»Lass mich uberlegen … Heute gibt es ein Gourmet-Drei-Gange-Menu, kleine Schwester.« Bob neigt den tief zerfurchten Kopf zu den drei Jugendlichen hinten auf dem Mahdrescher. »Haben einen verlassenen Laden gefunden. Lediglich zwei oder drei Zombies, die uns das Leben schwermachen wollten … Sind rein und raus wie Jager auf der Pirsch.«

»Dann fang mal an zu erzahlen.«

»Lass mich uberlegen …« Bob legt den Leerlauf ein und schaltet dann den Motor aus. Mit einer Hautfarbe wie gebeiztes Kuhleder und rot umrandeten Augen scheint Bob Stookey einer der letzten Menschen der neuen Sudstaaten zu sein, die noch Pomade benutzen, um ihre Haare aus ihrem wettergegerbten Gesicht zu kammen. »Es gibt Holz, Schlafsacke, Werkzeuge, Obst in Dosen, Laternen, Musli, wetterfeste Radios, Schaufeln, Holzkohle – und was noch? Ach ja, einen Haufen Topfe und Pfannen, ein paar Tomatenpflanzen – sogar mit der einen oder anderen halbreifen Tomate dran –, ein paar Flaschen Butan, funfzig Liter Milch, die erst vor zwei Wochen abgelaufen ist, Seife, Brennpaste, Waschseife, Schokoladenriegel, Toilettenpapier, ein paar Terrakotta-Igel, in denen Kresse wachst, ein Buch uber Bio-Landwirtschaft, einen singenden Fisch fur mein Zelt und Weihnachtsmanner und Osterhasen im Doppelpack.«

»Bob, Bob, Bob … Keine AK-47? Kein Dynamit?«

»Ach, hab ’was viel Besseres als das, du Neunmalklug.« Bob beugt sich zu einer Aprikosenschachtel auf dem Sitz neben ihm hinunter, ergreift sie und reicht sie Lilly durch das Fenster. »Sei ein Schatz und stell die bitte in mein Zelt, wahrend ich den drei Weihnachtsmannern hier mit dem schweren Zeug helfe.«

»Was hast du denn da?«, will Lilly wissen und beaugt die Kiste voller Plastikflaschchen.

»Zeug fur meinen Arzneischrank«, antwortet Bob und steigt aus der Fahrerkabine. »Und das will ich sicher verstaut wissen.«

Lilly entdeckt zwischen den vielen Arzneimitteln auch ein halbes Dutzend Flaschen Whiskey. Sie wirft Bob einen fragenden Blick zu: »Arzneimittel?«

Er lachelt zuruck. »Mir geht es ab und zu nicht so gut.«

»Wird schon stimmen«, sagt Lilly. Sie wei?, dass Bob ein unverbesserlicher Saufer ist – und naturlich auch, dass er ein extrem netter, umganglicher und manchmal auch etwas verlorener Mensch ist. Nicht nur das, er war Sanitater bei der Armee, was ihn zufalligerweise auch zum einzigen Menschen im ganzen Camp macht, der uber eine Art medizinische Ausbildung verfugt.

Sie hatten sich kennengelernt, als Megan und Lilly noch allein unterwegs gewesen waren. Damals hatte er ihnen aus der Patsche geholfen, indem er ihnen einen Haufen Zombies an einem Rastplatz vom Hals schaffte. Zu der Zeit war er noch bemuht, sein Alkoholproblem zu vertuschen. Seitdem sich aber die Gruppe von Uberlebenden hier vor funf Tagen niedergelassen hat, war es Lilly gewesen, die ihm jede Nacht dabei half, heil zuruck in sein Zelt zu kommen, ohne dass man ihn ausraubte – und das war in einer solch gro?en Gruppe von Menschen, die unter einer derartigen Anspannung zusammenhausen mussten, eine echte Herausforderung. Sie mochte Bob, und es machte ihr nichts aus, auf ihn genauso wie auf die Kleinen aufzupassen. Aber es bescherte ihr einen zusatzlichen Stressfaktor, den sie so sehr brauchte wie einen Kropf am Hals.

In diesem Augenblick aber ist ihr klar, dass er noch etwas von ihr braucht. Sie merkt es an der Art, wie er sich den Mund mit dem Armel abwischt.

»Lilly, es gibt da noch etwas …« Er halt inne, schluckt verlegen.

Sie stohnt. »Immer heraus damit, Bob.«

»Es geht mich ja nichts an … Okay? Aber ich will nur damit sagen, dass … Ach, verdammt.« Er holt tief Luft. »Josh Lee ist ein guter Mann. Ich besuche ihn ab und zu.«

»Und?«

»Das war es schon.«

»Nun sag schon!«

»Es ist nur … Pass auf … Es geht ihm gerade nicht allzu blendend, verstehst du? Er glaubt, dass du sauer auf ihn bist.«

»Er glaubt was

»Er glaubt, dass du aus irgendeinem Grund eingeschnappt bist, und er hat keine Ahnung, warum.«

»Was hat er denn gesagt?«

Bob zuckt die Achseln. »Geht mich einen feuchten Kehricht an. Wir reden doch nur uber … Was wei? ich, Lilly. Er wunscht sich nur, dass du ihn nicht ignorierst.«

»Tue ich doch gar nicht.«

Bob wirft ihr einen fragenden Blick zu. »Tust du nicht?«

»Bob, wenn ich es dir sage …«

»Okay, pass auf.« Bob winkt nervos mit der Hand ab. »Ich will dir ja nicht sagen, was du zu tun und zu lassen hast. Ich finde nur, dass zwei Leute wie ihr, zwei gute Leute … Ach, es ist einfach eine Schande. Und das zu diesen harten Zeiten …« Seine Stimme flaut ab.

