dauert uberraschend lange, ehe sie von einem der mindestens zwolf Menschen uberhaupt wahrgenommen werden, obwohl sie Fremde sind, die in eine unbekannte Stadt kommen.

»He!« Ein gewichtiger Mann mittleren Alters in einem schwarzen Rollkragenpulli springt von einem Bulldozer und zeigt auf die Neuankommlinge. »Bruce! Schau mal, wir bekommen Gesellschaft!«

Ein weiterer Arbeiter – ein gro? gewachsener schwarzer Mann in einem Parka mit glatt rasiertem Schadel – hort zu hammern auf. Er blickt auf, und seine Augen weiten sich. Er greift nach dem Gewehr, das neben ihm an einer Kuhlbox lehnt.

»He, immer mit der Ruhe, Leute!« Philip geht langsam uber den staubigen Parkplatz voller Trucks auf sie zu, noch immer die Hande in der Luft. Sein Gesichtsausdruck soll ruhig wirken, und tatsachlich macht er einen einigerma?en freundlichen Eindruck. »Wir sind auf der Durchreise … Wir suchen keinen Streit.«

Brian und Nick folgen ihm langsam, ebenfalls mit erhobenen Handen.

Die beiden Manner nahern sich der Truppe. Jeder von ihnen hat ein Gewehr dabei. »Das sieht aber nicht so aus!«, sagt der Schwarze und weist mit dem Kopf auf ihre Gurtel. Er hat die Pistolen erspaht.

»Die sind alle gesichert«, antwortet Philip, halt inne und greift dann langsam nach seiner Glock. »Ich werde dir die Knarre zeigen. Ganz ruhig, versteht sich.«

Er zieht die Waffe vorsichtig aus der Hose und zeigt ihn den Mannern.

»Und ihr beide?«, fordert der Mann im Rollkragenpulli Brian und Nick auf.

Sie folgen Philips Beispiel.

»Seid ihr nur zu dritt?« Dem Akzent nach kommt der Mann mit dem Rollkragenpulli aus dem Norden. Sein kurz geschorenes, blondes Haar weist hier und da graue Stellen auf, und er hat den Stiernacken und Brustumfang eines Schwergewichtsboxers. Sein Bauch quillt uber den Gurtel.

»Nur wir drei«, entgegnet Philip und lugt nicht einmal. Er hat Penny an einen Baum gebunden – im Schutz des kleinen Waldchens circa hundert Meter von der Barrikade entfernt. Philip hat sie au?erdem noch mit weiteren Stricken gefesselt und sie mit einem Halstuch geknebelt, sodass sie keinen Laut von sich geben kann. Es hat ihm beinahe die Tranen in die Augen getrieben, ihr das Halstuch in den Mund zu stecken. Aber bis er wei?, mit wem und was er es hier zu tun hat, will er sie erst einmal verstecken.

»Was ist mit euch passiert?«, will der Mann mit dem Rollkragenpulli von Brian wissen und deutet auf seine Wunden.

»Er hat sich wacker geschlagen, als ein paar Zombies auf ihn los sind«, erklart Philip.

Der Mann im Rollkragenpulli senkt sein Gewehr. »Seid ihr aus Atlanta?«

»Nein. Aus einem kleinen Kaff namens Waynesboro«, erwidert Philip.

»Seid ihr irgendwelchen Sicherheitskraften begegnet?«

»Nein.«

»Habt ihr den Weg allein zuruckgelegt?«

»So gut wie«, erwidert Philip und schiebt seine Waffe wieder in den Gurtel. »Wir wollen uns nur ein wenig ausruhen, und dann sind wir wieder weg.«

»Habt ihr etwas zu essen dabei?«

»Nein.«

»Zigaretten?«

»Nein.« Philip deutet auf Brian und Nick. »Wenn wir nur ein Dach uber dem Kopf bekommen, um ein Nickerchen zu machen, waren wir zufrieden. Wir wollen wirklich niemanden storen. Geht das in Ordnung?«

Die beiden Manner tauschen einen Blick, als ob sie sich amusieren wurden. Dann bricht der schwarze Mann in lautes Lachen aus. »Jungs, das hier ist der Wilde Westen! Niemand schert sich einen Dreck darum, was ihr tut oder bleiben lasst.«

Es stellt sich heraus, dass der Schwarze noch gehorig untertrieben hat.

Wahrend der nachsten Stunden erfahren Philip, Brian und Nick von der Lage in der Stadt, die nicht unbedingt rosig ist. Es gibt etwa sechzig Uberlebende, die sich in der sicheren Zone im Norden aufhalten. Sie versuchen, sich mit Uberresten und Abfallen uber Wasser zu halten, und die meisten von ihnen sind so paranoid und hegen so viel Misstrauen ihren Nachsten gegenuber, dass sie es nicht wagen, tagsuber aus ihren Lochern zu kommen. Sie leben in verlassenen Wohnungen und leeren Laden. Uberall herrscht volliges Chaos. Es ist geradezu uberraschend, dass einige wenige der Leute die Initiative ergriffen haben, diesen Wall uberhaupt zu bauen. In Woodbury muss jede Frau, jedes Kind und jeder Mann selbst schauen, wo er bleibt.

