hort die gedampften Schreie der Kinder, erspaht dann einen Hauch Tageslicht, weit entfernt. Unter der Plane kriecht sie in Richtung des Lichts, zieht die Schaufel hinter sich her.

Endlich erreicht sie die Kinder, streift mit dem Fu? gegen Sarahs Schulter. »Sarah! Reich mir die Hand! Schnapp dir die Madchen und zieh!«, brullt Lilly.

Auf einmal scheint die Zeit fur Lilly langsamer zu werden – und diverse Ablaufe geschehen zeitgleich. Lilly kommt endlich unter der Plane hervor und wird von dem eisigen Wind begru?t, der ihr um die Nase weht. Sie zieht Sarah mit letzter Kraft nach, und zwei weitere Madchen erscheinen hinter Sarah von unter der Zeltplane. Sie kreischen wie ein Teekessel, den man auf dem Herd vergessen hat.

Lilly springt auf und hilft Sarah und den beiden anderen auf die Beine.

Ein Madchen fehlt – Lydia, die jungere der beiden Zwillinge, auch wenn sie laut Sarah nur eine halbe Stunde spater geboren ist. Lilly drangt die drei weg vom Zeltplatz, ermahnt sie aber, nicht zu weit fortzugehen. Dann dreht sie sich wieder zum Zelt um und sieht etwas, das ihr Herz beinahe still stehen lasst.

Unter dem zusammengesturzten Zeltdach bewegt sich etwas. Lilly lasst die Schaufel fallen und beobachtet das grausige Schauspiel. Beine und Ruckgrat verwandeln sich in Eisblocke. Sie kann nicht mehr atmen, starrt unentwegt auf eine kleine Beule in zwanzig Metern Entfernung. Das ist die kleine Lydia, die versucht, in die Freiheit zu gelangen. Ihre Schreie werden durch das schwere Material gedampft.

Das Schlimmste aber – und es ist genau das, was Lilly Caul erstarren lasst – sind die anderen Beulen, die sich wie Maulwurfe in Richtung des Madchens bewegen.

Auf einmal brennt eine Sicherung in Lillys Kopf durch – die reinigende Kraft der Rage fahrt durch ihren Korper und befreit ihre Sehnen und Knochen.

Ein Adrenalinsto? fahrt durch ihren Korper, bringt sie dazu, wieder unter die Plane zu kriechen. Die Wut verleiht ihr neue Kraft, und sie hebt das schwere Zirkusdach, buckt sich und schreit: »LYDIA! KLEINES! ICH BIN HIER!!! KOMM ZU MIR, MEINE SUSSE!!!«

Lilly kann in der blassen Dunkelheit unter der Plane das kleine, aschblonde Madchen in gut zehn Metern Entfernung erkennen. Sie tritt nach hinten aus, tut ihr Bestes, um unter dem schweren Material vorwartszukommen. Lilly brullt erneut, taucht unter die Plane, krabbelt panisch in ihre Richtung, ergreift sie, bekommt ihren Pullover zu fassen. Lilly zieht, so fest sie kann.

Auf einmal sieht sie einen dreckigen Arm und ein blutloses blaues Gesicht nur wenige Zentimeter hinter der Kleinen. Der Untote greift unbeholfen nach Lydias Hello-Kitty-Turnschuh. Die verwesenden, scharfen Fingernagel vergraben sich in der Sohle der Kinderschuhe, als Lilly das kleine Madchen aus der stinkenden Plane zu sich in die Freiheit zieht.

Lilly und Lydia fallen vor Erschopfung hintenuber, aber egal – das Tageslicht hat sie wieder.

Sie krabbeln noch einen Meter oder zwei, und Lilly umarmt die Kleine erleichtert. Der Larm der noch immer zusammensinkenden Plane und die Schreie im Camp um sie herum werden immer lauter.

Lilly kniet sich hin, winkt die anderen Madchen zu sich. »Okay, jetzt hort genau zu. Wir mussen schnell handeln, sehr schnell. Und zusammenbleiben. Ihr musst genau das tun, was ich euch sage.« Lilly ringt nach Luft und steht dann auf. Sie schnappt sich die Schaufel, dreht sich um und sieht das Chaos, das sich uber den gesamten Campingplatz ausbreitet.

Mehr und mehr Zombies erscheinen im Camp, manche bewegen sich in Gruppen von drei, vier oder funf und grunzen und sabbern vor wildem, wutendem Verlangen.

Inmitten der Schreie und des Aufruhrs scheinen manche Zelte auch von innen zu beben. Bewohner fliehen in jede erdenkliche Himmelsrichtung, starten Autos, andere hauen wild mit Axten um sich, wahrend Zelte und Wascheleinen einsturzen. Die Angreifer drangen sich durch Spalten, zwangen sich durch jede Enge in die Zelte, um nach Uberlebenden zu suchen, die vor Furcht wie gelahmt sind. Eines der kleineren Zelte dreht sich auf die Seite. Ein weiteres Zelt erbebt von dem Fressrausch, der darin stattfindet – durch die lichtdurchlassigen Nylon-Wande kann man die im wilden Todeskampf fuchtelnden Silhouetten und das spritzende Blut sehen.

Lilly blickt um sich, erkennt einen unverstellten Weg zu einer Reihe Autos in circa funfzig Metern Entfernung. Sie dreht sich zu den Kindern: »Ich will, dass ihr mir auf den Fu? folgt … okay? Bleibt mir dicht auf den Fersen und gebt keinen Mucks von euch. Verstanden?«

Sie nicken eifrig, sagen aber kein Wort. Lilly schnappt sie sich und zerrt sie hinter sich her uber den Zeltplatz … und sturzt mitten ins Gemetzel.

