noch unbehelligt in einen Laden gehen konnte, um nichts weiter als harmlose Milch zu kaufen.

Brian geht wieder hinein, zieht eine Jacke an und verkundet Nick, dass er einen Spaziergang machen will.

Der Zugang zur Rennstrecke liegt an der Hauptstra?e. Zwischen zwei Ziegelhaufen ist ein hoher Maschendrahtzaun gespannt. Als Brian naher kommt, sieht er Mull und alte Autoreifen um die Kasse verstreut. Der Bretterverschlag des durftigen Gebaudes ist mit Graffiti verschmiert.

Der Larm ist jetzt ohrenbetaubend. Das Heulen der Motoren und die jubelnde Menge von Zuschauern wird von dem bei?enden Gestank von Benzin und verbranntem Gummi begleitet. Staubwolken und Rauch hangen in der Luft.

Brian findet ein Loch im Zaun und will gerade hindurchschlupfen, als er eine Stimme hort.

»He!«

Er halt inne, dreht sich um und sieht drei Manner in heruntergekommener Militarkluft auf sich zukommen. Zwei von ihnen sind Mitte zwanzig mit fettigen langen Haaren und Sturmgewehren uber den Schultern, als ob sie auf Patrouille waren. Der alteste der Bande – ein harter Hund mit Burstenschnitt und einer olivgrunen Jacke mit einem Patronengurt uber der Brust – geht voran. Er hat offensichtlich das Sagen.

»Der Eintritt kostet vierzig Dollar oder das Gleiche in Handelsware.«

»Eintritt?«, wiederholt Brian uberrascht. Dann sieht er den Aufnaher auf der Brust der olivgrunen Jacke: Maj. Gavin. Bisher hat Brian die brutalen Mitglieder der Nationalgarde immer nur fluchtig aus der Ferne gesehen. Jetzt kann Brian dem Mann jedoch genau in die eisigen blauen Augen schauen. Er hat eine Alkoholfahne: Whiskey. Genauer gesagt: Jim Beam – vermutete Brian zumindest.

»Vierzig Dollar pro Erwachsener, Kleiner. Bist du schon erwachsen?« Die anderen lachen. »Kinder kommen umsonst rein. Aber du siehst mir so aus, als ob du schon uber achtzehn warst – gerade so.«

»Ihr verlangt Geld von den Leuten?« Brian versteht die Welt nicht mehr. »Jetzt? In diesen Zeiten?«

»Wir tauschen auch gerne. Hast du vielleicht ein Huhn? Oder irgendwelche Pornohefte, uber denen du genug gewichst hast?«

Erneutes Lachen.

Brian erstarrt vor Wut. »Ich habe keine vierzig Dollar.«

Der Major hort abrupt auf zu grinsen, als ob er das Grinsen einfach abgeschaltet hatte. »Dann wunsche ich noch einen schonen Tag.«

»Wer bekommt das Geld?«

Plotzlich horchen die beiden anderen Nationalgardisten auf. Sie drangen sich um Brian. Gavin sto?t mit seiner Nase an die von Brian und knurrt leise und bedrohlich: »Das ist fur die Gemeinschaft.«

»Die was?«

»Die Gemeinschaft, das Kollektiv … Wird zum Wohlergehen aller ausgegeben und so.«

Brian spurt, wie er noch wutender wird. »Zum Wohlergehen von euch dreien?«

»Tut mir leid«, verkundet der Major mit eisiger Stimme. »Ich habe wohl die Aktennotiz ubersehen, in der es hei?t, dass du der neue Stadthalter bist. He, Jungs! Habt ihr das Memo gesehen, in dem steht, dass dieser Prolet hier der neue Stadthalter von Woodbury ist?«

»Nein, Sir«, antwortet einer der Lakaien mit den fettigen Haaren. »Haben wir nicht erhalten.«

Gavin zieht eine Funfundvierziger-Semiautomatik aus dem Pistolenhalfter, entsichert sie und druckt den Lauf gegen Brians Schlafe. »Kleiner, du solltest dich mal ein bisschen uber Gruppendynamik schlau machen. Hast du Staatsburgerkunde in der Schule verpasst, oder was?«

Brian gibt keinen Ton mehr von sich. Stattdessen starrt er den Major an und beginnt rotzusehen. Seine Hande kribbeln, sein Kopf fangt an, sich zu drehen.

»Schon ›A‹ sagen«, befiehlt der Major.

»Was?«

»ICH HABE GESAGT, DU SOLLST DEIN GOTTVERDAMMTES MAUL OFFNEN!«, brullt Gavin, und die beiden anderen Gardisten streifen ihre Sturmgewehre von der Schulter und legen an. Jetzt sind drei Laufe auf Brians Kopf gerichtet. Brian offnet den Mund, und Gavin steckt Brian den Lauf seiner Waffe zwischen die Zahne – wie ein Zahnarzt, der nach Lochern sucht.

Irgendetwas zerbricht in Brian. Der kalte Stahl in seinem Mund schmeckt wie alte Geldmunzen und Bittermandelol. Die Welt nimmt eine tiefe purpurrote Farbe an.

»Geh wieder dahin, wo du herkommst«, meint der Major. »Sonst konnte dir etwas passieren.«

Brian schafft es gerade noch zu nicken.

Wenn er jetzt nicht den Mund halt, kann es ihn sein Leben kosten.

Wie im Traum entfernt sich Brian langsam von den Nationalgardisten, dreht sich um und wird schneller. Er rennt dorthin zuruck, wo er hergekommen ist – durch eine unsichtbare, blutrote Wolke.

Gegen neunzehn Uhr an jenem Abend kehrt Brian wieder in die Wohnung zuruck. Allein. Er tragt noch immer seine Jacke und steht erneut vor dem vergitterten Fenster im hinteren Teil des Wohnzimmers. Aufgewuhlt starrt er in das schwacher werdende Tageslicht hinaus, und seine Gedanken uberschlagen sich wie Wellen an einem Wellenbrecher. Er presst die Hande auf die Ohren. Das gedampfte Pochen und Hammern des Miniaturzombies nebenan fuhrt dazu, dass er noch stumpfer in die Gegend starrt und sich immer tiefer in sich selbst vergrabt.

Zuerst merkt Brian kaum, dass Nick ebenfalls zuruckgekehrt ist. Er nimmt lediglich ein Schlurfen, gefolgt vom Offnen der Schranktur wahr. Als er aber ein entferntes Murmeln im Flur hort, schreckt er aus seiner Trance auf und verlasst das Zimmer, um nachzusehen, was da vor sich geht.

Nick durchwuhlt den Schrank. Seine Nylonjacke ist feucht, seine Turnschuhe voller Schlamm. Au?erdem stammelt er immer wieder so etwas wie: »Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen … von welchen mir Hilfe kommt … Meine Hilfe kommt von dem Herrn … der Himmel und Erde gemacht hat.«

Brian sieht, wie Nick das Gewehr mit dem Pistolengriff aus dem Schrank holt.

»Nick? Was hast du vor?«

Nick bleibt ihm eine Antwort schuldig. Stattdessen klappt er die Waffe auf, um zu sehen, ob sie geladen ist. Sie ist es nicht. Panisch sucht er den Schrankboden ab, bis er endlich eine Schachtel mit Munition findet, die sie den ganzen Weg von der Villa bis nach Woodbury mitgebracht haben. Er hort mit dem Stammeln nicht auf. »Der Herr behute dich vor allem Ubel … er behute deine Seele …«

Brian geht einen Schritt auf ihn zu und fragt erneut: »Nick, was geht hier vor sich?«

Aber er erhalt noch immer keine Antwort. Nick versucht, die Munition mit zitternden Handen in den Lauf zu schieben, wobei er eine Patrone fallen lasst. Sie rollt uber den Boden. Er sucht nach einer weiteren, steckt sie in den Lauf und klappt das Gewehr zu. »Siehe, der Huter Israels schlaft nicht noch schlummert er …«

»Nick!« Brian packt den Mann an der Schulter und dreht ihn zu sich. »Was ist los mit dir?«

Fur eine Sekunde sieht es so aus, als ob Nick das Gewehr erheben will, um Brian eine Kugel in den Kopf zu jagen. Sein Gesicht ist vor Zorn vollig verzerrt. Dann gewinnt er wieder die Kontrolle uber sich, schluckt, blickt Brian in die Augen und sagt: »Das kann so nicht weitergehen.«

Ohne noch ein Wort zu verlieren wendet er sich ab, marschiert den Flur entlang und verschwindet durch die Haustur nach drau?en.

Brian schnappt sich seine Achtunddrei?iger, schiebt sie hinten in den Gurtel und eilt ihm nach.

Zweiundzwanzig

Das violette Licht der Abenddammerung legt sich uber die Landschaft. Eisige Winde pfeifen in den Waldern, die an Woodbury grenzen. Die Geruche von Holzrauch und Kohlenmonoxyd hangen in der Luft und passen zu dem nicht enden wollenden Heulen der Motoren auf der Rennbahn. Auf den Nebenstra?en herrscht Ruhe. Die meisten Einwohner scheinen tatsachlich der Veranstaltung beizuwohnen … Dennoch gleicht es beinahe einem Wunder, dass niemand sieht, wie Brian und Nick uber das brachliegende Land an der Grenze der Sicherheitszone stolpern.

Nick betet wie ein Wahnsinniger auf dem Weg zum Wald. Seine Waffe hat er uber die Schulter geworfen. Irgendwie erinnert er an einen unheimlichen Gotteskrieger. Brian versucht immer wieder, ihn aufzuhalten, ihn festzuhalten, damit er endlich fur eine Sekunde mit diesem Beten aufhort und wie ein normaler Mensch redet. Aber Nick ist nicht daran interessiert, sondern hat sich ganz und gar in seine Aufgabe hineingesteigert.

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