Genau das gefallt Philip, Brian und Nick. Nachdem sie sich genauer umgesehen haben, suchen sie sich ein verlassenes Haus mit zwei Wohneinheiten an der sudlichen Grenze der sicheren Zone in der Nahe des menschenleeren Gewerbegebiets. Schulbusse und leere Anhanger wurden in Reihen um die sichere Zone aufgestellt. Sie dienen als behelfsma?ige Barriere, damit die Bei?er nicht einfach hineinspazieren konnen.

Es scheint alles relativ sicher zu sein.

Brian vermag in der folgenden Nacht kein Auge zuzumachen. Er steht auf, um die Stadt etwas genauer zu betrachten. Das Gehen fallt ihm schwer – die Rippen tun ihm noch weh, und das Luftholen ist muhsam und von Keuchen begleitet –, aber es fuhlt sich gut an, an die frische Luft zu kommen und den Kopf frei zu machen.

In dem funkelnden Mondlicht liegen die Burgersteige in dem ehemaligen Arbeiterviertel einsam da. Mull fegt uber verlassene Spielplatze und durch kleine Parks. Schaufensterfronten der typischen Laden, wie man sie in jeder Kleinstadt findet – ein Zahnarzt, DeForest’s Bedarf fur Landwirte, ein Milchladen und ein Supermarkt – sind alle ohne Licht und mit Brettern verschlagen. Die Folgen der Plage sind allgegenwartig – in der Kalkgrube von Kirney’s Salvage Yard, in der verkohlte Leichen liegen ebenso wie im gro?en Pavillon auf dem Robert E. Lee Platz, der Blutspuren einer Schlacht aufweist, die wie schwarzer Teer im Mondlicht glanzen.

Brian uberrascht es nicht, dass das offene Feld in der Stadtmitte – das ihm zuerst vom Ackerland aus auffiel, uber das sie laufen mussten, um in die Stadt zu gelangen – fruher einmal als Pferderennbahn diente. Die Einwohner scheinen uber genugend Treibstoff zu verfugen, um Tag und Nacht Generatoren laufen zu lassen. Schon bald merkt er, dass riesige Flutlichter uber der ehemaligen Rennbahn hin und wieder die dunkle Nacht erleuchten. Am anderen Ende der Rennstrecke kommt er an einem Sattelanhanger vorbei, der von den Generatoren im Inneren zu vibrieren scheint. Unzahlige Kabel versorgen anliegende Gebaude mit Strom.

Als es am ostlichen Horizont langsam hell wird, ist es an der Zeit, wieder nach Hause zu Philip und Nick zuruckzukehren. Er uberquert einen verlassenen Parkplatz und nimmt eine Abkurzung durch eine mullubersate Seitengasse. In der nachsten Stra?e sieht er eine Gruppe alter Manner, die sich um ein brennendes Fass versammelt haben, ihre Hande am Feuer warmen und eine Flasche Wein die Runde machen lassen.

»Sieh dich vor, Jungchen«, warnt einer der Alten Brian, als er an ihnen vorbeigeht. Die beiden anderen kichern freudlos vor sich hin. Bei den dreien handelt es sich um grauhaarige Kerle, die in mottenzerfressenen Manteln der Heilsarmee stecken. Sie erwecken den Anschein, als ob sie schon seit Ewigkeiten um das Fass stunden.

Brian bleibt stehen. Er hat die Waffe mit dem kurzen Lauf im Gurtel unter der Jacke stecken, sieht aber keinen Grund, sie zu zucken. »Gibt es hier in der Gegend denn Bei?er?«

»Bei?er?«, wiederholt einer der Manner mit einem langen, wei?en Bart und runzelt die Stirn.

»Er meint die toten Dinger«, erklart der dritte, der dickste der drei.

»Klar, Charlie«, stimmt der erste der Gruppe mit ein. »Jetzt komm schon … Diese Eiterbeulen, die sich Yellow Mike geschnappt haben … Der Grund, warum wir hier in diesem gottverdammten Kaff feststecken.«

»Ich wei? schon, wen er meint«, gibt der Bartige zuruck. »Hab aber noch nie gehort, dass man sie so nennt.«

»Bist du neu hier, Junge?« Der Dicke mustert Brian von oben bis unten.

»Ja, bin ich.«

Sein Gegenuber grinst und entblo?t dabei faulig grunliche Zahne. »Willkommen im Warteraum der Holle.«

»Hor nicht auf ihn, Kleiner«, beschwichtigt der erste Penner Brian und legt einen durren rheumageplagten Arm um seine Schultern. Er fugt mit einer leisen, vertraulichen und rauen Stimme hinzu: »Hier brauchst du keine Gedanken an die toten Dinger verschwenden. Aber auf die Lebenden, auf die solltest du aufpassen.«

Am nachsten Tag ermahnt Philip Brian und Nick, nichts auszuplaudern, solange sie in Woodbury sind. Sie sollen sich unauffallig verhalten, Kontakt mit den anderen vermeiden und den Mitbewohnern nicht einmal ihren Namen sagen. Sie haben Gluck, denn das Haus ist kein schlechter Aufenthaltsort. In den funfziger Jahren errichtet – die Mobel sind mindestens genauso alt, mit einem angeschlagenen Spiegel, einem mottenzerfressenen Schlafsofa

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