verschwunden. In dem zertrummerten Flugzeug wurde er nicht gefunden, und es verbreitete sich das Gerucht, er sei nach England geschafft worden. Verschiedene Gruppen von Leuten versuchten nun, sich diesen Wertgegenstand anzueignen. Ein Weg dazu fuhrte uber die einzige nahe Verwandte des Prinzen, seine Kusine, die in der Schweiz zur Schule ging. Es war anzunehmen, dass dieser Wertgegenstand in die Hande der Prinzessin Shanda gelangen wurde, falls er sich nicht mehr in Ramat befand. Ihr Onkel, der Emir Ibrahim, wurde von gewissen Agenten heimlich uberwacht, andere behielten die Prinzessin selbst im Auge. Es war bekannt, dass sie zu Beginn dieses Schuljahrs nach Meadowbank kommen sollte. Selbstverstandlich wurde sie in diesem Fall auch hier weiter beobachtet werden. Jedoch fand man einen viel einfacheren Ausweg. Man beschloss, Shanda zu entfuhren und statt ihrer eine junge Person nach Meadowbank zu schicken, die sich als Prinzessin Shanda ausgab. Man konnte das ruhig tun, weil der Emir Ibrahim in Agypten war und England erst im Spatsommer besuchen wollte. Miss Bulstrode selbst hatte das Madchen vorher noch nie gesehen, alle Verhandlungen waren uber das Londoner Konsulat gegangen.
Die echte Shanda verlie? die Schweiz angeblich in Begleitung eines Vertreters der englischen Gesandtschaft. Tatsachlich war der Gesandtschaft mitgeteilt worden, dass sie von einer der Lehrerinnen der Schweizer Schule nach England gebracht werden wurde. Die wahre Shanda wurde in ein reizendes Schweizer Chalet in den Bergen gebracht, in dem sie noch immer weilt. Ein anderes junges Madchen kam in London an, wo es von einem Vertreter der Gesandtschaft empfangen und nach Meadowbank gebracht wurde. Dieses Madchen war naturlich wesentlich alter als die Prinzessin, aber das wurde nicht weiter auffallen, da Orientalinnen oft alter aussehen, als sie sind. Eine junge franzosische Schauspielerin, die oft Schulmadchenrollen spielt, ubernahm es, als Prinzessin Shanda aufzutreten.
Ich habe mich neulich erkundigt, ob jemandem die Knie der Prinzessin aufgefallen sind«, fuhr Poirot fort. »Knie geben namlich zuverlassigen Aufschluss uber das Alter eines Menschen. Man kann die Knie einer Frau von funfundzwanzig unmoglich mit den Knien einer Funfzehnjahrigen verwechseln. Leider waren sie niemandem aufgefallen.
Der Plan erwies sich allerdings nicht als erfolgreich. Niemand versuchte, sich mit Shanda in Verbindung zu setzen; sie erhielt weder Briefe noch Telefonanrufe. Man begann zu furchten, dass der Emir Ibrahim eher als geplant nach England kommen wurde, denn er ist ein Mann schneller und unvorhergesehener Entschlusse.
Die falsche Shanda war sich daruber klar, dass jederzeit jemand auf der Bildflache erscheinen konnte, der die echte Shanda kannte, ganz besonders nach dem ersten Mord. Daraufhin bereitete sie ihre Entfuhrung vor, indem sie mit Kommissar Kelsey uber diese Moglichkeit sprach. Selbstverstandlich wurde sie niemals wirklich entfuhrt. Sowie sie erfuhr, dass ihr Onkel sie am nachsten Morgen abholen lassen wollte, setzte sie sich telefonisch mit ihren Leuten in Verbindung, und daraufhin wurde sie von einem gro?en Auto abgeholt und ›offiziell‹ entfuhrt. Wie Sie wissen, erschien das Auto des Emirs eine halbe Stunde spater in Meadowbank. Die falsche Shanda tauchte in London unter, da ihre Rolle ausgespielt war. Um das Entfuhrungsmarchen aufrechtzuerhalten, wurde jedoch ein Losegeld verlangt.«
Hercule Poirot machte eine kurze Pause. Dann sagte er: »Mit diesem kleinen Trick beabsichtigte man lediglich unsere Aufmerksamkeit abzulenken, denn die
Poirot war zu hoflich, um festzustellen, dass er allein auf diesen Gedanken gekommen war.
»Wir mussen nun von der Entfuhrung zu einem viel ernsteren Thema ubergehen:
Die falsche Shanda hatte Miss Springer naturlich ermorden konnen, aber weder Miss Vansittart noch Mademoiselle Blanche. Jedoch war es nicht ihre Aufgabe zu morden, sondern lediglich, den Wertgegenstand an sich zu nehmen, falls er ihr gebracht wurde, oder Nachrichten zu empfangen.
Kehren wir zuruck nach Ramat, wo alles begann. In Ramat hatte sich das Gerucht verbreitet, dass Prinz Ali Yusuf diesen Wertgegenstand Bob Rawlinson, seinem Privatpiloten, ubergeben hatte, der ihn nach England bringen sollte. An jenem Tag ging Rawlinson in jenes Hotel in Ramat, wo sich seine Schwester, Mrs Sutcliffe, und ihre Tochter Jennifer aufhielten. Mrs Sutcliffe und Jennifer waren gerade nicht da, aber Bob Rawlinson ging in ihr Zimmer hinauf, wo er sich mindestens zwanzig Minuten aufhielt – reichlich lange unter diesen Umstanden. Er hatte seiner Schwester einen ausfuhrlichen Brief schreiben konnen, aber das tat er nicht. Er hinterlie? nur einen kurzen Gru?, den zu schreiben nur eine Minute gedauert haben konnte.
