Kopfen. Aber er wei? genau, dass er sie weiter anstarren muss, bis all seine Sinne taub sind. Er muss stark sein.

Er muss darauf vorbereitet sein. Auf das, was kommt.

Funfzehn

Im Westen, innerhalb der Sicherheitszone, in einer Wohnung im ersten Stock nahe der Post hort Bob Stookey ein Klopfen. Er setzt sich auf, lehnt sich gegen das Kopfende aus Messing und legt das Taschenbuch mit Eselsohren beiseite – einen Louis-L’Amour-Western namens Die Geachteten von Mesquite. Dann steigt er in seine Hose, hat aber Probleme mit dem Rei?verschluss und fummelt wild in der Gegend herum. Zuletzt schlupft er in seine abgewetzten Pantoffeln.

Weil er sich nach dem Schauspiel besinnungslos vollgesoffen hat, fuhlt er sich immer noch sehr labil und nicht ganz bei Sinnen. Ein Schwindelgefuhl zerrt an seinem Bewusstsein, und sein Magen macht Purzelbaume, als er aus dem Schlafzimmer schlurft und durch die Wohnung zum Nebeneingang geht, der in einem holzernen Treppenabsatz endet. Bob rulpst und schluckt den Gallensaft hinunter, als er die Tur offnet.

»Bob … Etwas Furchtbares ist gerade … O mein Gott, Bob«, schluchzt Megan Lafferty aus den Schatten des Treppenhauses. Ihr Gesicht ist uber und uber nass vor Tranen, ihre Augen liegen tief in den Hohlen und sind stark gerotet. Sie sieht so aus, als ob sie im nachsten Augenblick zerbirst wie eine Glasfigur. Sie zittert in der Kalte und halt den Kragen ihrer Jeansjacke hoch, um den eisigen Wind abzuhalten.

»Komm rein, Schatzchen, komm ruhig rein«, begru?t Bob sie und offnet die Tur vollends. Sein Herz beginnt heftig zu pochen. »Was zum Teufel ist denn passiert?«

Megan stolpert in die Kuche. Bob nimmt sie an den Armen und hilft ihr zu einem Kuchenstuhl neben dem mit Krimskrams uberhauften Tisch. Sie lasst sich mit einem Plumps auf den Stuhl fallen und versucht, etwas zu sagen, kriegt aber vor lauter Schluchzen kein Wort heraus. Bob kniet sich vor sie, streichelt ihr die Schulter, und Megan halt sich mit beiden Handen den Kopf und weint.

»Ist schon gut, Schatzchen … Was immer auch los ist … Wir werden das Kind schon schaukeln.«

Sie stohnt, es ist ein Stohnen voller Schmerz und Besturzung. Ihre Tranen benetzen ihr armelloses Top unter der Bluse. Er nimmt ihren Kopf in die Hande, streichelt die feuchten Locken. Nach einer Weile blickt sie zu ihm auf. »Scott ist tot.«

»Was

»Ich … habe … ihn … gesehen, Bob.« Sie bringt jedes Wort zwischen heftigem Keuchen und Stohnen hervor. »Er ist … Er ist tot und … Er ist einer von denen geworden.«

»Jetzt mal ganz von vorne. Hol mal tief Luft, und erzahl mir, was passiert ist.«

»Ich habe keine Ahnung, was passiert ist!«

»Wo hast du ihn gesehen?«

Sie schnieft, versucht, das Schluchzen unter Kontrolle zu bringen, und erzahlt Bob dann in halb geformten Satzbrocken von den abgetrennten Kopfen, die sich in der Dunkelheit im Wasser heben und senken.

»Und wo hast du das gesehen?«

Sie ist am Hyperventilieren. »Im … Druben, beim … Beim Governor.«

»Beim Governor? Du hast Scott beim Governor gesehen?«

Sie nickt, will gar nicht mehr aufhoren. Sie will alles erklaren, aber die Worte bleiben ihr im Hals stecken.

Bob streichelt ihren Arm. »Schatzchen, was hast du denn beim Governor zu suchen?«

Sie versucht zu antworten, das Schluchzen beginnt erneut, und sie legt den Kopf wieder in die Hande.

»Ich hole dir ein Glas Wasser«, sagt Bob schlie?lich. Er eilt zum Waschbecken und fullt einen Plastikbecher mit Wasser aus dem Wasserhahn. Die Halfte der Hauser in Woodbury hat keinerlei Strom, Wasser oder Gas. Die wenigen Privilegierten, die sich dessen ruhmen konnen, gehoren zum inneren Kreis des Governors – die behelfsma?igen Machtstrukturen haben ihnen ein paar Vorteile verschafft. Bob ist aus sentimentalen Grunden zum Gunstling des Governors aufgestiegen, und seine Wohnung reflektiert diesen Status. Sie ist voll mit leeren Flaschen, Essensverpackungen, Dosen, Pfeifentabak, Softpornoheftchenen, warmen Decken und elektronischem Spielzeug, also ein wahrhaftiges Vorzeigemodell einer Junggesellenwohnung.

