ausholen, zuschlagen, herausziehen, erneut ausholen, zuschlagen, WUMM!

Lilly geht zu ihm hin, rauspert sich. »Das machst du ganz falsch«, belehrt sie ihn mit zittriger Stimme und versucht, so locker wie moglich zu klingen.

Josh halt inne, die Axt mitten in der Luft. Er dreht sich zu ihr um und blickt sie an. Sein markantes Gesicht ist mit Schwei?perlen ubersat. Einen Augenblick lang macht er einen zutiefst schockierten Eindruck, dann aber kann Lilly in seinen Augen seine Uberraschung ablesen. »Wei?t du, ich habe mir schon gedacht, dass irgendetwas nicht ganz stimmt«, antwortet er schlie?lich. »Ich habe nur hundert Scheite alle Viertelstunde geschafft.«

»Du haltst sie falsch.«

Josh grinst. »Habe ich mir es doch gedacht. Irgend so etwas musste es ja sein.«

»Nimm sie am Ende, nicht so hoch am Kopf. Lass das Werkzeug die Arbeit fur dich tun.«

»Gute Idee.«

»Soll ich es dir mal zeigen?«

Josh tritt beiseite und uberlasst Lilly die Axt.

»So musst du es machen!« Lilly versucht, so charmant, geistreich und mutig wie nur moglich zu sein, doch sie zittert so erbarmlich, dass die Axt in der Luft vibriert, als sie versucht, sie emporzuheben. Sie holt aus, und die Schneide trifft seitlich auf das Holz, ehe sie im Erdreich verschwindet. Lilly rei?t daran, um sie wieder zu befreien.

»Ah, das ist naturlich viel besser.« Josh staunt und nickt amusiert. Er bemerkt ihren Zitteranfall, und sein Grinsen verschwindet. Eilig stellt er sich neben sie und legt eine riesige Hand neben die ihre auf den Stiel der Axt. Sie halt sich daran fest, als ob ihr Leben daran hangt, und versucht weiterhin, das Werkzeug aus dem Boden zu ziehen. Seine Beruhrung ist sowohl zartlich als auch besanftigend. »Lilly, alles wird gut«, versucht er, sie zu beschwichtigen.

Sie lasst den Griff los und starrt ihn an. Ihr Herz fangt heftig zu pochen an, als sie seinen Blick erwidert. Sie kriegt am ganzen Korper Gansehaut. Sie will ihre Gefuhle in Worte kleiden, wendet sich aber schlie?lich voller Scham ab. Endlich findet sie ihre Stimme wieder: »Josh, konnen wir irgendwo reden? Unter vier Augen?«

»Wie machst du das?«

Lilly sitzt im Schneidersitz auf dem Boden unter den kolossalen Asten der Eichen um sie herum, die ihre Schatten auf den weichen Teppich herabgefallenen Laubs werfen. Sie lehnt sich gegen einen gewaltigen Stamm und starrt auf die im Wind hin und her schwingenden Baumwipfel.

Josh erkennt den Blick in ihren Augen, die ins Nichts gerichtet sind. Er kennt ihn von Kriegsveteranen und Personal der Notaufnahme – der Blick immerwahrender Erschopfung, unfokussiert, kaputt, aufgerieben. Josh verspurt das Verlangen, ihren zierlichen, schlanken Korper in die Arme zu nehmen und ihr durch die Haare zu streichen, um alles besser zu machen. Aber irgendwie spurt er, wei? er, dass es jetzt nicht an der Zeit ist. Jetzt muss er zuhoren.

»Was denn?«, erkundigt er sich. Josh sitzt ihr gegenuber, ebenfalls im Schneidersitz, und wischt sich mit einem Tuch den Schwei? aus dem Nacken. Vor ihm liegt eine Schachtel Zigarren. Es sind seine letzten. Er zogert, will sie nicht anruhren. Da schwingt ein Touch Aberglaube mit, dass es sein Schicksal besiegeln wurde.

Lilly hebt den Kopf und blickt ihn an. »Wenn die Zombies angreifen … Wie kommst du damit klar, ohne dir … Ohne dir in die Hose zu machen?«

Josh kichert erschopft. »Sobald du wei?t, wie das geht, musst du es mir beibringen.«

Sie starrt ihn unglaubig an. »Willst du mich etwa auf den Arm nehmen?«

»Was?«

»Willst du mir etwa erzahlen, dass du Angst gehabt hast?«

»Klar doch.«

»Jetzt langt’s aber.« Sie neigt den Kopf zur Seite. »Du?«

»Ich will dir mal etwas sagen, Lilly.« Josh nimmt die Schachtel, schuttelt sie, nimmt sich eine Zigarre heraus, steckt sie mit seinem Zippo an und zieht genusslich daran. »Nur Dumme oder Schwachsinnige haben dieser Tage keine Angst. Wenn man keine Angst hat, passt man nicht auf.«

Sie blickt auf die Reihe Zelte entlang des Zauns und stohnt gequalt auf. Ihr Gesicht ist abgeharmt, fahl. Sie macht den Eindruck, als ob sie uber etwas nachdenkt, versucht, es in Worte zu kleiden, aber der Gedanke scheint sich schlichtweg zu weigern, in den Rahmen ihres Wortschatzes gezwangt zu werden. Schlie?lich: »Das macht mir schon langer zu schaffen. Ich bin nicht … Ich bin nicht stolz darauf. Im Gegensatz, es versperrt mir einfach so viel.«