Der Gedanke lag nahe, dass er wahrend der Zeit, die er im Zimmer seiner Schwester verbrachte, einen gewissen Gegenstand in ihrem Gepack versteckt hatte. Von da an mussen wir zwei verschiedene Spuren verfolgen. Eine oder mehrere Gruppen nahmen an, dass Mrs Sutcliffe diesen Gegenstand nach England gebracht hatte. Daraufhin wurde in ihr Landhaus eingebrochen, und es wurde alles grundlich durchsucht. Das zeigt, dass diese Gruppe nicht wusste,
Aber jemand anderer wusste ganz genau, wo der Gegenstand war, und ich glaube, dass ich Ihnen jetzt unbesorgt mitteilen kann, wo Bob Rawlinson ihn versteckt hatte: namlich im Griff eines Tennisschlagers, den er ausgehohlt hatte und den er danach so geschickt wieder zusammenmontierte, dass nichts zu sehen war.
Der Tennisschlager gehorte seiner Nichte Jennifer. Jemand, der genau wusste, wo der Wertgegenstand war, ging eines Nachts in die Turnhalle, zu der er sich einen Nachschlussel verschafft hatte. Er nahm an, dass um diese Zeit alle schlafen wurden, aber er irrte sich. Miss Springer sah vom Haus aus ein flackerndes Licht in der Turnhalle und beschloss nachzusehen, was da los ist. Sie war eine kraftige, durchtrainierte junge Person, die davon uberzeugt war, allein mit einem Eindringling fertigwerden zu konnen. Die infrage kommende Person war wahrscheinlich gerade damit beschaftigt, die Tennisschlager durchzugehen. Als sie sich von Miss Springer entdeckt und erkannt sah, zogerte sie nicht… Sie erschoss Miss Springer. Danach musste der Morder schnell handeln. Man hatte den Schuss gehort, Leute naherten sich, und der Morder musste um jeden Preis ungesehen aus der Turnhalle kommen. Der Tennisschlager musste fur den Augenblick zuruckgelassen werden…
Nach ein paar Tagen versuchte man es mit einer anderen Methode. Eine fremde Dame, die mit einem amerikanischen Akzent sprach, lauerte Jennifer Sutcliffe auf, als sie vom Tennisplatz kam. Sie erzahlte ihr eine glaubhaft erscheinende Geschichte von einer Verwandten, die ihr einen neuen Tennisschlager schickte. Jennifer schopfte keinen Verdacht und vertauschte ihren alten Tennisschlager freudig mit dem neuen teuren Sportgerat. Allerdings hatte sich einige Tage zuvor etwas ereignet, wovon die Dame mit dem amerikanischen Akzent nichts wusste: Jennifer Sutcliffe und Julia Upjohn hatten namlich ihre Tennisschlager ausgetauscht. Die Fremde erhielt also Julia Upjohns Tennisschlager, auf dessen Griff sich allerdings ein Schild mit Jennifers Namen befand.
Jetzt kommen wir zur zweiten Tragodie. Aus unbekannten Grunden ging Miss Vansittart an dem Tag, an dem Shanda entfuhrt worden war, nachdem alle anderen bereits im Bett waren, mit einer Taschenlampe in die Turnhalle. Jemand, der ihr dorthin gefolgt war, erschlug sie mit einem Gummiknuppel oder mit einem Sandsack, als sie sich gerade uber Shandas Schlie?fach beugte. Auch dieses Verbrechen wurde sofort entdeckt. Miss Chadwick, die das Licht in der Turnhalle gesehen hatte, eilte unverzuglich an den Tatort.
Wieder war die Polizei sofort zur Stelle, und wieder wurde der Morder daran gehindert, die Tennisschlager zu untersuchen. Inzwischen war die intelligente Julia Upjohn zu dem logischen Schluss gekommen, dass der Tennisschlager, den sie besa? und der ursprunglich Jennifer gehort hatte, irgendwie von Bedeutung sein musste. Sie untersuchte ihn auf eigene Faust, und nachdem sich ihre Annahme bestatigt hatte, brachte sie mir den gefundenen Wertgegenstand. Dieser befindet sich jetzt an einem sicheren Ort«, fuhr Hercule Poirot fort, »und somit kommen wir zur dritten Tragodie.
Was Mademoiselle Blanche wusste oder zu wissen glaubte, werden wir nie erfahren. Vielleicht hat sie jemanden gesehen, der in der Nacht, in der Miss Springer ermordet wurde, das Haus verlie?. Wie dem auch sei, die Identitat des Morders war ihr bekannt, aber sie gab ihr Geheimnis nicht preis. Sie traf eine Verabredung mit dem Morder, und sie wurde ermordet.«
Poirot machte eine weitere Pause; dann blickte er sich um.
»So, jetzt wissen Sie, was sich ereignet hat.«
Aller Augen ruhten auf ihm. Die Gesichter, auf denen sich zuerst Interesse, Erstaunen und Erregung gespiegelt hatten, waren jetzt wie eingefroren, fast als furchteten sie, irgendwelche Gefuhle zu zeigen.
Hercule Poirot nickte ihnen zu.
»Ich wei?, wie Ihnen zu Mute ist«, sagte er. »Es betrifft Sie alle mehr, als Sie glaubten, nicht wahr? Deshalb haben Kommissar Kelsey, Adam Goodman und ich Nachforschungen angestellt, denn wir mussen unbedingt feststellen, ob sich – sagen wir – noch immer eine Katze im Taubenschlag befindet. Sie verstehen, was ich meine… Ist hier jemand, der unter einer falschen Flagge segelt?«