Nick hat sich von den Leichen abgewandt, weicht aber keinen Zentimeter zuruck, als Philip auf sie zukommt. Brian hingegen tritt einen Schritt beiseite. Eine tiefe Scham erfasst ihn. Es ist, als ob seine Seele entzweigerissen wurde. Er starrt zu Boden, als sein Bruder langsam naher kommt, und lasst dann den Blick nervos zwischen den beiden leblosen Korpern und Nick hin und her wandern.

Niemand sagt ein Wort. Philip schaut Brian an, der versucht, seine lahmende Scham zu verbergen. Je mehr er sich jedoch darauf konzentriert, desto schlimmer wird es.

Wenn Brian doch nur den Mut aufbringen konnte, wurde er sich den Lauf seiner Pistole in den Mund stecken, um sich zu erlosen. Auf irgendeine perverse Art glaubt er, dass er an allem Schuld hat, aber er ist zu feige, um sich selbst das Leben zu nehmen – wie ein richtiger Mann das tun wurde.

Also steht er nur da und wei? vor Scham und Schmach nicht, wo er hinsehen soll.

Die ubel zugerichteten Korper der beiden Toten zusammen mit dem unerbittlichen Schweigen seines Freundes und seines Bruders losen bei Philip etwas aus. Wie bei einer unsichtbaren Kettenreaktion fangt er an, innerlich zusammenzubrechen.

Er kampft gegen Tranen an und reckt das bebende Kinn. Er verspurt eine Mischung zwischen Trotz und Selbstverachtung. Sein Mund bewegt sich, als ob er etwas Wichtiges mitzuteilen hatte, und doch muss er sich ungeheuer anstrengen, um etwas hervorzubringen. »Wie auch immer.«

Nick glaubt seinen Ohren nicht zu trauen. Er starrt Philip unglaubig an. »Wie auch immer?«

Philip dreht sich um und geht. Er zieht die Glock aus dem Gurtel, entsichert sie und ballert auf die Bretterwand der Scheune. BUUUUMMMMM! Der Rucksto? fahrt durch seine Hand ins Handgelenk, und der laute Knall lasst Brian zusammenzucken. BUUUUMMMMM! Ein weiterer Schuss. Das Mundungsfeuer erhellt kurz die dustere Scheune, und die Kugel zerfetzt einen Teil des maroden Tors. BUUUUMMMMM! Der dritte Schuss landet in den Dachsparren. Schutt, Staub und Heu regnen auf sie herab.

Wutend tritt Philip gegen das Flugeltor und sturmt aus der Scheune.

Dann herrscht Schweigen. Brian hat wahrend der ganzen Zeit nicht aufgeschaut. Auch jetzt lasst er den Kopf gesenkt und starrt trostlos auf das verschimmelte Heu. Nick wirft einen letzten Blick auf die leblosen Korper und gibt ein langes, schmerzvolles Seufzen von sich, ehe er den Kopf schuttelt. »Nicht zu glauben«, sagt er schlie?lich.

Etwas schwingt in seiner Stimme mit – ein Anflug von Furcht? –, was Brian zeigt, dass sich etwas in ihrer kleinen Patchworkfamilie verandert hat – unwiderruflich fur immer.

Zwanzig

Was zum Teufel macht er da?« Nick steht am Fenster des Wohnzimmers und starrt in den bewolkten Morgen hinaus.

Am anderen Ende des Vorhofs direkt hinter der Auffahrt zerrt Philip seine Tochter an einer Art Hundeleine aus diversen Teilen, die er im Gerateschuppen gefunden hat, hinter sich her. Von fern sieht es wie ein langes Kupferrohr mit einem Stachelhalsband. Philip zieht Penny hinter sich her zu dem Ford S-10 Pick-up, der auf dem Stuck Gras geparkt ist. Der Wagen stammt von Glatzkopf und seiner Bande. Jetzt hat Philip ihn beschlagnahmt und mit Essen, Waffen und Bettzeug beladen.

Penny zischt und knurrt, wahrend sie sich widerwillig durch die Gegend zerren lasst. Sie greift nach dem Kupferrohr und bei?t Locher in die Luft. Im wassrigen Morgenlicht ahnelt ihr totes Gesicht einer lebendig gewordenen Halloween-Maske aus wurmgrauem Ton.

»Das versuche ich dir doch schon die ganze Zeit klarzumachen«, meint Brian, der neben Nick steht und ebenfalls auf die bizarre Szene starrt, die sich drau?en abspielt. »Er ist heute Morgen aufgestanden und hat behauptet, dass wir keinen Augenblick langer hierbleiben konnen.«

»Wieso?«

Brian zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung … Nach all dem, was passiert ist … Ich glaube, die ganze Gegend hier ist fur ihn verseucht, voller Geister … Was wei? ich, was in seinem Kopf vorgeht.«

Brian und Nick haben die ganze Nacht uber kein Auge zugemacht, sondern Unmengen von Kaffee getrunken und sich uber die Situation unterhalten, in der sie sich befinden. Nick glaubt, dass Philip jetzt endgultig durchgedreht ist. Die schreckliche Geschichte mit Penny und der Druck, sich um Brian und ihn zu kummern, seien einfach zu viel gewesen. Obwohl Nick es nicht klar ausspricht, glaubt er, dass der Teufel nun Besitz von Philip genommen hat. Brian ist zu erschopft, sich mit Nick uber metaphysische Themen zu unterhalten, aber es gibt keinen Zweifel daran, dass sich die Lage drastisch verschlimmert hat.

