letzten menschlichen Eingeweide, die er zuhause hat, an Penny. Um sieben ist er bereits auf dem Weg zu Gabes Wohnung. Die Salzstreuer sind ebenfalls schon bei der Arbeit, obwohl das Wetter angesichts der Geschehnisse der vergangenen Woche uberraschend mild ist und die Temperaturen weit uber dem Gefrierpunkt liegen. Der Himmel macht auch keinen bedrohlichen Eindruck mehr, sondern ist nur noch mit einer blassgrauen Decke von zementfarbenen Wolken bedeckt. Es weht eine schwache Brise, und der anbrechende Tag scheint dem Governor wie perfekt fur den kommenden Abend und die neuen und verbesserten Gladiatorenspiele.
Gabe und Bruce uberwachen den Transport der gefangenen Zombies in den Katakomben unter dem Stadion. Es dauert einige Stunden, die Kreaturen aus den Untergeschossen in den Sammelraum zu lotsen, da die Zombies nicht nur widerspenstig sind, sondern der Governor auch will, dass niemand etwas davon mitkriegt. Allein bei dem Gedanken der Enthullung des Rings des Todes lauft dem Governor das Wasser im Mund zusammen, und er will, dass die Zuschauer am Abend das Gleiche empfinden. Er verbringt den Gro?teil des Nachmittags in der Arena, uberpruft immer wieder Vorhange, die Beschallungsanlage, die Musikeinsatze, Lampen und Scheinwerfer, Tore, Schlosser, die Sicherheitsma?nahmen und zu guter Letzt die Kampfer selbst.
Die beiden ubrig gebliebenen Wachen, Zorn und Manning, siechen noch immer in ihrer Zelle dahin und haben so gut wie alle Muskeln und samtliches Korperfett verloren. Sie ernahren sich schon seit Monaten von nichts weiter als Uberbleibseln alter Cracker und Wasser, sind ununterbrochen an die Wand gekettet und besitzen kaum noch einen klaren Gedanken. Ihre einzige Rettung ist ihr Training beim Militar – und ihre Wut, die wahrend ihrer wochenlangen, qualvollen Gefangenschaft an ihnen genagt, immer mehr von ihnen Besitz ergriffen und sie in wild dreinblickende Monstern verwandelt hat, die nur darauf warten, Rache zu uben.
Mit anderen Worten: Wenn sie ihre Warter nicht toten konnen, dann sturzen sie sich dankbar auf alles andere, was sich ihnen in den Weg stellt, einschlie?lich einander.
Die Wachen sind das letzte Schlusselstuck, und so wartet der Governor bis zum letzten Augenblick, um sie aus der Zelle zu geleiten. Gabe und Bruce schnappen sich drei der kraftigsten Arbeiter und weisen sie an, in die Zelle zu gehen, um den Wachen ein Beruhigungsmittel zu spritzen, damit man sie leichter transportieren kann. Sie haben es so oder so nicht weit. Mit Lederriemen um den Hals, uber die Munder, um die Handgelenke und Fersen gebunden, werden sie die metallenen Treppen hinauf in einen Warteraum gezerrt.
Vor langer Zeit wurden diese Korridore einmal von Racing-Fans benutzt, die T-Shirts, Hamburger, Bier und Zuckerwatte kauften. Jetzt aber liegen sie in immerwahrender Finsternis, sind mit Brettern verschlagen, mit Schlossern versehen und als behelfsma?ige Lager fur alles, von Kraftstoffbehaltern bis zu Kartons, mit gestohlenen Wertsachen der Toten benutzt.
Um halb sieben am fruhen Abend ist es so weit. Der Governor befiehlt Gabe und Bruce, sich einander gegenuber in der Arena aufzustellen und etwaige widerspenstige Wettkampfer oder Zombies in Schach zu halten, die es sich in den Kopf gesetzt haben zu fliehen. Zufrieden mit den Vorbereitungen, macht der Governor sich auf den Weg nach Hause, um sich fur die Show anzuziehen: schwarze Lederweste, schwarze Lederhose und schwarze, lederne Motorradstiefel. Zudem bindet er sich eine Feder in den Pferdeschwanz. Er fuhlt sich wie ein Rockstar. Das i-Tupfelchen bildet sein langer, schwarzer Ledermantel.
Kurz nach sieben machen sich die Einwohner Woodburys auf den Weg ins Stadion. Wahrend der vorigen Woche hat der Governor sogar Poster an Laternen und in Ladenfenster anbringen lassen, und ein jeder wei?, dass die Show erst um halb acht beginnt. Aber alle mochten einen guten Platz haben, es sich mit Decken und Kissen gemutlich machen und etwas zu trinken holen, ehe das Spektakel anfangt
Das milde Wetter tragt dazu bei, dass alle mit freudiger Erregung auf die Geschehnisse des Abends warten.
Zwei Minuten vor halb acht wird es plotzlich so still, dass man eine Stecknadel fallen horen konnte. Die Zuschauer sitzen und stehen auf den Tribunen, die Gesichter gegen den Zaun gepresst. Die jungen Manner sind ganz unten, wahrend Frauen, Paare und altere Bewohner es sich weiter oben mit Decken um die Beine eingerichtet haben, um der Kalte zu trotzen. Jedem Gesicht kann man den Hunger eines Junkies im Entzug ablesen – ausgemergelt, abgemagert, nervos. Sie wissen, dass gleich etwas Au?ergewohnliches vor ihren Augen passieren wird. Sie riechen Blut.