Bob reicht Megan das Glas Wasser, und sie trinkt es in zwei gro?en Schlucken halb aus. Rinnsale laufen ihr die Mundwinkel hinunter, auf ihre Jacke. Bob hilft ihr, den Mantel auszuziehen, und sie setzt erneut an und gie?t den Rest hastig in sich hinein. Er wendet den Blick ab, als er bemerkt, dass ihre Bluse schief zugeknopft ist. Der Bauchnabel ist zu sehen, und sie gibt einen Blick auf eine Reihe roter Flecken und tiefer Kratzer auf ihrem Brustbein zwischen ihren blassen Brusten frei. Der BH sitzt schief, und einer ihrer Nippel ist erigiert.

»Hier, Kleine«, versucht er, sie zu beruhigen, und geht zum Wascheschrank im Flur. Er holt eine Decke, kehrt zuruck und legt sie Megan fursorglich um die Schultern. Sie fangt sich wieder, bis das Schluchzen zu einer Reihe keuchender, sto?ender Atemzuge abgeebbt ist. Sie starrt zu Boden. Ihre kleinen Hande liegen mit den Handflachen nach oben auf ihrem Scho?, als ob sie vergessen hatte, wozu man sie benutzen kann.

»Ich hatte nie …«, beginnt sie und halt dann inne. Ihre Nase lauft, und sie wischt sie ab, schlie?t die Augen. »Was habe ich blo? getan … Bob … Was zum Teufel ist blo? los mit mir?«

»Nichts ist los mit dir«, trostet er sie sanft und legt den Arm um sie. »Ich bin jetzt hier, Su?e. Ich passe auf dich auf.«

Sie schmiegt sich an ihn, legt den Kopf an seine Schulter, und atmet jetzt regelma?iger. Bald schon holt sie in langen Abstanden Luft, als ob sie einschlaft. Bob erkennt sofort die typischen Schocksymptome. Ihre Haut ist eiskalt. Er deckt sie vernunftig zu, und sie schmiegt sich enger an seinen Hals.

Bob wird von einer Flutwelle von Emotionen heimgesucht, gibt sich einem Seufzer nach dem anderen hin.

Er halt Megan eng an sich, sucht nach den richtigen Worten. Sein Kopf schwirrt vor lauter widerspruchlichen Gefuhlen. Einerseits ekelt ihn ihre Geschichte von den abgehackten Kopfen und Scott Moons geschandetem Leichnam an. Zudem kommt ihm die Frage in den Sinn, was sie uberhaupt beim Governor zu suchen hatte. Aber Bob uberkommt auch ein Gefuhl des unerwiderten Verlangens. Die Nahe ihrer Lippen, die Warme ihres Schlusselbeins, der Glanz ihrer Locken, die ihr Kinn streifen – all das benebelt Bob schneller und starker, als eine ganze Kiste zwolf Jahre alten Bourbons. Er kampft gegen das Verlangen an, sie auf die Stirn zu kussen.

»Das wird schon wieder«, flustert er ihr sanft ins Ohr. »Wir machen das schon.«

»Oh, Bob …« Ihre Stimme klingt benommen, vielleicht ist sie noch high. »Bob …«

»Alles wird gut«, wiederholt er, fahrt ihr uber die Haare mit seiner schmierigen, knorrigen Hand.

Sie reckt den Hals in seine Richtung und kusst ihn auf das unrasierte, grauhaarige Kinn.

Bob schlie?t die Augen, und eine Welle des Begehrens schwappt uber ihn hinweg.

Sie verbringen die Nacht zusammen. Zuerst versetzt Bob der Gedanke in Panik, dass er sich eine so lange Zeit in Megans unmittelbarer Nahe aufhalten wird. Bob hat seit elf Jahren keinen Sex mehr gehabt, nicht seitdem er das letzte Mal mit Brenda, seiner verstorbenen Frau, zusammen gewesen war. Jahrzehntelanger Alkoholmissbrauch hat Bobs Manneskraft mehr als nur angeschlagen. Aber das Verlangen gluht noch immer in ihm wie ein schwelendes Stuck Kohle. Er will sie so sehr, dass sein Hals rau wird wie Sandpapier und ihm hei?e Schauer den Rucken rauf und runter laufen.

Aber die beiden schlafen nur ruhelos ineinander verschlungen, liegen unter den vollgeschwitzten Decken im Doppelbett im hinteren Zimmer. Bob ist erleichtert, dass sie nicht einmal annahernd dazu kommen, Sex zu haben.

Wahrend der gesamten Nacht schweben in Bobs fiebrigen Gedanken halb geformte Bilder herum, wie sie auf einer einsamen Insel umgeben vom zombiesicheren Meer miteinander schlafen. Allerdings wird diese Vorstellung immer wieder von der harschen Realitat der kleinen Wohnung unterbrochen, in der sie sich befinden. Bob wundert sich nicht schlecht uber die unglaubliche Tatsache, dass er Megans unregelma?iges Atmen an seiner Seite hort, die Warme ihrer Huften an seinem Bauch spurt, Strahnen ihrer Haare sein Gesicht kitzeln, ihr moschusartiger, su?er Geruch seine Sinne betort. Merkwurdigerweise fuhlt er sich zum ersten Mal, seitdem die Plage ausgebrochen ist, wieder als ganzer Mensch. Er verspurt einen beinahe wahnwitzigen, alles belebenden Schimmer der Hoffnung. Die verstorenden Untertone des Verdachts und gemischter Emotionen, was den Governor angeht, schmelzen in dem

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