»Lass ihn gehen«, meint Nick endlich und wendet sich vom Fenster ab.

Brian wirft ihm einen Blick zu. »Was soll das hei?en? Willst du damit etwa sagen, dass du hierbleiben willst?«

»Genau das. Ich bleibe hier, und ich finde, das solltest du auch.«

»Nick, mach keine Scherze.«

»Wie konnen wir ihm weiter hinterherlaufen? Nach dieser ganzen Sache … Nach all dem, was hier passiert ist?«

Brian fahrt sich uber den Mund und uberlegt einen Augenblick. »Pass auf. Ich sage es gerne noch einmal. Was er mit diesen Leuten angestellt hat, ist unvorstellbar. Er ist vom Weg abgekommen, und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn jemals wieder mit gleichen Augen sehen werde … Aber wir mussen uberleben – nicht mehr und nicht weniger. Wir durfen uns nicht trennen. Unsere beste Chance besteht darin, dass wir zusammenhalten. Komme, was wolle.«

Nick schaut wieder aus dem Fenster. »Glaubst du wirklich, dass wir es bis zu Kuste vom Golf von Mexiko schaffen? Das sind locker sieben-, wenn nicht achthundert Kilometer.«

»Ich wiederhole mich gern: Unsere beste Chance besteht darin zusammenzuhalten.«

Nick sieht Brian an. »Er hat seine tote Tochter an einem Halsband. Er hat dich beinahe zu Tode geprugelt. Brian, der Mann ist eine tickende Zeitbombe, die jederzeit hochgehen und uns um die Ohren fliegen kann.«

»Diese tickende Zeitbombe hat uns durch ganz Georgia gebracht – von Waynesboro bis hierher«, knurrt Brian. Allmahlich wird er wutend. »Dann ist er eben verruckt, explosiv und hat mit Damonen zu kampfen. Mann, dann ist er eben der verdammte Furst der Finsternis … Aber er ist noch immer mein Bruder und unsere beste Chance, am Leben zu bleiben.«

»Nennen wir das jetzt so? Uberleben?«

»Wenn du hierbleiben willst, dann bitte. Ich werde dich nicht davon abhalten.«

»Vielen Dank. Genau das habe ich auch vor.«

Nick wendet sich vom Fenster ab und verschwindet im Haus. Brian starrt weiterhin nervos zu seinem Bruder hinaus.

Sie mussen Benzin sammeln und benutzen einen Kuhlerschlauch zum Absaugen samtlicher Tanks – der Traktoren, Autos und Harleys –, um den Treibstoff in den Ford S-10 zu fullen. Nach getaner Arbeit ist der Sechzig- Liter-Tank voll, und sie haben noch eine ganze Menge ubrig. Philip richtet Penny einen Platz auf der Ladeflache ein, indem er die Kisten mit Proviant in einem Halbkreis aufstellt und den Boden mit Decken auslegt. Dann kettet er sie an einen Bugel in der Ladeflache, sodass sie nichts anstellen oder sogar abspringen kann.

Nick beobachtet das Treiben vom Zimmer im ersten Stock aus und tigert dabei wie ein Raubtier in einem Kafig auf und ab. Die Realitat der Lage scheint sich jetzt auch ihm zu offenbaren. Er wird allein in dieser gro?en, zugigen Villa zuruckbleiben. Er wird die Nachte hier ohne jemand anderen aushalten mussen. Er wird den ganzen Winter uber einsam sein. Er wird den Nordwind horen, wie er durch die Fensterladen pfeift, und das Stohnen der Bei?er wird zu ihm dringen, wahrend sie in der Obstplantage herumstreifen … Aber vor allem wird er allein sein. Er wird einsam aufwachen, einsam essen, einsam nach Essbarem suchen, einsam von besseren Tagen traumen und einsam Gott um Erlosung anflehen … Alles allein. Wahrend er Philip und Brian bei den letzten Vorbereitungen zur Abreise zusieht, ergreift ihn ein Gefuhl des Bedauerns. Ist es Reue? Er geht durch das Zimmer zum Schrank.

Es dauert nur Sekunden, um das Notigste in seine Tasche zu werfen.

Dann sturzt er aus dem Zimmer und rennt die Treppe hinunter, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nimmt.

Brian macht es sich auf dem Beifahrersitz bequem, und Philip legt gerade den ersten Gang ein, als sie das

Вы читаете The Walking Dead
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату