in den Flur hinaus.
Brian lauft ihm nach. »Nick, nicht …«
»Das darf doch nicht wahr sein!« Nick eilt den Gang entlang zur Waschkuche. Er hammert gegen die Tur und ruft: »Philip? Was geht da drin vor sich?«
»Hau ab!«
Obwohl man Philips Stimme nur undeutlich durch die geschlossene Tur horen kann, ist es eindeutig, dass er hochst angespannt ist.
»Nick …« Brian versucht sich zwischen Nick und die Tur zu drangen, aber es ist schon zu spat.
Nick dreht am Turknauf. Die Tur ist nicht abgeschlossen, und er sturmt hinein.
»Um Gottes willen!«
Brian nimmt seine entsetzte Reaktion wahr, ehe er selbst einen Blick in den Raum werfen kann.
Er zwangt sich in den Raum und sieht, wie das tote Madchen an einer menschlichen Hand nagt.
Brians ursprungliche Reaktion ist nicht die des Ekels oder der Emporung – im Gegensatz zu Nick, der fassungslos der Futterung zuschaut. Stattdessen erfasst Brian eine gro?e Trauer. Zuerst sagt er nichts und mustert nur seinen Bruder, der vor dem kleinen Leichnam kniet.
Ohne auf die beiden zu achten, zieht Philip ein menschliches Ohr aus dem Eimer und wartet geduldig darauf, bis das Penny-Monster die Hand verschlungen hat. Es schluckt die offensichtlich mannlichen Finger mit unverhohlenem Appetit herunter und kaut genusslich auf den blutleeren, behaarten Handknocheln, als ob es sich um einen gro?en Leckerbissen handeln wurde. Aus ihren Mundwinkeln lauft Speichel, und rosafarbene Spucke tropft von ihren Lippen.
Sie hat noch nicht runtergeschluckt, als Philip die Uberreste des menschlichen Ohrs in die Nahe ihrer schwarzen Zahne bringt. Er halt dem Geschopf den Leckerbissen mit der Hingabe und Fursorge eines Priesters hin, der einem Gemeindemitglied die Hostie reicht. Die Penny-Kreatur verschlingt das menschliche Knorpelgewebe im Handumdrehen.
»Ich haue ab«, bringt Nick Parsons schlie?lich hervor, dreht sich auf der Stelle um und sturmt hinaus.
Brian kniet sich neben seinen Bruder. Er wird nicht laut. Er beschuldigt ihn keines Fehltritts, denn Brian selbst ertrinkt in Kummer. Er fragt nur: »Was geht hier vor sich, Junge?«
Philip lasst den Kopf hangen. »Er war schon tot … Sie wollten ihn verbrennen … Ich habe ihn in einem Sack hinter der Klinik gefunden … Er ist auf naturliche Weise gestorben … Ich habe mir nur ein paar Stucke geschnappt … Niemand wird etwas merken …«
Das Penny-Wesen hat das Ohr bereits verschlungen und knurrt schon wieder hungrig. Es will mehr.
Philip futtert es mit einem abgetrennten Fu?, aus dem noch Blut tropft. Ein scharfer Knochen ragt aus der Ferse wie ein schleimiger Elfenbeinzahn.
»Glaubst du, dass …« Brian sucht nach den richtigen Worten. »Glaubst du, dass das vernunftig ist?«
Philip senkt erneut den Blick. Die schmatzenden Gerausche der Zombie-Futterung fullen die winzige Kammer. Das Madchen bei?t auf dem Knochen herum, und Philip spricht leise und voller Emotionen. »Er war sozusagen ein Organspender …«
»Philip …«
»Ich kann sie nicht loslassen, Brian … Ich schaffe das nicht … Sie ist alles, was ich habe.«
Brian holt tief Luft und kampft gegen seine eigenen Tranen an. »Die Sache ist die … Das da hat nichts mehr mit unserer Penny zu tun.«
»Das wei? ich.«
»Warum also …«
»Ich sehe sie, und ich versuche, mich zu erinnern … Aber ich kann nicht … Ich kann mich nicht erinnern … Ich kann mich an nichts anderes erinnern als an diesen Albtraum, in dem wir leben … Und an diese Schweine, die sie erschossen haben … Und dabei ist sie doch alles, was ich habe …« Der Schmerz und die Trauer schnuren ihm die Kehle zu und verwandeln sich in etwas Finsteres. »Sie haben sie mir genommen … Das ganze Universum … Jetzt gibt es neue Regeln … Neue Regeln …«
Brian kann kaum mehr atmen. Er beobachtet das Penny-Ding, das noch immer an dem abgetrennten Fu? kaut. Schockiert wendet er sich ab. Es ist zu viel fur ihn. Sein Magen schnurt sich zusammen, und er muss wurgen. Er spurt, wie ihm hei? wird. Muhsam steht er auf. »Ich muss … Ich kann hier nicht bleiben, Philip … Ich muss weg.«
Brian dreht sich um, stolpert aus dem Zimmer und geht einige Schritte, ehe er auf die Knie sackt und sich ubergibt.
