Jetzt, inmitten dieser Welt des alltaglichen Horrors und unerwiderter Liebe, will Josh seiner Lilly etwas ganz Besonderes kochen.

Sie haben sich stets mit Sachen wie Dosenerbsen oder Formfleisch uber Wasser gehalten – oder Musli mit Trockenmilch. Aber nichts davon ware geeignet fur ein romantisches Abendessen und konnte als Ausdruck seiner Liebe fur sie dienen. Schon vor Wochen ist alles Frischfleisch in der Gegend den Maden zum Opfer gefallen, aber Josh erhofft sich, einen Hasen oder vielleicht sogar ein Wildschwein im Wald zu erlegen. Dann konnte er ein Ragout machen oder eine nette Fleischpfanne mit wilden Zwiebeln und Rosmarin. Vielleicht sogar mit etwas von dem Pinot Noir, den Bob Stookey aus dem verlassenen Lebensmittelgeschaft hat mitgehen lassen. Dazu gabe es mit Krautern gewurzte Polenta, und obendrauf wurde er sich noch die eine oder andere Finesse einfallen lassen. Einige Frauen der Zeltstadt machten Kerzen aus Talg, den sie in einem Futterhauschen fur Vogel gefunden hatten. Das ware auch keine schlechte Idee: Kerzen, Wein, vielleicht eine pochierte Birne aus dem Obsthain als Dessert … Schon ware Joshs Welt wieder eine ganz andere. Die Obsthaine bersten formlich vor uberreifem Obst. Vielleicht ein Apfel- Chutney zum Schwein. Genau. So und nicht anders. Dann konnte Josh seiner Lilly ein ordentliches Abendessen auftischen und ihr sagen, was er fur sie fuhlt, dass er standig bei ihr sein, sie beschutzen, ihr Mann sein will.

»Ich wei? schon, was du damit sagen willst«, verkundet er schlie?lich und klopft die Asche von der Zigarre. »Aber ich will dir zwei Sachen verraten. Erstens: Du musst dich nicht fur das schamen, was du getan hast.«

Sie senkt den Blick. »Du meinst, einfach wie ein Feigling davonrennen, wenn man angegriffen wird?«

»Hor mir zu. Wenn ich in deiner Lage gewesen ware, hatte ich genau das Gleiche getan.«

»Das ist doch Bullshit, Josh. Ich habe doch nicht einmal …«, protestiert Lilly.

»Jetzt lass mich ausreden.« Er macht die Zigarre aus. »Und zweitens: Ich wollte, dass du fortrennst. Du hast mich wohl nicht gehort, aber ich habe dich angeschrien, dass du verdammt noch mal abhauen sollst. Alles andere ware doch Schwachsinn gewesen – nur ein Hammer, aber zwei von uns inmitten einer Schar Zombies. Verstehst du, was ich dir sage? Du musst dich nicht dafur schamen, was du getan hast.«

Lilly holt tief Luft, blickt noch immer zu Boden. Eine Trane kullert ihr die Wange hinab. »Josh, das ist wirklich nett von dir, aber …«

»Wir sind ein Team, okay?« Er beugt sich vor, blickt in ihr wunderhubsches Gesicht. »Okay?«

Sie nickt.

»Wir sind das dynamische Duo, okay?«

Wieder ein Nicken. »Okay.«

»Eine gut geolte Maschine.«

»Yeah.« Sie wischt sich das Gesicht mit dem Handrucken. »Yeah, okay.«

»Dann wollen wir mal so weitermachen.« Er wirft ihr sein feuchtes Tuch zu. »Einverstanden?«

Es landet in ihrem Scho?, und endlich hebt sie den Kopf und schaut ihn an, lachelt sogar. »Verdammt, Josh. Das Ding ist ja widerlich!«