Lilly verspurt, wie sie ein wenig versohnlicher wird. »Ich wei? schon, was du damit sagen willst, Bob.«

Sie senkt den Blick zu Boden.

Bob schurzt die Lippen und setzt erneut zum Reden an. »Ich habe ihn heute Morgen gesehen, beim Brennholz. Er hat genugend Holz gemacht, als ob es fur die nachsten dreieinhalb Winter halten musste.«

Es sind nur hundert Meter vom Ladeplatz zum Holzlager, aber Lilly kommt es so vor, als ob die Entfernung schier unendlich gro? sei.

Sie geht langsam, den Kopf gesenkt, die Hande in den Hosentaschen, damit man nicht sieht, wie sehr sie zittert. Auf ihrem Weg muss sie durch eine Gruppe Frauen, die Kleider in Koffer packen, vorbei am Zirkuszelt, voruber an einer Schar Jungen, die ein Skateboard reparieren, und macht schlie?lich einen gro?en Bogen um ein paar Manner, die auf dem Boden liegende Waffen inspizieren.

Als sie an ihnen vorbeigeht – unter ihnen Chad Bingham, der die anderen wie ein Redneck-Despot anfahrt –, wirft Lilly einen Blick auf die verschiedenen Pistolen. Es sind elf an der Zahl, alles verschiedene Kaliber, Hersteller und Modelle. Sie sind fein sauberlich wie in einer Schublade aufgereiht. Die beiden gro?kalibrigen Gewehre aus dem Kmart liegen daneben. Nur elf Pistolen, die Gewehre und kaum Munition – das ist alles, was den Siedlern zur Verfugung steht. Welch ein dunner Schutzschild, der sie von einer Katastrophe bewahren soll.

Lilly kriegt eine Gansehaut im Nacken, als sie daran vorbeigeht. Die Angst brennt ihr ein Loch in den Bauch. Sie zittert mehr und mehr, und es kommt ihr vor, als hatte sie hohes Fieber. Lilly Caul hat schon immer gezittert. Sie kann sich noch gut daran erinnern, als sie eine Prasentation vor dem Aufnahmeausschuss des Georgia Institute of Technology halten musste. Sie hatte samtlichen Notizen auf Karteikarten geschrieben und uber Wochen hinweg geubt. Aber als sie in dem muffigen Sitzungszimmer, das einen Blick auf die North Avenue gewahrte, vor den Lehrstuhlinhabern aufstand, begann sie derart zu zittern und zu beben, dass ihr samtliche Karteikarten aus der Hand auf den Boden glitten und sie kein einziges Wort herausbrachte.

Und genau dieselbe Anspannung verspurt sie jetzt – nur tausendmal schlimmer. Dabei geht sie doch nur zum Zaun an der westlichen Grenze des Camps. Sie kann das Zittern in ihrem Gesicht spuren, ihre Hande beben wie wahnsinnig, und es kommt ihr so vor, als ob es beinahe ihren ganzen Korper lahmt. Die Arzte in Marietta hatten einen Fachausdruck fur derartige Symptome: »chronische Angststorungen«.

Seit Ausbruch der Plage hat sie derartige Lahmungserscheinungen stets unmittelbar nach den Attacken der Untoten durchmachen mussen. Zitteranfalle, die mehrere Stunden dauerten. Dieser aber schurft tiefer. Die Angst, die sie jetzt verspurt, stammt aus einer ihr unbekannten Quelle. Sie zieht sich zuruck, wendet sich ihrer eigenen, verwundeten Seele zu, die durch die bodenlose Trauer uber ihren Vater nur noch verstorter ist.

Der Klang einer Axt, die auf Holz trifft, rei?t sie aus ihren Tagtraumen.

Eine Gruppe Manner schart sich um das Brennholz. Der Wind wirbelt etwas Laub nahe der Baumgrenze auf. Die Luft duftet nach nasser Erde und Kiefernnadeln. Schatten tanzen hinter dem Blattwerk und stacheln Lillys Furcht nur noch weiter an. Sie erinnert sich daran, wie ein Zombie sie in der Nahe von Macon vor drei Wochen beinahe erwischt hatte. Er hatte hinter einem Mullcontainer gelauert und ist dann auf sie gesprungen. Jetzt sehen die Schatten im Wald genauso aus wie die Gasse, in der sie damals gestanden hatte – verfault, voller Gefahr und nach Verwesung und grasslichen Wundertaten stinkend: die Toten, die wieder zum Leben erweckt werden.

Erneut trifft eine Axt auf Holz. Lilly schreckt auf und wendet sich zum Holzhaufen.

Josh steht mit hochgerollten Armeln da, kehrt Lilly den Rucken zu. Ein langlicher Schwei?fleck breitet sich zwischen seinen machtigen Schulterblattern aus und rinnt sein Flanellhemd hinunter. Seine Muskeln zeichnen sich gegen das Material ab, die Nackenfalten pulsieren, wahrend er mit einem steten Rhythmus seine Arbeit verrichtet:

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