legitimen Grund fur seine Anwesenheit… Obwohl Sie gute Referenzen haben, konnten Sie durchaus ein abgefeimter Schurke sein.«
Adam hatte sich inzwischen von seinem Schrecken erholt.
»Alle Achtung, Miss Bulstrode«, sagte er bewundernd. »Sie denken wirklich an alles!«
»Um Gottes willen!«, rief Mrs Sutcliffe. »Henry!«