Es vergehen drei Tage, ohne dass es einen weiteren erwahnenswerten Angriff der Zombies gibt; lediglich einige kleine Vorfalle storen die Ruhe des Camps. An einem Morgen finden ein paar Jungen die noch zuckenden Uberreste eines Untoten in einem Stra?engraben. Der graue Schadel voller Maden starrt in immerwahrenden Qualen zu den Baumwipfeln hinauf. Uberhaupt hat es den Anschein, als ob der Korper nahere Bekanntschaft mit einem Mahdrescher gemacht hat, und wo einmal Gliedma?en waren, ragen jetzt Stummel aus Schultern und Becken hervor. Niemand wei?, wie der Torso dahin gekommen ist. Chad erlost die Kreatur mit einem einzigen Hieb einer Hacke durch den verrottenden Nasenknochen. Ein anderes Mal merkt ein bereits betagter Camper, dass er gerade auf einen Zombie kackt, und kriegt beinahe einen Herzinfarkt. Irgendwie hat der Untote es geschafft, in der Latrine stecken zu bleiben. Aber es dauert nicht lange, ehe einer der jungeren Manner ihn mithilfe einer Zeltstange ins Jenseits befordert.

Ansonsten aber ist und bleibt alles ruhig, und das Zeltcamp erlebt eine ziemlich ruhige Wochenmitte.

Die Atempause erlaubt den Bewohnern, sich zu organisieren, die letzten Unterkunfte aufzubauen, Vorrate zu verstauen, die Umgebung zu erkunden, eine gewisse Routine zu entwickeln, Koalitionen, Cliquen und Hierarchien zu formen. Die Familien, insgesamt zehn an der Zahl, scheinen mehr Sagen zu haben als die Einzelganger. Das hat wohl mit dem Risiko der gro?eren Verantwortung bezuglich der Kinder, vielleicht sogar mit einer Art Symbolik zu tun. Es konnte aber auch lediglich die Tatsache eine Rolle spielen, dass sie die genetischen Samen der Zukunft tragen. Ganz gleich, wie der Grund auch lauten mag, Familien haben Vorrang.

Aus den Patriarchen der Familien erhebt sich de facto Chad Bingham als Anfuhrer. Jeden Morgen halt er kommunalen Familienrat im gro?en Zirkuszelt, verteilt Aufgaben mit der lockeren Lassigkeit eines Mafioso-Bosses. Taglich stolziert er ums Camp, eine Beule in der Wange von seinem Kautabak, in der Hand die Pistole, so dass auch jeder sie sieht. Lilly macht sich Sorgen, dass dieser Ersatz-Anfuhrer seine Probleme mit dem immer naher kommenden Winter haben wird. Au?erdem gibt es da noch die unheimlichen Gerausche, die immer wieder aus Richtung des Waldes an ihre Ohren dringen. Noch dazu hat er ein Auge auf Megan geworfen, die bereits mit einem anderen Familienvater zusammengezogen ist und dessen Frau quasi aus dem Zelt geschmissen hat. Lilly ist sich nicht sicher, ob der Anschein von Ordnung nicht eher einem Pulverfass gleicht.

Lillys und Joshs Zelte stehen keine zehn Meter voneinander entfernt, und jeden Morgen wacht sie auf, offnet den Rei?verschluss, trinkt ihren entkoffeinierten Instant-Kaffee, blickt auf Joshs Zelt und versucht, mit ihren Gefuhlen fur den gro?en Mann ins Reine zu kommen. Ihre Feigheit macht ihr noch immer zu schaffen, verfolgt sie, verseucht ihre Traume. Immer wieder taucht die mit Blut besudelte Bustur in Atlanta vor ihrem inneren Auge im Schlaf auf. Aber jetzt ist es nicht mehr ihr Vater, der drau?en langsam zu Boden gezerrt wird, sondern Josh.

Seine anklagenden Augen starren sie an, bis sie in kalten Schwei? gebadet aufschreckt.