Und der Governor wird sie nicht enttauschen.
Punkt halb acht, zumindest laut der automatischen Fossil-Armbanduhr des Governors, ertont Musik aus dem Beschallungssystem des Stadions. Sie ist neben dem kontinuierlichen Rauschen des Windes zuerst gar nicht zu horen, lediglich ein Hauch, ein unterirdisches Beben. Die Melodie kennt so gut wie jeder, wenn auch niemand wei?, was es ist:
Im Licht der Flutlichter kann man den leichten Schneefall sehen, der jetzt auf sie niederfallt. Die Mitte der schlammigen Arena ist in bei?end grelles Licht getaucht. Die Menge sto?t begeisterte Rufe aus, als der Governor in den Lichtkegel schreitet.
Er hebt eine Hand, eine majestatische, melodramatische Geste. Die Musik erreicht jetzt ihren Hohepunkt, und der Wind spielt mit den Rockscho?en seines Ledermantels. Er taucht funfzehn Zentimeter tief in den Matsch ein. Die gesamte Arena ist ein einziger Morast, und der Governor glaubt, dass der Schlamm die Show nur noch dramatischer machen wird.
»Freunde! Mitbewohner von Woodbury!«, spricht er mit drohnender Stimme ins Mikrofon, das an eine PA- Anlage hinter ihm angeschlossen ist. Sein Bariton steigt in den Nachthimmel, das Echo hallt in den leeren Rangen wider. »Ihr habt hart gearbeitet, damit diese Stadt besteht! Und gleich werdet ihr dafur belohnt! Seid ihr bereit, knallharte Action zu erleben?«
Von den Rangen erschallen schrille Schreie und wildes Gegrole.
»Dann raus mit den Kriegern!«
Auf das Stichwort hin fahren riesige Spotlights uber die Dacher, werden von unglaublichem Larm begleitet, ehe sie durch die Arena leuchten. Eins nach dem anderen kommt auf einer Reihe riesiger, schwarzer Vorhange zum Stehen, die jeweils den Eingang der funf Tunnel bedecken, welche aus den Katakomben des Stadions in die Arena fuhren.
Am gegenuberliegenden Ende der Arena offnet sich ein Garagentor, und Zorn, der jungere der beiden Wachen, erscheint im Schatten des Tunnels. Gekleidet in behelfsma?ige Schulterpolster und Schienbeinschoner, halt er eine gro?e Machete in der vor latentem Wahnsinn zitternden Hand. Er tritt in die Arena, geht auf die Mitte zu. In seinem Gesicht kann man die wilde, manische Entschlossenheit sehen. Er bewegt sich steif, ruckartig, ein Kriegsgefangener, der sich das erste Mal seit Wochen wieder bewegen darf.
Beinahe gleichzeitig offnet sich das gegenuberliegende Tor, und Manning, der altere Soldat, erscheint aus dem Schatten. Er hat wildes graues Haar und blutunterlaufene Augen und tragt eine riesige Streitaxt in der Hand. Seine Bewegungen, als er auf die Mitte zustolpert, gleichen denen eines Zombies.
Als die beiden Kampfer aufeinander zutaumeln, brullt der Governor: »Sehr geehrte Damen und Herren, ich prasentiere Ihnen hiermit voller Stolz den ›Ring des Todes‹!«
Die Menge stohnt wie eins auf, als die restlichen Vorhange in der Arena plotzlich fallen, erneut wie auf ein Stichwort, und den Blick auf einen Ring zischender, halb verwester, hungriger Zombies freigibt. Einige der Zuschauer springen auf, wollen instinktiv fliehen, als die Bei?er die ersten Schritte tun, die Hande nach dem menschlichen Fleisch ausgestreckt.
Die Zombies legen circa die halbe Strecke zur Mitte der Arena in ihrer eigenartigen, schlurfenden Gangart zuruck, ehe die Ketten sich zu spannen beginnen. Einige verlieren durch die plotzliche Bewegungsunfreiheit das Gleichgewicht und sturzen in Slapstick-Manier in den Schlamm, wahrend andere vor Emporung uber die Ungerechtigkeit ihrer Gefangenschaft wutend zu knurren anfangen und wild mit den Armen fuchteln. Die Menge johlt begeistert auf.
»LASST DIE SCHLACHT BEGINNEN!«
In der Mitte der Arena sturzt Zorn sich auf seinen Widersacher, ehe Manning wei?, wie ihm geschieht. Selbst der Governor bringt sich nur mit Muhe und Not in Sicherheit, und Manning schafft es gerade noch, die Streitaxt in die Hohe zu halten, um den Schlag zu blockieren.
Die Machete trifft mit voller Wucht auf das Metall der Axt, dass die Funken fliegen.
Die Menge grolt, als Manning nach hinten durch den Matsch torkelt, ins Rutschen kommt und nur wenige Zentimeter vor einem der Zombies zu Boden geht. Der Bei?er, die Augen vor Blutrausch weit aufgerissen, schnappt mit den Zahnen nach Mannings Fersen und rei?t dabei fast die Kette aus der Verankerung. Manning rafft sich wieder