Sein Magen ist fast leer, und so wurgt er hauptsachlich Gallenflussigkeit heraus. Sie kommt in qualenden Spasmen. Er wurgt und wurgt, und seine Magensaure breitet sich auf dem Boden zwischen Flur und dem Wohnzimmer aus. Er wurgt, bis er nichts mehr in sich hat. Dann bricht ihm kalter Schwei? aus, ehe ihn ein Hustenanfall verkrampfen lasst. Er kniet minutenlang auf dem Boden und hustet, bis er endlich elend zusammenbricht.
Funf Meter weiter packt Nick Parsons im Licht der batteriebetriebenen Lampe seinen Rucksack. Er stopft Klamotten, einige Dosen Bohnen in Tomatensauce, Decken, eine Taschenlampe und Wasser hinein. Schlie?lich sucht er auf dem uberhauften Couchtisch nach etwas Bestimmten, findet es aber nicht.
Brian setzt sich auf. Er wischt sich den Mund mit der Hand ab. »He, Junge. Du kannst jetzt nicht abhauen.«
»Und wie ich das kann«, entgegnet Nick, findet endlich seine Bibel unter einem Berg von Su?igkeiten und steckt sie ebenfalls in den Rucksack. Die gedampften Gerausche der Zombiefutterung dringen aus der Waschkuche zu ihnen und machen Nick sichtbar noch nervoser.
»Nick, ich flehe dich an.«
Nick schlie?t den Rei?verschluss. Er wurdigt Brian nicht einmal eines Blicks, als er sagt: »Du brauchst mich hier nicht.«
»Das ist nicht wahr.« Brian schluckt den bitteren Geschmack der Gallenflussigkeit runter. »Ich brauche dich jetzt mehr denn je … Ich brauche deine Hilfe … Damit nicht alles noch weiter aus den Fugen gerat.«
»Aus den Fugen?« Nick schaut Brian in die Augen, ehe er den Rucksack auf die Schultern nimmt. Dann tritt er zu dem Blake-Bruder, der noch immer auf dem Boden sitzt. »Hier ist schon verdammt lange alles aus den Fugen geraten.«
»Nick, so warte doch …«
»Er ist zu weit gegangen, Brian.«
»Nick, hor mir zu … Ich wei? genau, was du meinst, aber gib ihm noch eine Chance. Das geht vielleicht voruber. Vielleicht … Ich wei? auch nicht … Vielleicht ist es Trauer. Nur noch eine einzige Chance, Nick. Wir haben eine viel bessere Uberlebenschance, wenn wir zusammenhalten.«
Fur einen qualend langen Augenblick denkt Nick uber das Gesagte nach. Dann seufzt er erschopft und gleichzeitig verargert auf und lasst den Rucksack mutlos wieder sinken.
Am nachsten Tag verschwindet Philip. Brian und Nick machen sich nicht einmal die Muhe, nach ihm zu suchen. Sie verbringen fast den ganzen Tag in der Wohnung, wobei sie kaum ein Wort miteinander wechseln und sich selbst beinahe wie Zombies fuhlen. Leise schleichen sie durch die Zimmer – vom Badezimmer in die Kuche zum Wohnzimmer, wo sie aus dem vergitterten Fenster in den sturmischen Himmel starren und versuchen, eine Antwort auf den Teufelskreis zu finden, in dem sie sich befinden und der immer teuflischer wird.
Gegen siebzehn Uhr dringt ein seltsames Summen an ihre Ohren. Es kommt von drau?en – wie der Larm einer Kettensage oder eines gro?en Rasenmahers. Um Philip besorgt, geht Brian zur Hintertur, lauscht einen Moment lang und offnet sie dann. Er tritt in den Hinterhof.
Der Larm hat zugenommen. In der Ferne, am nordlichen Rand des Stadtchens, zeigt sich sich eine Gewitterwolke am stahlgrauen Himmel. Das Heulen von Motoren wird vom Wind zu ihnen herubergetragen, und mit einiger Erleichterung stellt Brian fest, dass es sich wahrscheinlich um ein Rennen auf der stadteigenen Rennstrecke handelt. Ab und zu hort er Jubeln und Klatschen.
Plotzlich wird Brian flau im Magen. Wissen diese Idioten denn nicht, dass der Larm jeden Bei?er im Umkreis von funfzig oder gar hundert Kilometern anlocken wird? Er lauscht dem Gesage, das der Wind ebenfalls bis an seine Ohren tragt. Wie ein Radiosender, der einmal deutlicher, einmal weniger deutlich zu empfangen ist, dringt es in Brians Bewusstsein und beruhrt eine Wunde tief in seinem Inneren. Er sehnt sich nach den Zeiten vor der Plage. Schmerzvolle Erinnerungen fauler Sonntagnachmittage und durchschlafener Nachte drangen sich ihm auf – als er