Wahrend einer dieser mit Albtraumen geplagten Nachte, in denen sie so oft wach liegt – eingepackt in ihren verschimmelten Schlafsack im Zelt, das sie auf einem verlassenen Zeltplatz gefunden hatte und das nach Rauch, getrocknetem Sperma und fahlem Bier stank –, vernimmt sie auf einmal merkwurdige Gerausche. Undeutlich und weit entfernt, aus der fernen Finsternis noch hinter dem Wald, mischen sich merkwurdige Tone von unbeholfenem Herumstolpern unter das ubliche Rascheln von Laub und das Zirpen der Zikaden. Es erinnert Lilly an alte Schuhe, die in einem Trockner hin und her poltern.

Vor ihrem inneren Auge, das vor Terror bereits benebelt ist, beschworen die Laute furchterliche Bilder von forensischen Schwarz-Wei?-Fotos, verstummelten Leichen, bereits schwarz gefarbt von der Totenstarre, die sich aber trotzdem noch bewegen, von toten Gesichtern, die sich nach ihr umdrehen und sie gierig anstarren, und stummen Snuff-Filmen von tanzenden und wie wild zuckenden Kadavern hervor. Jede Nacht, die sie so schlaflos verbringt, grubelt Lilly uber die Gerausche nach, was sie bedeuten konnen, was da drau?en passiert und wann wohl der nachste Angriff kommt.

Einige der besonneneren Camper haben bereits ihre eigenen Theorien aufgestellt.

Ein junger Mann aus Athens namens Harlan Steagal, ein nerdiger Student mit dicker Hornbrille, halt allabendliche Philosophie-Runden am Lagerfeuer. Zugedrohnt mit Pseudoephedrin, Pulverkaffee und schlechtem Weed sucht ein halbes Dutzend Sonderlinge und Au?enseiter nach Antworten auf die Fragen, die jeden beschaftigen: Woher kommt die Plage? Welche Zukunft hat die Menschheit? Und dringendste von allen: Inwiefern sind die Zombies berechenbar?

Die Denkfabrik ist sich in einem einig, namlich, dass es zwei Moglichkeiten gibt: (a) Es handelt sich lediglich um wabblige Nervenenden mit Zahnen, die gegeneinander stolpern und einfach »ausgeschaltet« werden mussen, oder (b) sie haben mit komplexeren Vorgangen zu tun, hinter die noch kein Uberlebender gekommen ist. Die letztere Moglichkeit wirft die Frage auf, wie die Plage von den Toten an die Lebenden ubertragen wird – ist es der Biss der Untoten? Au?erdem, wie steht es um das Hordenverhalten und mogliche Konditionierungs- oder Lernkurven und noch umfassendere genetische Imperative?

In anderen Worten, und wie Harlan Steagal es auszudrucken pflegt: »Sind diese bekackten, untoten Dinger irgendeine abgefuckte, trippige Evolutionssache?«

Drei Nachte lang uberhort Lilly die bis tief in die Nacht andauernden Unterhaltungen, achtet aber kaum darauf. Sie hat keine Zeit fur Mutma?ungen oder blodsinnige Analysen. Je langer die Zeltstadt nicht angegriffen wird, desto verletzlicher fuhlt sich Lilly – trotz samtlicher Vorsichtsma?nahmen. Jetzt, da die meisten Zelte und Unterkunfte stehen und die Autos eine Barriere um den gesamten Platz bilden, ist es ruhiger geworden. Die Leute leben sich ein, kummern sich hauptsachlich um sich selbst, und die wenigen Lagerfeuer oder Kochstellen werden rasch wieder ausgemacht, damit man nicht unnotig ungebetene Gaste mit dem Rauch anlockt.

Und trotzdem wird Lilly von Nacht zu Nacht nervoser. Es kommt ihr vor, als ob eine Kaltfront auf sie zuzieht. Der wolkenfreie, kristallklare Nachthimmel macht jeden Morgen Frost Platz, der sich uber den Boden, die Autos und

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