mitklingt. »Diese Sache wird abgehen, und zwar schnell und durchgreifend … Sonst enden wir genau wie alle anderen irgendwann im Schlachthaus und werden an Zombies verfuttert. Er wird einen Unfall haben. Mehr braucht ihr im Augenblick nicht zu wissen. Wenn ihr nichts damit zu tun haben wollt, bitte, da ist die Tur. Ich nehme es euch nicht ubel. Das ist eure letzte Chance.« Er wird ein wenig personlicher. »Ihr wart immer gute Arbeiter, gute Manner, ehrlich … Und jemandem vertrauen zu konnen ist Gold wert, insbesondere hier. Wenn ihr raus wollt, schutteln wir uns jetzt die Hande und das war es. Damit habe ich uberhaupt kein Problem. Aber tut es jetzt. Denn wenn das alles erst einmal abgeht, gibt es keine Notbremse mehr, die wir ziehen konnen.«

Martinez wartet.

Niemand sagt etwas, niemand steht auf und verlasst das Lager.

In jener Nacht sinken die Temperaturen, und die eisigen Nordwinde nehmen zu. Aus den Schloten qualmt Rauch von den vielen Holzfeuern in Woodbury, und die Generatoren brummen sonor vor sich hin. Im Westen leuchten noch immer die Flutlichter des Stadions, und die Vorbereitungen fur die gro?e Weltpremiere am folgenden Abend sind in vollem Gang.

Lilly Caul ist allein in ihrer Wohnung uber der Chemischen Reinigung. Sie legt zwei halb automatische Handfeuerwaffen mit extra Munition auf ihrem Bett zurecht – zwei .22-Kaliber Ruger Lite, ein extra Magazin und eine Schachtel 32er-Korn Hohlspitzgeschosse. Martinez hat ihr die Waffen gegeben und ihr im Schnelldurchlauf gezeigt, wie man sie neu ladt.

Sie tritt einen Schritt zuruck, starrt auf die vergoldeten Pistolen und kneift die Augen zusammen. Ihr Herz schlagt schneller, ihr Schlund wird ganz trocken, und sie wei?, dass ihre alten Wegbegleiter, Panik und Selbstzweifel, wieder mit von der Partie sind. Sie halt inne, schlie?t die Augen und schluckt die Angst mit Muhe und viel Selbstkontrolle wieder hinunter. Dann offnet sie die Augen, halt die rechte Hand in die Hohe und betrachtet sie, als ob sie jemand anderem gehorte. Die Hand zittert nicht, ist vollig ruhig.

Sie wird diese Nacht kein Auge mehr zutun. Die nachste vielleicht auch nicht.

Lilly holt einen gro?en Rucksack unter dem Bett hervor, packt die Waffen, die Munition, eine Machete, eine Taschenlampe, Nylonleine, Schlafmittel, Panzerband, eine Dose Red Bull, ein Feuerzeug, eine Rolle Plastikplane, fingerlose Handschuhe, ein Fernglas und eine extra Daunenweste ein. Dann schlie?t sie den Rucksack und stopft ihn wieder unter das Bett.

Sie hat weniger als vierundzwanzig Stunden, bis die Mission beginnt, die ihr Leben entscheidend verandern wird.

Lilly zieht einen Daunenmantel, ihre Fellstiefel und eine Mutze an. Dann blickt sie auf die Uhr auf ihrem Nachttisch.

Funf Minuten spater, um kurz vor Mitternacht, lasst sie die Tur zu ihrer Wohnung hinter sich ins Schloss fallen und macht sich auf den Weg.

Die Stadt ist in der eiskalten Nacht wie leer gefegt, die Luft bei?t vor Schwefel und gefrorenem Salz. Lilly muss sich vorsehen, um auf den gefrorenen Burgersteigen nicht auszurutschen. Ihre Stiefel knirschen bei jedem Schritt. Sie blickt uber die Schulter. Die Stra?en sind leer. Sie schleicht um die Post herum und geht direkt auf Bobs Wohnung zu.

Die holzerne Treppe, an der Megan sich aufgehangt hat, ist vollig mit Eis bedeckt. Als Lilly die Stufen hochsteigt, knarzt es unter ihr, und das Eis bricht unter ihren Stiefeln.

Sie klopft an Bobs Tur. Keine Antwort. Sie klopft erneut. Nichts. Sie flustert Bobs Namen, aber keine Reaktion, kein Laut von innen. Sie legt die Hand auf die Klinke, druckt sie nieder. Zu ihrer Uberraschung ist sie nicht abgeschlossen. Lilly offnet die Tur und tritt ein.

Die Kuche ist in Dunkelheit getaucht. Der Boden ist mit zerbrochenen Tellern und Tassen ubersat, hier und da erkennt sie Lachen irgendeiner Flussigkeit. Einen Augenblick lang wundert Lilly sich, ob sie nicht besser mit einer Waffe eingetreten ware. Sie checkt das Wohnzimmer zu ihrer Rechten, sieht umgesto?ene Mobel und Haufen dreckiger Wasche.