Jetzt ist es an Josh, sie anzustarren: »Was denn?«

»Der Feigling-Faktor.«

»Lilly …«

»Nein. Hor mir zu. Das muss raus.« Sie weigert sich, seinem Blick zu begegnen. Die Scham brennt ihr in den Augen. »Ehe das alles angefangen hat, dieser Ausbruch … war es … es war einfach nur nervig. Ich habe mir selbst den Weg versperrt, einige Sachen nicht gemacht, weil ich so ein Schisser bin. Aber jetzt … Jetzt geht es um etwas … Ich wei? auch nicht, jemand konnte wegen mir sterben.« Dann schafft sie es endlich, dem gro?en Mann in die Augen zu schauen. »Vielleicht sogar jemand, den ich lieb gewonnen habe.«

Josh wei? genau, wovon sie spricht, und es kommt ihm vor, als ob sich eine Hand um sein Herz legt und zudruckt. Von dem Augenblick an, als er Lilly Caul das erste Mal zu Gesicht bekommen hat, verspurt er ein Gefuhl, das er seinerzeit als Teenager in Greenville einmal erlebt hat. Es ist wie eine begeisterte Faszination. Er kommt sich vor wie ein Junge, der sich von dem Anblick ihres weiblichen Nackens nicht mehr losrei?en kann, der vom Geruch der Haare, den Sommersprossen auf ihrem Nasenrucken verzaubert ist. Ja, Josh Lee Hamilton hat es erwischt. Aber er darf es nicht zulassen, dass er diese Beziehung auch noch in den Sand setzt – wie er es mit so vielen vor Lilly gemacht hat. Aber das ist vor dem Ausbruch gewesen, ehe die Welt die Hoffnung verloren hat.

In Greenville hatte Josh sich mit beinahe beschamender Regelma?igkeit verguckt und es immer wieder geschafft, alles zu verderben, indem er viel zu viel zu schnell haben wollte. Er benahm sich stets wie ein Welpe, der den Frauen zu Fu?en lag.

Aber nicht diesmal. Diesmal wurde Josh die Sache anders angehen … Anders und cleverer. Diesmal wurde er einen Schritt nach dem anderen tun. Vielleicht ist er ja ein gro?er, alter Trottel, ein Hinterwaldler aus South Carolina, aber dumm ist er nicht. Nein, Josh Lee Hamilton kann von seinen Fehlern lernen.

Er war schon immer ein Einzelganger gewesen, schon als er in den Siebzigerjahren in South Carolina aufwuchs, einem South Carolina, das noch immer in den rassistischen Fangen von Jim Crow stecken geblieben war und vergeblich versuchte, das Schulwesen zu integrieren und im zwanzigsten Jahrhundert anzukommen. Zusammen mit seiner Mutter und seinen vier Schwestern zog er von einem maroden Sozialbau zum anderen. Josh benutzte seine gottgegebene Gro?e und Kraft, um American Football zu spielen, schaffte es ins Team der Mallard Creek Highschool und erhoffte sich, eines Tages ein Stipendium an einem College zu ergattern. Aber er lie? eine Zutat vermissen, die man als Spieler unbedingt brauchte, um die akademische und soziookonomische Leiter emporzuklettern: pure Aggression.

Josh Lee Hamilton war schon immer friedfertig gewesen. Das ging sogar so weit, dass man es ihm als Fehler ankreiden konnte. Erwachsene sprach er stets mit einem »Yessir« an. Er hatte einfach keinen Mumm. Und genau deshalb ging es dann Mitte der Achtzigerjahre mit seiner American-Football-Karriere den Bach hinunter. Das war zur gleichen Zeit, als seine Mutter, Raylene, erkrankte. Die Arzte nannten es Lupus erythematosus. Es war nicht todlich, aber es glich einer lebenslangen Haft: Ihre Tage waren mit chronischem Schmerz erfullt, standig hatte sie wunde Stellen auf der Haut und Lahmungsanfalle. Josh machte es sich zur Aufgabe, auf seine Mutter aufzupassen, sich um sie zu kummern, wahrend seine Schwestern Versager heirateten und Versager-Jobs Hunderte von Kilometern weit weg annahmen. Josh kochte, machte sauber und pflegte seine Mutter so gut, dass er nach ein paar Jahren ein guter Koch geworden war und nebenher einen Job in einem Restaurant annahm.

Er hatte eine Begabung fur alles Kulinarische, insbesondere Fleisch, und es dauerte nicht lange, ehe er sich durch samtliche Steakhouses in ganz South Carolina und Georgia hocharbeitete. Anfang des neuen Millenniums war er bereits einer der hei? begehrtesten Chefkoche im gesamten Sudosten und beaufsichtigte gro?e Teams von Souschefs, bekochte riesige Veranstaltungen und schmuckte Magazine wie Atlanta Homes and Lifestyles mit seinem Antlitz. Und die ganze Zeit uber herrschte er gutig und war stets freundlich – eine Seltenheit in der harten Welt der Restaurantkuchen-Szene.

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