Die Uberlebenden dieser unfassbaren Plage haben rasch gelernt, dass Geschwindigkeit der gro?te Vorteil ist, den ein Mensch gegenuber diesen untoten Geschopfen besitzt. Unter den richtigen Voraussetzungen kann ein Mensch selbst die agilsten Zombies mit Leichtigkeit hinter sich lassen. Aber dieser Trumpf verliert anhand einer ganzen Masse von den Kreaturen schnell an Bedeutung. Die Gefahr steigt mit jedem weiteren Zombie exponentiell an … Bis das Opfer von einem sich langsam bewegenden Tsunami verrottender Zahne und schwarzer Krallen umringt ist.

Lilly wei? nichts von dieser Weisheit, aber sie wird ihr schnell klar, als sie mit den Kindern auf das Auto zusturzt, das ihnen am nachsten steht.

Der ramponierte, mit Blut und Gewebe bespritzte Chrysler mit Dachgepacktrager ist keine funfzig Meter entfernt schrag neben der Stra?e im Schatten einer Robinie geparkt. Die Fenster sind hochgekurbelt, aber Lilly hofft, dass sie trotzdem irgendwie hineinkommen, den Wagen vielleicht sogar starten konnen. Die Chancen stehen fifty- fifty, dass die Schlussel stecken. Es war Usus geworden, Autos nicht abzuschlie?en und allzeit startbereit stehen zu lassen, damit man im Fall des Falles rasch fliehen kann.

Jetzt aber wimmelt es nur noch so von Untoten, sie nahern sich aus jeder erdenklichen Himmelsrichtung, und Lilly und die Madchen haben gerade mal zehn Meter hinter sich gebracht, als links und rechts Zombies erscheinen und auf sie zustolpern. »Bleibt schon hinter mir!«, brullt Lilly die Kleinen an und holt dann mit der Schaufel aus.

Das rostige Metall trifft auf die verwesende Wange einer Hausfrau in einem blutbesudelten Kittel, so dass diese zur Seite stolpert und gegen zwei weitere wandelnde Leichen in schmierigen Latzhosen kracht, die wie Dominosteine zu Boden gehen. Die Frau aber bleibt aufrecht, taumelt zwar etwas nach dem Hieb, fangt sich dann und nimmt erneut die Verfolgung auf.

Lilly und die Madchen schaffen weitere funfzehn Meter, als eine weitere Horde Zombies ihnen den Weg versperrt. Die Schaufel singt durch die Luft, trifft auf den Nasenrucken eines jungeren Untoten und zerfetzt ihn. Ein weiterer Schlag landet auf dem Unterkiefer einer toten Frau in einem dreckigen Nerzmantel und schickt sie zu Boden. Dann wieder ausholen, wieder zuschlagen, so dass eine alte Schrulle, aus deren offenem Krankenhauskittel bereits die Gedarme quellen, das Gleichgewicht verliert und ruckwarts stolpert.

Endlich erreichen sie den Chrysler. Lilly versucht, die Beifahrertur zu offnen. Gott sei Dank ist sie nicht abgeschlossen! Rasch, aber doch vorsichtig drangt sie Ruthie auf den Vordersitz. Die Zombies kommen immer naher … Lilly erspaht den Schlusselbund, der am Zundschloss baumelt. Noch ein Gluckstreffer. »Bleib im Auto, Liebes«, befiehlt Lilly dem Kind und schlie?t dann die Tur.

Sarah will gerade die Hintertur offnen, um die beiden Zwillinge ins Auto zu verfrachten.

»SARAH! PASS AUF!«

Lillys wilder Schrei schneidet durch das unheimliche Getose von Stohnen, das die Luft erfullt, als mindestens ein Dutzend Zombies auf Sarah zustolpern. Die Teenagerin rei?t die Tur auf, hat aber nicht mehr genug Zeit, um die Zwillinge in das Auto zu stecken. Die kleinere der beiden rutscht auf dem Gras aus und geht zu Boden.

Sarah kreischt verzweifelt auf, und Lilly versucht, sich zwischen die Angreifer und das Madchen zu stellen, die Schaufel in die Hohe gerissen. Sie schafft es, einen weiteren Kopf zu zertrummern – den riesigen Schadel einer verfaulenden schwarzen Leiche in einer Jagerjacke –, so dass der Angreifer ruckwarts ins Gebusch taumelt. Aber jetzt sind sie umzingelt, und immer mehr und mehr Zombies wanken unstet aus allen Richtungen auf sie zu, um endlich wieder Frischfleisch zwischen die verrotteten Zahne zu kriegen.

In dem darauffolgenden Chaos schaffen die Zwillinge es mit Ach und Krach, ins Auto zu fluchten und die Tur hinter sich zu schlie?en.

In einem Anfall von Wahnsinn, die Augen glanzend vor Wut, dreht Sarah sich um, sto?t einen markerschutternden Schrei aus und drangt einen langsam auf sie zustolpernden Untoten aus dem Weg. Sie erkennt eine Lucke, zwangt sich hindurch und fluchtet.

Lilly sieht im Augenwinkel, wie die Teenagerin in Richtung Zirkuszelt rennt. »SARAH! NEIN!!!«

Sarah hat die Halfte des Weges zuruckgelegt, ehe eine undurchdringliche Wand von Zombies sich vor sie

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