Sie findet die batteriebetriebene Laterne auf der Arbeitsplatte, nimmt sie in die Hand und schaltet sie an. Lilly geht den Flur entlang und ruft: »Bob?«

Der Laternenschein spiegelt sich in den Scherben auf dem Boden. Eine von Bobs Arzttaschen liegt umgedreht im Flur, samtlicher Inhalt uber den Boden verstreut. An den Wanden schimmert etwas Klebriges. Lilly schluckt erneut ihre Angst hinunter und geht weiter.

»Irgendjemand zu Hause?«

Sie lugt in das Schlafzimmer am Ende des Flurs und sieht Bob. Er sitzt auf dem Boden, den Rucken gegen das ungemachte Bett gelehnt, der Kopf hangt schlaff nach vorn. Er tragt ein dreckiges Unterhemd und Boxershorts. Seine dunnen Beinchen sind wei? wie Alabaster, und er ist so still und ruhig, dass Lilly ihn fur tot halt.

Aber dann sieht sie, dass seine Brust sich kaum merkbar hebt und senkt und sieht eine halb leere Flasche Jim Beam in seiner rechten Hand.

»Bob!«

Sie eilt zu ihm, hebt vorsichtig den Kopf und lehnt ihn gegen das Bett. Seine fettigen, schutteren Haare hangen schief von seinem Schadel herunter. Mit Lidern auf Halbmast, so dass man seine blutunterlaufenen, glasigen Augen nur schwerlich sieht, stammelt er kaum verstandlich: »Zu viele … Die werden …«

»Bob, ich bin es, Lilly. Kannst du mich horen? Alles ist gut, ich bin hier.«

Sein Kopf fallt wieder nach vorne. »Die werden alle sterben … Wenn wir nicht die schlimmsten Falle sichten …«

»Bob, wach auf! Du traumst. Alles ist gut, ich bin doch hier!«

»Voller Maden … Zu viele … Grasslich …«

Sie stellt sich auf, dreht sich um und verlasst das Schlafzimmer, um im verwahrlosten Badezimmer einen dreckigen Becher mit Wasser zu fullen. Mit dem Becher in der Hand kehrt sie zu Bob zuruck. Sanft lost sie seine Finger von der Flasche Jim Beam und wirft sie dann mit Wucht gegen die Wand. Die Flasche zerbirst in tausend Scherben und hinterlasst einen feuchten Fleck auf der Blumentapete. Bob zuckt bei dem Larm zusammen.

»Hier, trink«, fordert sie ihn auf und flo?t ihm etwas Wasser in den Mund. Er hustet, schluckt es aber. Seine Hande zucken, und sein ganzer Korper schuttelt sich. Er versucht, Lilly anzuschauen, aber seine Augen spielen nicht mit. Sie legt ihm eine Hand auf seine fiebrige Stirn. »Ich wei?, dass es dir nicht gut geht, Bob. Aber das wird schon wieder. Ich bin ja da. Los, komm.«

Sie greift ihm unter die Arme, hebt ihn mit Muhe auf das Bett und legt ihm ein Kissen unter den Kopf. Dann deckt sie ihn zu und redet sanft auf ihn ein: »Ich wei?, dass der Verlust von Megan dir zu schaffen macht, aber lass dich nicht gehen, Bob. Das Leben geht weiter.«

Er runzelt die Stirn, und der Schmerz steht ihm im Gesicht geschrieben. Er schaut zur Decke auf, erweckt den Anschein, als ob er lebendig begraben wurde und zu atmen versucht. Endlich lallt er: »Ich wollte doch nicht … Nie … Das war doch nicht meine Idee, dass …«

»Es ist okay, Bob. Du musst dich nicht erklaren.« Sie streichelt ihm die Stirn und sagt dann mit ruhiger Stimme: »Du hast das gut gemacht. Alles wird gut. Hier wird sich einiges andern, und zwar zum Guten.« Sie streichelt seine Wange, spurt seine kalte Haut und beginnt, leise Joni Mitchells »The Circle Game« zu singen. Wie in den alten Zeiten.

Bob lasst den Kopf auf das von Schwei? durchtrankte Kissen sinken. Sein Atmen wird ruhiger. Er schlie?t die Augen. Wie in alten Zeiten … Er fangt zu schnarchen an, aber Lilly singt noch etwas weiter.

»Wir … entfernen ihn«, haucht Lilly dem schlafenden Mann zu.

Sie wei?, dass er nichts mehr hort, aber sie redet mit sich selbst, mit einem tief begrabenen Teil ihrer Psyche.

»Es ist zu spat, um noch etwas zu andern … Wir entfernen ihn …«

Lillys Stimme verstummt, sie sucht und findet eine Decke und verbringt den Rest der Nacht sitzend neben Bob, wahrend sie auf den Anfang des neuen Tags wartet, der ihr Schicksal bestimmen wird.

Siebzehn

Am nachsten Morgen steht der Governor fruh auf, um die letzten Vorbereitungen fur die gro?e Show zu treffen. Er ist bereits vor Morgengrauen auf den Beinen, zieht sich rasch an, macht sich Kaffee und verfuttert die

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